Streichquartett Es-Dur, KV 428 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Amadeus Mozart

Streichquartett Es-Dur, KV 428

Quartett Es-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, KV 428

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3028

Satzbezeichnungen

1. Allegro non troppo

2. Andante con moto

3. Menuetto. Allegro – Trio

4. Allegro vivace

Erläuterungen

Mit seinen sechs Streichquartetten KV 387, 421, 428, 458 sowie 464-465 hat Mozart seinem verehrten Komponistenfreund Joseph Haydn ein Denkmal gesetzt. Angeregt durch dessen sechs Streichquartette Opus 33, die 1782 im Druck erschienen waren, begann Mozart an Weihnachten 1782 einen eigenen Quartettzyklus, dessen sechs Werke freilich erst drei Jahre später vollendet waren. Den 1785 im Verlag Artaria publizierten Druck widmete er “seinem lieben Freund Joseph Haydn”. Seitdem werden die sechs Werke volkstümlich Mozarts “Haydn-Quartette” genannt, was auch musikalisch zutrifft, denn unschwer kann man in ihnen Anspielungen auf frühere Quartette Haydns ausmachen, besonders natürlich auf dessen Opus 33. In den bewegenden Worten seiner Zueignung “al mio caro amico Haydn” betonte Mozart, wie sehr ihm Haydns Streichquartette Leitstern und Inspiration gewesen waren. Seine eigenen Quartette nannte er Kinder, die er unter dem Schutz des großen Mannes in die Welt entlasse. Zugleich unterstrich er, wie sehr seine Quartette “il frutto di una lunga, e laboriosa fattica” seien, die Frucht einer langen, mühsamen Arbeit. Ausführliche Skizzen zu den Quartetten und der für Mozart ungewöhnlich langwierige Entstehungsprozess lassen jene mühsame kompositorische Detailarbeit erahnen.

Da Mozart selbst ein leidenschaftlicher Quartettspieler an Geige oder Bratsche war, kam er in seiner Vorrede auch auf die ersten Aufführungen der Quartette in Wien zu sprechen. Haydn selbst habe ihm nach diesen Aufführungen “bei seinem letzten Aufenthalt in Wien” seine Zufriedenheit mit den Stücken ausgedrückt. Mozart spielte damit auf zwei denkwürdige Quartettabende in seinem Hause an: Am 15. Januar und am 12. Februar 1785 hatte er den Freund zu sich eingeladen, um ihm zuerst die früheren drei Quartette, dann die erst jüngst komponierten vorzuspielen. Leopold Mozart spielte die erste, sein Sohn die zweite Geige, Viola und Cello lagen in den Händen der Freiherren Anton und Bartholomäus Tinti. Das Es-Dur-Quartett und seine Schwesterwerke beeindruckten damals Haydn so sehr, dass er Vater Mozart sein berühmtes Kompliment über den Sohn machte: “Ich sage Ihnen vor Gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn der größte Componist, den ich von Person und dem Namen nach kenne; er hat Geschmack, und überdieß die größte Compositionswissenschaft.”

Im Es-Dur-Quartett vom Sommer 1783 hat die “Kompositionswissenschaft” Mozarts eine unter seinen Zeitgenossen einsame Höhe erklommen. Sowohl die radikale Chromatik des Hauptthemas im ersten Satz als auch die dichte Kette von Vorhalten, aus denen das Thema des langsamen Satzes gebildet ist, waren ohne Vorbild. selbst beim viel bewunderten Haydn. Mozart erschuf aus der Inspiration durch den großen Kollegen eine eigene Welt des Quartettstils und -klangs.

Sie bekundet sich zu Beginn des Es-Dur-Quartetts im geradezu provozierenden Unisono-Thema der Streicher, das neun von zwölf Halbtönen der chromatischen Skala berührt. Danach taucht der Klang in satte Fülle ein, Schleifer und Doppelschläge umspielen den Quintsextakkord, bevor das Thema, nun in erschreckende chromatische Akkorde gekleidet, wiederkehrt. Manche Kritiker der Mozartzeit irritierte dieser Beginn so sehr, dass sie dem Komponisten vorwarfen, seine Quartette harmonisch allzu freizügig zu “würzen”. Dies gilt auch für die kunstvollen harmonischen und kontrapunktischen Umdeutungen, die Mozart dem Thema im Satzverlauf angedeihen ließ. Die Chromatik des Hauptthemas färbt auf die Überleitungen des Sonatensatzes gewissermaßen ab. Sie scheinen zwar rhythmisch gelöster und verspielter als das Hauptthema, haken sich aber immer wieder in chromatischen Nebennoten fest. Das Seitenthema wirkt in dieser Umgebung ebenfalls seltsam verschattet: eine zaghafte Gavotte, die in g-Moll ansetzt und c-Moll berührt, bevor sie endlich nach B-Dur einlenkt.
Noch in den absteigenden Linien der Schlussgruppe über dem pulsierendem Bass spürt man die Erregung des Satzes, gepaart mit dem typischen Hell-Dunkel von Mozarts Harmonik. In der Durchführung kommt diese unterschwellige Erregung zum Ausbruch: wild bewegte Moll-Akkordbrechungen wechseln mit Motiven ab, die gleichsam den Atem anhalten. Der Dramatiker Mozart legte in diese Musik fdie ganze Spannung seiner Opernensembles. Bis in die Schlusstakte hinein halten die Erregung und das seltsame Zwielicht der Harmonik an.

