Streichquartett fis-Moll, op.10 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Arnold Schönberg

Streichquartett fis-Moll, op.10

Streichquartett Nr. 2 fis-Moll, op. 10 (im 3. und 4. Satz: „Litanei“ und „Entrückung“, Gedichte von Stefan George)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2286

Satzbezeichnungen

1. Mäßig (Moderato)

2. Sehr rasch

3. Litanei. Langsam

4. Entrückung. Sehr langsam

Erläuterungen

2001
ARNOLD SCHÖNBERG
Streichquartett fis-Moll, op. 10

Die Jahre 1907 und 1908 waren für Schönberg eine Zeit der Wende, künstlerisch wie privat. Seine Frau Mathilde begann 1907 ein Verhältnis mit dem 24jährigen Maler Richard Gerstl, mit dem ihr Mann damals in engem künstlerischem Kontakt stand. Schönberg und Gerstl waren in ihren malerischen Versuchen Geistesverwandte, doch während sich der Komponist „in seiner Tätigkeit als Maler… von den Realitäten des Lebens bis zur völligen Isolierung“ ablenkte (Stuckenschmidt), begann Gerstl ein leidenschaftliches Verhältnis mit der Frau des Freundes. Die Liaison gipfelte in der dramatischen Flucht des Liebespaares im Sommer 1908. In diesen Monaten schrieb Schönberg die tief depressiven Sätze Nr. 3 und 4 seines fis-Moll-Quartetts. Die Fürsorge für ihre beiden kleinen Kinder trieb schließlich Mathilde Schönberg noch einmal (vorübergehend) in die Arme ihres Mannes zurück, während sich Gerstl am 4. November 1908, nach dem endgültigen Bruch mit dem Ehepaar Schönberg, das Leben nahm.

Die Musik des epochalen zweiten Streichquartetts werden strenge Schönberg-Apologeten nicht mit diesen biographischen Umständen in Verbindung bringen wollen. Der Biograph Stuckenschmidt freilich legte nahe, einen Zusammenhang zu sehen; Schönberg sei Ende 1907 in eine „Situation des inneren Aufruhrs und der seelischen Beunruhigung geraten, deren Spuren wir in seinem Werk nachsuchen können“.

Zwei Momente des fis-Moll-Quartetts bezeichnen Schönbergs innere Erregung: zum einen die Erweiterung der Harmonik durch freieren, rücksichtsloseren Dissonanzengebrauch, zum anderen die Hinzufügung einer Sopranstimme zu den vier Streichern im dritten und vierten Satz. Die Vertonung zweier Gedichte von Stephan George nimmt vor dem biographischen Hintergrund symbolische Bedeutung an: „Töte das Sehnen, schließe die Wunde! Nimm mir die Liebe, gib mir dein Glück!“ heißt es im dritten Satz, Litanei, der wie ein Abschied Schönbergs von seiner zerbrochenen Ehe wirkt. Im vierten Satz folgt seine berühmte Vision ferner Welten mit dem mottoartigen Beginn „Ich fühle Luft von anderem Planeten“.

Was die Komplikationen seines fis-Moll-Quartetts betraf, gab sich Schönberg keinen Illusionen hin. Noch fast 20 Jahre nach der skandalösen Uraufführung im Dezember 1908 im Wiener Bösendorfersaal nahm er sein Werk fast rührend in Schutz: „Ich pflege auf die Frage, warum ich nicht mehr so schreibe, wie zur Zeit der „Verklärten Nacht“, die Antwort zu geben: „das tue ich ja, aber ich kann nicht dafür, daß die Leute es noch nicht erkennen“. Nun bei einigen Werken, bei welchen ich so gefragt wurde, wie z. B. bei meinem II. Streichquartett (nebenbei bemerkt, war bei der Uraufführung der größte Skandal, den ich überhaupt erlebt habe) beginnt man das ja jetzt schon zu erkennen und mir zu verzeihen, daß ich zwar noch immer so schön wie früher, aber schon weit besser komponiere als damals. Aber ich kann und mag es natürlich niemandem verargen, der trotzdem noch kein vollkommenes Vertrauen zu fassen vermag.“

