Streichquartett C-Dur, KV 465 ("Dissonanzenquartett") | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Amadeus Mozart

Streichquartett C-Dur, KV 465 ("Dissonanzenquartett")

Quartett C-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, KV 465 („Dissonanzenquartett“)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1361

Satzbezeichnungen

1. Adagio – Allegro

2. Andante cantabile

3. Menuetto. Allegro

4. Allegro molto

Erläuterungen

Wenn Mozart zur Tonart C-Dur griff, so tat er es nicht nur in besonders festlichen Werken, die vom Glanz der Pauken und Trompeten geprägt sind, sondern auch dann, wenn es ihm um eine besonders reichhaltige harmonische Palette ging. Die vorzeichenlose Tonart scheint ihn ganz besonders zum Chiaroscuro, zum Hell-Dunkel überraschender Dur-Moll-Wechsel, angeregt zu haben. Dem festlich-singenden C-Dur steht in diesen Werken immer auch das dunkel-verhangene oder plötzlich hereinbrechende c-Moll gegenüber. Die melodisch-harmonischen Bögen sind besonders weit gespannt, in ein spannungsvolles Netz aus Kontrasten und Farbwechseln eingebunden.

Ein Höhepunkt dieses typisch Mozartischen C-Dur ist das sogenannte „Dissonanzenquartett“, dessen langsame Einleitung die Kunst des chromatischen Vorhalts, das Changieren zwischen Dur und Moll ins Extrem treibt. Gestrenge italienische Zeitgenossen wie der Opernkomponist Giuseppe Sarti nahmen daran Anstoß. Sie sahen in dieser langsamen Einleitung eine einzige Ansammlung von Regelverstößen gegen den „reinen Satz“ oder glaubten gar an Fehler beim Setzen der Noten. Tatsächlich handelt es sich aber nur um eine Folge von besonders gewagten Vorhalten über dem langsam pochenden Bass, die sich jeweils überraschend in einen Mollakkord auflösen – Vorbote des Dualismus zwischen Dur und Moll, der das ganze Quartett prägen wird.

Das Quartett entstand auf einem Höhepunkt künstlerischer Inspiration in Mozarts Leben. Im Winter 1784/85 vollendete er drei große Klavierkonzerte (KV 459, 466 und 467) und drei nicht minder bedeutende Streichquartette (KV 458, 464, 465). Während die Ersteren für seine Fastenkonzerte im Februar und März 1785 bestimmt waren, entstanden die Letzteren als Fortsetzung einer zwei Jahre zuvor begonnenen Serie von Streichquartetten, die nunmehr die in Wien übliche Zahl von sechs Werken erreichte.

Der „Geburtshelfer“ dieser Quartettserie, wie es Johannes Brahms gesagt hätte, war kein Geringerer als Joseph Haydn. Dessen 1781 publizierte Quartette Opus 33 hatten auch in Mozart den Ehrgeiz im Quartettgenre neu erwachen lassen, wobei er sich von der Kunst des 24 Jahre älteren Freundes in vielerlei Hinsicht anregen ließ: melodisch, formal und satztechnisch. Aus Dankbarkeit widmete Mozart den Druck seiner sechs großen Wiener Quartette Opus 10 seinem „lieben Freund Haydn“.

In seiner Widmungsvorrede al mio caro amico Haydn nannte Mozart seine eigenen Quartette seine Kinder, die er nun unter dem Schutz des großen Mannes Haydn in die Welt entlasse. Sie seien „il frutto di una lunga, e laboriosa fattica“, die Frucht einer langen, mühsamen Arbeit, wobei Haydn selbst „bei seinem letzten Aufenthalt in Wien“ seine Zufriedenheit mit den Stücken ausgedrückt habe. Mozart spielte damit auf zwei denkwürdige Quartettabende in seinem Hause an: Am 15. Januar und 12. Februar 1785 hatte er den Freund zu sich eingeladen, um ihm zuerst die drei früheren Quartette, dann die erst jüngst komponierten vorzuführen. Das C-Dur-Quartett und seine Schwesterwerke beeindruckten Haydn so sehr, dass er Mozarts Vater Leopold sein berühmtes Kompliment machte: „Ich sage Ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn der größte Componist, den ich von Person und dem Namen nach kenne; er hat Geschmack, und überdieß die größte Compositionswissenschaft.“

„Compositionswissenschaft“ ist das Hauptmerkmal des „Dissonanzenquartetts“, freilich in so betörend schöne Melodik gekleidet, dass das Gelehrte im Galanten aufgehoben erscheint. Nachdem die düsteren Wolken der langsamen Einleitung über dem pochenden Cellobass verflogen sind, öffnet sich der Himmel zu einem der schönsten Allegro-Themen, die Mozart geschrieben hat. Die zarten Vorhalte, die den Schwung des Themas ins Empfindsame wenden, sind sofort Gegenstand intensiver quartettmäßiger Verarbeitung, die im Laufe des Satzes ständig zunimmt. Umso einfacher hat Mozart das Seitenthema angelegt – eine Gavotte als Verführung zu Tanz und Gesang -, während die Schlussgruppe zum Hauptthema zurücklenkt. In der Durchführung, einer der längsten, die Mozart geschrieben hat, wird die Polarität zwischen Dur und Moll auf einen dramatischen Höhepunkt geführt. Vom Hauptthema bleibt nurmehr ein Fragment im Cello übrig, eine flehentliche Gebärde, die sich vergeblich den wild auftrumpfenden Forte-Akkorden des Tutti in den Weg stellt.

Wenn es überhaupt möglich wäre, das Niveau des ersten Satzes zu steigern, so wäre dies Mozart im Andante cantabile gelungen. Ein erfüllterer Gesang für vier Streicher ist kaum jemals geschrieben worden. Aus dem gesanglichen Hauptthema, einer typischen Belcanto-Phrase, die Mozart dem Terzett aus seiner Opera seria Idomeneo entlehnte, entwickelt sich ein Dialog zwischen erster Violine und Cello über eine Art Seufzermotiv. Er gipfelt zweimal in feierlichen Vorhaltswendungen über einer kreisenden Cellofigur, bevor die Coda am Ende dem Seufzermotiv eine letzte, berückende Wendung gibt.

Die latente Chromatik der ersten beiden Sätze tritt im Menuett unverhohlen an die Oberfläche, während das Trio in den dunklen Mollregionen wandelt, die wir aus dem ersten Satz schon kennen.

Das Finale fasst alle Momente des Quartetts zusammen: den gesanglichen Schwung, die Chromatik und die wilden Molleinbrüche. Das Seitenthema des Satzes, der nicht in Rondo-, sondern in Sonatenform steht, ist erzkontrapunktisch, das dritte Thema weicht nach Es-Dur aus, während der Primarius so ganz nebenbei virtuoses Laufwerk zu absolvieren hat. Die Coda bringt all dies auf einen spielerischen Nenner, denn sie klingt nach italienischer Ouvertürenmusik – „Figaro ante portas“.