Die weichen Vorhalte, mit denen das Andante con moto einsetzt, berühren eine andere Seite von Mozarts “Kompositionswissenschaft”: das Quasi-Religioso, den aus der Kirchenmusik abgeleiteten solennen Stil. Wie zu Beginn einer Orgelfantasie oder einer Messe erhebt sich über gebrochenen Dreiklängen des Cellos (fast eine Art Orgelpedal) der Chorgesang der Instrumente feierlich in die Höhe. Der zu erwartende Durchbruch zur Kantilene, zum melodischen Solo der ersten Violine, bleibt aus. Der Satz verharrt in stockender Bewegung, die immer wieder von Pausen durchsetzt und von Chromatik unterwandert wird. Ständige Dur-Moll-Wechsel auf kleinstem Raum lassen an ein Nachtstück denken, ähnlich dem langsamen Satz der Prager Sinfonie. Die Dreiklangsbrechungen des Cellos werden dabei zum Gegenstand fast permanenter Metamorphose bis hin zu ihrer Umkehrung im Mittelteil.

Nach zwei so anspruchsvollen Sätzen hat Mozart den Rest des Quartetts als humorvolle Entspannung angelegt und dabei nach Kräften den Grandseigneur des klassischen Humors, Haydn, zitiert: sowohl die holprigen Auftakte zum Menuett mit ihren kurzen Vorschlägen als auch das Finalthema lassen sich auf Vorbilder aus Haydns Opus 33 zurückführen. Im Menuett hat Mozart noch die typischen rhythmischen Finessen Haydns und seinen Bordunklang hinzugegeben, im Finale die Nonchalance des Contretanzes, mit dem die Wiener Klassiker in ihren Finali so gerne jonglierten. Im c-Moll-Trio des Menuetts freilich und in der Durchführung des Sonatenrondos bricht das chromatische Zwielicht der ersten beiden Sätze noch einmal auf. Ganz und gar mozartisch ist die Eleganz, mit der die erste Violine am Ende auf das Rondothema noch einen Gassenhauer draufsetzt und sich alle vier Protagonisten im Pianissimo davonzustehlen scheinen, bevor vier kräftige Akkorde das Werk beenden.

2003
W.A.MOZART
Quartett Es-Dur, op. 428

Auch Mozart hat in seinem Es-Dur-Quartett, KV 428, einem verehrten Komponistenfreund ein Denkmal gesetzt: Joseph Haydn. Ganz allgemein gilt dies für die stilistischen Voraussetzungen, unter denen er dieses Quartett und seine fünf Schwesterwerke 1782 bis 1785 geschaffen hat. Ganz konkret finden sich in jedem der sechs Werke mehr oder weniger deutliche Anklänge an Haydns Quartette Opus 33, die 1782 im Druck erschienen waren. Für Mozart, der selbst ein leidenschaftlicher Quartettspieler an Geige oder Bratsche war, waren sie die Initialzündung zu einem eigenen Wiener Quartettzyklus auf dem Niveau des neuen klassischen Stils. Als seine “Haydn-Quartette” sind sie in die Geschichte eingegangen, denn er hat sie seinem “lieben Freund Haydn” gewidmet.

In der Dedikation “al mio caro amico Haydn” betonte Mozart, wie sehr ihm Haydns Streichquartette Leitstern und Inspiration gewesen waren. Seine eigenen Quartette nannte er Kinder, die er unter dem Schutz des großen Mannes in die Welt entlasse. Sie seien “il frutto di una lunga, e laboriosa fattica”, die Frucht einer langen, mühsamen Arbeit, wobei Haydn selbst “bei seinem letzten Aufenthalt in Wien” seine Zufriedenheit mit den Stücken ausgedrückt habe. Mozart spielte damit auf zwei denkwürdige Quartettabende in seinem Hause an: Am 15. Januar und am 12. Februar 1785 hatte er den Freund zu sich eingeladen, um ihm zuerst die früheren drei Quartette, dann die erst jüngst komponierten vorzuspielen. Vermutlich war Haydn als Geiger sogar selbst unter den Ausführenden des Quartetts, das an den übrigen Positionen mit Mozart an der Bratsche, Dittersdorf am Cello und anderen Freunden prominent genug besetzt war. Das Es-Dur-Quartett und seine Schwesterwerke beeindruckten damals Haydn so sehr, dass er Mozart sein berühmtes Kompliment machte, er sei “der größte Componist, den ich von Person und dem Namen nach kenne; er hat Geschmack, und überdieß die größte Compositionswissenschaft.”

