Streichquartett Nr. 3 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Béla Bartók

Streichquartett Nr. 3

Quartett Nr. 3, Sz 85 für zwei Violinen, Viola und Violoncello

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 139

Satzbezeichnungen

1. Prima parte. Moderato

2. Seconda parte. Allegro

3. Ricapitulazione della prima parte. Moderato

4. Coda. Allegro molto

Erläuterungen

Béla Bartók komponierte sein drittes Streichquartett 1927 in Budapest. Es wurde zwei Jahre später vom Walbauer-Quartett in London uraufgeführt und mit dem Kammermusikpreis der amerikanischen Metropole Philadelphia ausgezeichnet.

Eine dialektisch schillernde Rezension des Werkes hat Theodor W. Adorno kurz nach der Uraufführung in den Musikblättern des Anbruch verfasst. Für ihn bezeichnete das dritte Quartett Bartóks Rückkehr zu seinen ungarischen Wurzeln nach der Wendung zum Neoklassizismus, die er im Klavierkonzert und den beiden Violinsonaten eingeschlagen hatte. „Selten kam ein Komponist in die eigene Zone reicher zurück als Bartók im dritten Quartett.“ Diesen neuen Reichtum erkannte Adorno auf drei Ebenen: im Kontrapunkt, in der Melodik und Harmonik sowie im Klang.

Den Kontrapunkt habe der Komponist „als Beute vom klassizistischen Abenteuer ins Zeltlager der ruhelosen Improvisation“ mitgebracht, eine Metapher, die Bartóks Musik in ihren Wurzeln bei der Improvisationskunst der ungarischen Bauern („im Zeltlager“) ansiedelt. „Die Themen, aus denen straff ökonomisch das Werk gebildet, sind plastischer als je bei Bartók zuvor, prägnanter, zuverlässiger gehört; die Harmonik wird in tapferer Ungebundenheit aus Linien und Linienüberschreitungen entwickelt…“.

Die Klangfarben machten auf Adorno den größten Eindruck: „Die Produktivität der Farbe hat Bartók im dritten Quartett recht eigentlich für sich entdeckt.“ Bis dahin habe Bartóks Klang aus der „Spannung von Schwarz und Weiß“ gelebt. Die neue kontrapunktische Fülle des dritten Quartetts aber erschließe ihm „die Fülle der Nuancen. Willig dienen ihm die entlegenen Möglichkeiten der Instrumente ebensowohl wie die weiten Lagen vielstimmiger Akkorde.“

Die Form des Werkes ist so originell, dass sie hier noch einmal als Ganzes wiedergegeben werden muss: Prima parte – Seconda Parte – Ricupitulazione della Prima parte – Coda (Erster Teil – Zweiter Teil – Reprise des ersten Teils – Coda). Diese vier ineinander übergehenden Abschnitte spielen auf die vier Teile eines Sonatenhauptsatzes an: Exposition, Durchführung, Reprise und Coda. Dabei wird freilich die Durchführung durch einen neuen Allegroteil ersetzt ist und die Reprise des ersten Teils so radikal verwandelt, dass man sie kaum als solche erkennt.

Den Beginn hörte Adorno als langsamen Satz „in Intonationen geschichtet, nicht sonatenhaft exponiert; durch freie, geschwungene Imitatorik gleichwohl vorm Zerfall bloßer Improvisation geschützt.“ Den zweiten Teil deutete er als eine Variante des berühmten Allegro barbaro. Darauf folgt die stark verkürzte Reprise des einleitenden Moderato, „das im Gedanken an das Allegro keine Zeit mehr findet, sich zu statuieren“. Die schnelle Coda bestehe aus einem „variativen Spiel mit den Allegromotiven“.

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BÉLA BARTÓKS drittes Streichquartett, 1927 komponiert, aber erst 1929 in London vom Waldbauer-Quartett uraufgeführt, ist bis heute das am seltensten gespielte seiner sechs Quartette. Die kompromisslosen Härten der Harmonik und Stimmführung, die Bartók hier experimentell bis an die Grenzen der damaligen Avantgarde vorantrieb, und die eigenwillige Form erleichtern das Hören in traditionellen Kategorien durchaus nicht. Wie die Beethoven- und Schubert-Quartette unserer Matinee stammt das Werk aus einer Zeit, in der Bartók bei stetig wachsendem internationalem Renomee bewusst nach Neuerungen im Quartettgenre suchte. Die Form verbindet im Sinne einer „Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit“ (vgl. Franz Liszts h-Moll-Klaviersonate) vier Teile eines großen Satzes miteinander. Der thematische Verlauf ist dabei nur schwer zu verfolgen, da sich das Material streng aus den Intervallen der Quart und None aufbaut, zudem von verfremdeten Volksmusikelementen durchsetzt ist (Bordunklänge u.ä.).
Der erste Teil (Moderato) beginnt mit einem geheimnisvollen liegenden Klang, über dem sich zaghaft Soli der ersten Geige und Kanons erheben. Das Tutti setzt ein kraftvoll-dissonantes zweites Thema dagegen; beide werden in Kanons und anderen Techniken der Stimmverzahnung verarbeitet. Im zweiten Teil (Allegro) werden die beiden Themen als Material für ein gnadenloses „Allegro barbaro“ benutzt, dessen rhythmische Kraft und immer neue klangliche Metamorphosen wie ein Kaleidoskop des modernen Streichquartettklangs wirken. Nachdem die „Reprise des ersten Teils“ die Themen in wieder neuer Form vorstellt und in immer langsamerer Bewegung auszulaufen scheint, setzt plötzlich die furiose Stretta-Coda (Allegr molto) ein.