Schönberg wusste, dass er das „Vertrauen“ seiner Hörer mit dem harmonischen Verlauf des fis-Moll-Quartetts strapazierte, denn weite Teile der Sätze sind nicht mehr eindeutig tonartlichen Zentren zuzuordnen: „Schon im ersten und zweiten Satz kommen Stellen vor, in denen die unabhängige Bewegung der einzelnen Stimmen keine Rücksicht darauf nimmt, ob deren Zusammentreffen in „anerkannten“ Harmonien erfolgt. Dabei ist hier, wie auch im dritten und vierten Satz, eine Tonart an allen Kreuzwegen der formalen Konstruktion deutlich erkennbar ausgedrückt. Doch konnte die überwältigende Vielheit dissonanter Klänge nicht länger durch gelegentliche Anbringung von solchen tonalen Akkorden … ausbalanciert werden.“ Mit anderen Worten: die Einzelstimmen bahnen sich durch eine Fülle chromatischer Motive ihren Weg ohne Rücksicht auf traditionelle harmonische Verläufe.

Die Form ist dagegen die traditionell viersätzige des klassischen Streichquartetts: Kopfsatz in Sonatenform, Scherzo mit Trio, Thema mit Variationen (Litanei) und Finale (Entrückung). In den knappen Formen dieser vier Sätze überwand Schönberg die monumentale Einsätzigkeit seiner Frühwerke: „In diesem Werk trennte ich mich von der einsätzigen Form. Es war eines der ersten Symptome, daß die Periode der weit ausgedehnten Formen, die von Beethovens cis-Moll-Quartett eingeleitet worden war, vorbei war. Eine neue Entwicklung strebte stattdessen nach weit knapperen Formen: nach Inhalt und Umfang, auch im Ausdruck. Die zyklische Form kehrte in den vier Sätzen von op. 10 zurück“.

Der Kopfsatz in Sonatenform beginnt mit einem eindeutigen fis-Moll-Thema, dessen rhythmisch-melodische Kontur für den Satz bestimmend bleibt. Aber schon der chromatische Nachsatz des Themas mit seinen für den Stil der Jahrhundertwende typischen Ausdrucksvorhalten führt die Harmonie auf schwer deutbare Nebengleise. Der walzerartige Seitensatz, Durchführung und Reprise erweitern den Tonraum vollends ins Unbestimmte.

Das Scherzo, das an zweiter Stelle steht, hat Stuckenschmidt als „skurrilen Ausdruck“ für Schönbergs „innere Krise“ gedeutet: „Er beginnt als sehr rasche, motorische Bewegung über dem Cello-Orgelpunkt D. Ein verbissener Scherzo-Charakter fällt auf; das ostinate D im Baß kehrt wieder. Zwischen Strecken freier Tonalität erscheinen paradoxe Dreiklänge, bald Dur, bald Moll. Dann setzt ein Trio im langsameren Dreivierteltakt ein. In der zweiten Geige ertönt das populäre Lied ‚Ach, Du lieber Augustin‘, das in ein paar Varianten durchgeführt wird. Im Cello kreist eine Baßstimme um die entfernten Tonalitäten d und as, bis eine monotone Quintfallfigur die Töne h-e-e und a-d-d banal wiederholt. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich die Textworte ‚alles ist hin‘ dazu zu denken. Dabei mag für Schönberg nicht nur der Zusammenbruch einer familiären Situation, sondern auch der einer musikalischen Überlieferung als Impuls gewirkt haben.“

Mit den beiden letzten, um eine Singstimme erweiterten Sätzen griff Schönberg eine Zeittendenz auf, die durch Mahlers Sinfonien einerseits, durch Kammermusikwerke mit Singstimme andererseits vorgezeichnet war. Komponisten der Jahrhundertwende versuchten, die Instrumentalmusik „zur Sprache zu bringen“, im Wortausdruck der Singstimme zu überhöhen. In der Kammermusik bezog sich dies vor allem auf Texte aus dem Bereich der Elegie oder Totenklage. Daran knüpfte auch Schönberg mit den beiden Gedichte von George an, die den Sätzen Litanei und Entrückung zugrunde liegen. Sie enthalten bedeutungsschwere Metaphern für Transzendenz und Übergang im menschlichen Leben. Rein formal handelt es sich bei Litanei um ein Thema mit Variationen, bei Entrückung um ein Adagio in dreiteiliger Form.