Letztere, die Kompositionswissenschaft Mozarts, hat im Es-Dur-Quartett vom Sommer 1783 eine unter seinen Zeitgenossen einsame Höhe erklommen. Sowohl die radikale Chromatik des Hauptthemas im ersten Satz als auch die dichte Kette von Vorhalten, aus denen das Thema des langsamen Satzes gebildet ist, waren selbst bei Haydn ohne Vorbild. Mozart erschuf aus der Inspiration durch den großen Kollegen eine eigene Welt des Quartettstils und -klangs.

Sie bekundet sich im Kopfsatz des Es-Dur-Quartetts in der provozierenden Chromatik des Anfangs, der neun von zwölf Halbtönen der chromatischen Skala berührt. Gleich danach taucht der Klang in satte Fülle ein, kleine Akzente und kreisende Bewegungen, bevor das Thema, in noch erschreckendere Akkorde gekleidet, wiederkehrt. Manche Kritiker der Mozartzeit irritierte dieser Beginn so sehr, dass sie dem Komponisten vorwarfen, seine Quartette harmonisch allzu freizügig zu “würzen”. Trotz der kunstvollen Kontrapunkte und Harmonisierungen, die Mozart dem Thema im Satzverlauf angedeihen lässt, verliert es kaum etwas von seiner radikalen Fremdheit. Seltsam verschattet ist auch das Seitenthema, eine grazile Gavotte, die aber in g-Moll ansetzt und c-Moll berührt, bevor sie endlich nach B-Dur einlenkt.
Noch in den absteigenden Linien der Schlussgruppe über dem pulsierendem Bass spürt man die Erregung des Satzes, gepaart mit dem typischen Hell-Dunkel von Mozarts Harmonik. In der Durchführung kommt diese unterschwellige Erregung zum Ausbruch: wild bewegte Moll-Akkordbrechungen wechseln mit Motiven ab, die gleichsam den Atem anhalten. Der Dramatiker Mozart legte auch in diese Musik für vier Instrumente die ganze Spannung seiner Opernensembles. Die Erregung des Satzes und das seltsame Zwielicht der Harmonik halten bis in die Schlusstakte hinein an.

Ebenso mozartisch wie die Chromatik im Kopfsatz muten die weichen Vorhalte an, mit denen das Andante con moto einsetzt. Wie zu Beginn einer Orgelfantasie oder einer Messe erhebt sich über gebrochenen Dreiklängen des Cellos (einem typischen Orgelbass) der Chorgesang der Instrumente feierlich in die Höhe. Der zu erwartende Durchbruch zur Kantilene, zum melodischen Solo der ersten Violine, bleibt aus. Der Satz verharrt in stockender Bewegung, die immer wieder von Pausen durchsetzt und von Chromatik unterwandert wird. Ständige Dur-Moll-Wechsel auf kleinstem Raum lassen an ein Nachtstück denken, ähnlich dem langsamen Satz der Prager Sinfonie. Die Dreiklangsbrechungen des Cellos werden dabei zum Gegenstand fast permanenter Metamorphose bis hin zu ihrer Umkehrung im Mittelteil.

Nach zwei so anspruchsvollen Sätzen hat Mozart den Rest des Quartetts als humorvolle Entspannung angelegt und dabei nach Kräften den Grand seigneur des klassischen Humors, Haydn, zitiert. Sowohl die holprigen Auftakte zum Menuett mit ihren Doppel-Vorschlägen als auch das Finalthema lassen sich auf konkrete Vorbilder aus Haydns Opus 33 zurückführen.

Im Menuett hat Mozart noch die typischen rhythmischen Finessen Haydns und seinen Bordunklang hinzugegeben, im Finale die Nonchalance des Contretanzes, mit dem die Wiener Klassiker in ihren Finali so gerne jonglierten. Im c-Moll-Trio des Menuetts freilich und in der Durchführung des Sonatenrondos bricht das chromatische Zwielicht der ersten beiden Sätze noch einmal auf. Ganz und gar mozartisch ist die Eleganz, mit der die erste Violine am Ende auf das Rondothema noch einen Gassenhauer draufsetzt und sich alle vier Protagonisten beinahe im Pianissimo davonstehlen.

Karl Böhmer