Trio Élégiaque Nr. 1 g-Moll | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Sergej Rachmaninow

Trio Élégiaque Nr. 1 g-Moll

Trio Élègiaque Nr. 1 g-Moll

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3108

Satzbezeichnungen

Lento lugubre – più vivo

Erläuterungen

2003

SERGEJ RACHMANINOW
Trio élégiaque Nr. 1 g-Moll

Die russische Eigenart, die Form des Klaviertrios mit elegischem Inhalt zu füllen, wurde 1832 von Michail Glinka, dem Vater der nationalrussischen Musik, begründet. Pjotr I. Tschaikowsky monumentalisierte sie mit seinem Klaviertrio À la memoire d’un grande artiste, das er dem Andenken seines Musikerfreundes Nikolaj Rubinstein widmete. Zehn Jahre nach diesem Werk von 1882 schrieb Sergej Rachmaninow sein erstes Klaviertrio in g-Moll, und fast selbstverständlich folgte auch er dem Duktus der Vorgänger: er nannte es „elegisches Trio“, Trio élégiaque. Als im Jahr darauf 1893 Tschaikowsky starb, griff er den Titel noch einmal auf und schuf sein Trio élégiaque Nr. 2 in d-Moll, das er, Tschaikowsky zitierend, dessen Andenken widmete: À la memoire d’un grande artiste. Im Gegensatz zu diesem monumentalen Werk, dessen drei Sätze eine Spieldauer von 45 Minuten erreichen, ist das erste Trio in g-Moll ein kompaktes einsätziges Stück. Auf wen sich hier die Klage oder gar Totenklage bezieht, hat Rachmaninoff verschwiegen. Man kann den Titel Trio élégiaque auch als Selbstbekenntnis des Komponisten verstehen. Rachmaninoff war berühmt-berüchtigt dafür, nie zu lächeln, geschweige denn zu lachen. Melancholie galt als sein hervorstechendes Charakter-Merkmal.

Der Komponist dieser hoch expressiven Musik war gerade mal 18 Jahre alt, hatte das Klavierexamen am Petersburger Konservatorium glanzvoll hinter sich gebracht und stand vor seiner Kompositionsprüfung, die er mit dem Operneinakter Aleko nach Puschkin so makellos absolvieren sollte, dass man ihm die Große Goldmedaille des Instituts verlieh – ein Prädikat, das so gut wie nie vergeben wurde. Auch sein erstes Klavierkonzert hatte Rachmaninoff damals schon geschrieben; sein notorisches cis-Moll-Prélude für Klavier sollte im Herbst 1892 folgen. Die Zeitgenossen waren konsterniert vom Genie des jungen Komponisten. Tschaikowsky fand seine Erstlingsoper Aleko so beeindruckend, dass er den jungen Mann großherzig förderte; auch dessen zweite sinfonische Dichtung Der Felsen nach Lermontov lobte er für ihre Farbigkeit.

Vor dem Hintergrund dieser ersten Meisterwerke eines jungen Genies wird auch der zerklüftete Aufbau und wild-romantische Duktus des ersten Klaviertrios verständlich: man hat es mit einer Art „Sinfonischer Dichtung“ für drei Instrumente zu tun, worin Opernhaftes und die Anregung durch Poeten wie Puschkin und Lermontov sich verbinden. Den Ton des Ganzen legt das einleitende Thema des Klaviers fest. Im Lento lugubre, im düster-breiten Duktus entwickelt sich daraus ein monumentaler Sonatensatz mit verschiedenen Episoden, die alle im Tempo und Ausdruck variieren. Häufiges più vivo, rubato etc. zeigt es an. Den Höhepunkt des Satzes bildet ein Trauermarsch, der sich zu orchestraler Klangfülle aufschwingt.
Die Uraufführung des Trios spielte der 18jährige Rachmaninoff zusammen mit dem Geiger David Kreyn und dem Cellisten Anatolji Brandukov, dem damals berühmtesten russischen Cellovirtuosen, für den er zehn Jahre später seine Cellosonate schreiben sollte.

Mitten im russischen Winter war es, als die beiden Werke unseres heutigen Programms ihre Uraufführungen erlebten: Tschaikowskys Ballett „Der Nussknacker“ wurde am Nikolaustag des Jahres 1892 im Marientheater in St. Petersburg uraufgeführt, Rachmaninows 2. Sinfonie am 26. Januar 1908 in derselben Stadt. Die Daten basieren jeweils auf dem julianischen Kalender, da der gregorianische in Russland damals noch nicht eingeführt war – ein Detail nur, aber ein wichtiges. Denn für den „Nussknacker“ war der Zusammenhang mit St. Nikolaus fraglos zentral, für die Zweite von Rachmaninow der Ende Januar besonders erdrückende Schnee eine unabdingbare Voraussetzung zum Verständnis dieser glühenden Musik. Dass uns unter modernen klimatischen Bedingungen leicht der Blick für den russischen Winter hinter diesen Noten abhanden kommt, trübt ihren ursprünglichen jahreszeitlichen Zusammenhang ein wenig.