Die Jahre 1907 und 1908 waren für Schönberg eine Zeit der Wende, künstlerisch wie privat. Seine Frau Mathilde begann 1907 ein Verhältnis mit dem 24jährigen Maler Richard Gerstl, mit dem ihr Mann in engstem künstlerischem Kontakt stand. Schönberg und Gerstl waren in ihren malerischen Versuchen Geistesverwandte, doch während sich der Komponist „in seiner Tätigkeit als Maler… von den Realitäten des Lebens bis zur völligen Isolierung“ ablenkte (Stuckenschmidt), begann Gerstl ein leidenschaftliches Verhältnis mit der Frau des Freundes.

Die Liaison gipfelte in der dramatischen Flucht des Liebespaares im Sommer 1908. In diesen Monaten schrieb Schönberg die tief depressiven Sätze Nr. 3 und 4 seines fis-Moll-Quartetts. Die Fürsorge für ihre beiden kleinen Kinder trieb schließlich Mathilde Schönberg noch einmal (vorübergehend) in die Arme ihres Mannes zurück, während sich Gerstl am 4. November 1908, nach dem endgültigen Bruch mit dem Ehepaar Schönberg das Leben nahm.

Die Musik des epochalen zweiten Streichquartetts von Schönberg werden strenge Schönberg-Apologeten nicht mit diesen biographischen Umständen in Verbindung bringen wollen. Schönbergs Biograph H. H. Stuckenschmidt freilich legte nahe, hier eine Verbindung zu sehen; Schönberg sei Ende 1907 in eine „Situation des inneren Aufruhrs und der seelischen Beunruhigung geraten, deren Spuren wir in seinem Werk nachsuchen können“. Für das fis-Moll-Quartett hatte Schönbergs innere Erregung zwei Konsquenzen: zum einen die Erweiterung der Harmonik durch zunehmend freieren, rücksichtsloseren Dissonanzengebrauch, zum anderen die Hinzufügung einer Sopranstimme zu den vier Streichern im dritten und vierten Satz. Die Vertonung zweier Gedichte von Stephan George nimmt vor dem biographischen Hintergrund symbolische Bedeutung an: „Töte das Sehnen, schließe die Wunde! Nimm mir die Liebe, gib mir dein Glück!“ heißt es im dritten Satz, Litanei, der wie ein Abschied Schönbergs von seiner zerbrochenen Ehe wirkt. Im vierten Satz folgt dann seine berühmte Vision anderer Welten mit demmottoartigen beginn „Ich spüre Luft von anderem Planeten“.

Was die strukturelle Komplikation seines fis-Moll-Quartetts betraf, hat es Schönberg nicht an Erklärungsversuchen fehlen lassen. Noch fast 20 Jahre nach der skandalösen Urauuführung vom Dezember 1908 im Wiener Bösendorfersaal nahm er sein Werk mit fast rührender Unschuld in Schutz: „Ich pflege auf die Frage, warum ich nicht mehr so schreibe, wie zur Zeit der „Verklärten Nacht“, die Antwort zu geben: „das tue ich ja, aber ich kann nicht dafür, daß die Leute es noch nicht erkennen“. Nun bei einigen Werken, bei welchen ich so gefragt wurde, wie z. B. bei meinem II. Streichquartett (nebenbei bemerkt, war bei der Uraufführung der größte Skandal, den ich überhaupt erlebt habe) beginnt man das ja jetzt schon zu erkennen und mir zu verzeihen, daß ich zwar noch immer so schön wie früher, aber schon weit besser komponiere als damals. Aber ich kann und mag es natürlich niemandem verargen, der trotzdem noch kein vollkommenes Vertrauen zu fassen vermag.“

