Harmoniemusik nach Die Entführung aus dem Serail | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Amadeus Mozart

Harmoniemusik nach Die Entführung aus dem Serail

Harmoniemusik nach Die Entführung aus dem Serail (Arr. Johann Wendt)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2728

Satzbezeichnungen

Overtura Presto
„Hier soll ich Dich denn sehen“. Andante
„Ich gehe, doch rate ich Dir“. Allegro
„Welche Wonne, welche Lust“. Allegro
„Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln“. Andante grazioso
„Vivat Bachus, Bachus lebe“. Allegro
„Ha, wie will ich triumphieren“. Allegro vivace

Erläuterungen

2001:

„Nun habe ich keine geringe arbeit. – bis Sonntag acht tag muß meine Opera auf die harmonie gesezt seyn – sonst kommt mir einer bevor – und hat anstatt meiner den Profit davon […] sie glauben nicht wie schwer es ist so was auf die harmonie zu setzen – daß es den blasinstrumenten eigen ist, und doch dabey nichts von der Wirkung verlorengeht… „ Will man Mozarts Brief an seinen Vater vom 20. Juli 1782 Glauben schenken, so hatte er nach der Uraufführung seines Singspiels Die Entführung aus dem Serail nichts Eiligeres zu tun, als die Oper für Bläseroktett („auf die Harmonie“) zu arrangieren.

Die Zweitverwertung von Opern in dieser Form war im Wien der 1780er Jahre ein lukratives Geschäft. Es gab Profi-Arrangeure, die den Markt beherrschten, wie etwa der Böhme Johann Wendt, von dem unser Arrangement der Entführung stammt. Mozarts Entschluss, sich in diesen Markt einzumischen, war für die Zeit eher ungewöhnlich – kein Opernkomponist setzte seine Stücke selbst „auf die harmonie“ -, doch er hatte gute Gründe. Die Schöpfer jener Melodien, von denen andere „den Profit hatten“, bezogen nach dem einmaligen Honorar für die Ablieferung der Partitur damals weder Tantiemen für weitere Aufführungen noch für Übernahmen an andere Bühnen oder Arrangements. Es war erst Richard Strauss, der diese selbstverständlichen Rechte eines Komponisten an seinem Werk erstritt; Mozart musste sich mit den paar hundert Dukaten Autorenhonorar und der Ehre der Uraufführung begnügen. Kein Wunder, dass er als frisch gebackener Ehemann und Wiener Neubürger 1782 seinen teuren Hausstand durch ein eigenes Arrangement der Entführung aus dem Serail aufzubessern hoffte, zumal ihm der Premierenerfolg des Singspiels angedeutet haben dürfte, welche „Schlager“ er hier in die Wiener Welt gesetzt hatte.

Ob es zu dieser „Arbeit“, von der Mozarts Brief berichtet, jemals gekommen ist, darüber streiten sich noch die Gelehrten. Eine unzweifelhaft von Mozarts Hand geschriebene „Harmoniemusik“ zur Entführung ist bis heute nicht aufgetaucht, lediglich die sog. „Donaueschinger Fassung“ aus der reichen Musiksammlung der Fürsten zu Fürstenberg ist mit der legendären Mozart-Version in Verbindung gebracht worden. Wer näheres dazu erfahren möchte, lese in den Colloquia zur Kammermusik der Villa Musica nach.

Unser Ensemble entschied sich für das Arrangement des schon erwähnten Johann Wendt, des geschäftstüchtigsten Arrangeurs „auf die Harmonie“ in Wien. Der neueste Katalog aller heute noch erhaltenen Harmoniemusiken verzeichnet für Wendt neben 49 Serenaden auch Arrangements von 73 zeitgenössischen Opern, manche davon gleich mehrfach. Von Mozart hat er alle vier Wiener Opern und den Prager Don Giovanni arrangiert. Unser Arrangement der Entführung aus dem Serail ist handschriftlich in Paris erhalten und wurde bereits vor 1800 von dem Wiener Verleger Traeg publiziert.
Die Fassung besteht aus der Ouvertüre und sieben ausgewählten Nummern, die sich zwanglos zu einer Suite für Bläser fügen. Belmontes erste Arie wirkt wie das Andante aus einer Bläserserenade, ebenso seine spätere pathetische Arie Wenn der Freude Tränen fließen oder Blondchens liebenswürdiges Rondeau Durch Zärtlichkeit und Schmeicheln. Um diese langsamen Sätze hat Wendt geschickt schnelle Nummern gruppiert: das Duett zwischen Osmin und Blondchen Ich gehe, doch rate ich dir als Allegro mit Jagdcharakter, Blondchens Welche Wonne, welche Lust als Rondo (das Thema kennt man auch aus Mozarts Oboenkonzert!) und das Vivat Bacchus des betrunkenen Osmin mit Pedrillo als Kehraus-Finale.

1993:

Hätte Andrew Lloyd-Webber im 18. Jahrhundert gelebt, er hätte schwerlich einen milliardenschweren Jahresumsatz verzeichnen können. Mühsam war das Klassiker-Geschäft, bevor die Verwertung der Rechte gesetzlich verankert war, und nur das marktorientierte Arrangieren brachte den Komponisten zusätzlich zu dem Werk selbst Geld ein.

Für eine Oper erhielt man in der Regel nur ein einmaliges Honorar, d. h. keinerlei Vergütungen pro Aufführung, bei Wiederaufnahmen oder Übernahmen an andere Bühnen, von Tantiemen aus Bearbeitungen ganz zu schweigen. Wollte ein Komponist wie Mozart an der Popularität seiner Melodien partizipieren, mußte er schlicht und einfach schnell sein:
„Nun habe ich keine geringe arbeit. – bis Sonntag acht tag muß meine Opera auf die harmonie gesezt seyn – sonst kommt mir einer bevor – und hat statt meiner den Profit davon…“

Die Rede ist von Die Entführung aus dem Serail, nach deren erfolgreicher Uraufführung der Komponist die übliche Bearbeitung für Bläseroktett selbst besorgen wollte. In dieser Form nämlich gelangten die neuesten Opernschlager von der Bühne des Burgtheaters in die reichen Häuser und auf die Straßen Wiens, und wer als erster eine Bläserfassung anbieten konnte, „hatte den Profit davon“.

Vom Recht des Komponisten an seinen Melodien war noch nicht die Rede, auch nicht von Authentizität des Arrangements. Nur geschickt gesetzt mußte es sein, worauf sich andere ebenso gut verstanden wie Mozart, der seinem Vater gestand: „sie glauben nicht wie schwer es ist so was auf die harmonie zu setzen – daß es den blaßinstrumenten eigen ist, und doch dabey nichts von der Wirkung verloren geht.“

Mozarts Versuch , in den von Profi-Arrangeuren beherrschten Wiener Harmoniemusik-Markt vorzudringen, scheiterte. Von seinen Da Ponte-Opern hat er keine Bläserarrangements angefertigt, ja, es ist unsicher, ob er die begonnene Harmoniemusik nach der Entführung vollendet hat.