Schönberg wusste, dass er das Vertrauen seiner Hörer mit dem harmonischen Verlauf des fis-Moll-Quartetts überstrapazierte, denn weite Teile der Sätze sind nicht mehr eindeutig tonartlichen Zentren zuzuordnen: „Schon im ersten und zweiten Satz kommen Stellen vor, in denen die unabhängige Bewegung der einzelnen Stimmen keine Rücksicht darauf nimmt, ob deren Zusammentreffen in „anerkannten“ Harmonien erfolgt. Dabei ist hier, wie auch im dritten und vierten Satz, eine Tonart an allen Kreuzwegen der formalen Konstruktion deutlich erkennbar ausgedrückt. Doch konnte die überwältigende Vielheit dissonanter Klänge nicht länger durch gelegentliche Anbringung von solchen tonalen Akkorden, die man gewöhnlich zum Ausdruck einer Tonart verwendet, ausbalanciert werden. Es schien nicht angemessen, eine Bewegung in das Prokrustesbett der Tonalität zu zwingen.“ Mit anderen Worten: die Freiheit der durchweg chromatischen Einzelstimmen mit ihren knappen, ausdrucksgesättigten Motiven bahnt sich ohne Rücksicht auf traditionelle harmonische Verläufe den Weg.

Die Form ist die traditionell viersätzige des klassisch-romantischen Streichquartetts, bestehend aus einem schnellen Kopfsatz in Sonatenform, einem Scherzo, einem langsamen Satz (Litanei) und einem Finale in Variationenform (Entrückung). In den überschaubar knappen Formen dieser vier Sätze überwandt Schönberg die monumentale Einsätzigkeit seines Streichsextetts Verklärte Nacht von 1899 und seines ersten Streichquartetts, op. 7, von 1905: „In diesem Werk trennte ich mich von der einsätzigen Form. Es war eines der ersten Symptome (der Wende zur neuen Musik), daß die Periode der weit ausgedehnten Formen, die von Beethovens cis-moll-Quartett eingeleitet worden war, vorbei war. Eine neue Entwicklung strebte stattdessen nach weit knapperen Formen: nach Inhalt und Umfang, auch im Ausdruck. Die zyklische Form kehrte in den vier Sätzen von op. 10 zurück“.
Der Kopfsatz in Sonatenform beginnt mit einem noch eindeutigen fis-Moll-Thema, dessen rhythmische Kontur für den Satz bestimmend bleibt. Aber schonder chromatische Nachsatz des Themas mit seinen für die Jahrhundertwende typischen Ausdrucksvorhalten führt die Harmonie auf schwer deutbare Nebengleise. Vollends der walzerartige Seitensatz, Durchführung und Reprise erweitern den Tonraum ins Unbestimmte.
Das Scherzo, das an zweiter Stelle steht, hat Stuckenschmidt als „skurrilen Ausdruck“ für Schönbergs „innere Krise“ gedeutet: „
Mit den beiden folgenden, um eine Singstimme erweiterten Sätzen griff Schönberg im Grunde eine Zeittendenz auf, die durch Mahlers Sinfonien einerseits, durch Kammermusikwerke mit Singstimme andererseits gekennzeichnet war. Komponisten der Jahrhundertwende versuchten das Spezifische der Kammermusik bzw. Sinfonik „zur Sprache zu bringen“, im Wortausdruck der Singstimme zu überhöhen. In der Kammermusik bezog sich dies vor allem auf Texte aus dem Bereich der Elegie oder Totenklage. Daran knüpfte auch Schönberg mit den beiden Gedichte von Stefan George an, die den Sätzen Litanei und Entrückung zugrundeliegen. Sie enthalten bedeutungsschwere Metaphern für Transzendenz und Übergang im menschlichen Leben. „Ich spüre Luft von anderem Planeten“, der Beginn des vierten Satzes, ist dafür zum Symbol geworden. Rein formal handelt es sich bei Litanei um einen Adagiosatz, bei Entrückung um ein langsames Thema mit Variationen.