"Undinesonate" e-Moll, op. 167 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Carl Reinecke

"Undinesonate" e-Moll, op. 167

“Undine”. Sonate e-Moll für Flöte und Klavier, op. 167

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3133

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Intermezzo. Allegretto vivace – più lento, quasi andante

3. Andante tranquillo

4. Finale. Allegro molto agitato ed appassionato, quasi presto

Erläuterungen

Die romantische Flötensonate wurde nie geschrieben. Weder Mendelssohn noch Schumann, weder Brahms noch Dvorak haben dem Instrument ein Werk gewidmet, von einer Sonate ganz zu schweigen. Außer Schuberts Variationen und Webers Trio beschränkt sich das romantische Flötenrepertoire auf Werke so genannter Kleinmeister, Sonaten von Rietz, Molique oder Kuhlau. Einzig die Undine-Sonate von Carl Reinecke passt nicht in diese Kategorie zwar verdienstvoller, letztlich aber doch typischer Flötensonaten. Als wichtigster Vertreter der Leipziger Schule nach Schumann und Mendelssohn konnte Reinecke für sich in Anspruch nehmen, Erbe der Romantiker zu sein. Man könnte ihn als “deutschen Saint-Saens” bezeichnen, was das feine melodische Gespür und die harmonische Eleganz seiner Musik anbelangt.

Der Flöte hat Reinecke ein Konzert und seine Sonate gewidmet. Für letztere ließ er sich durch de la Motte-Fouqués Märchen Undine (1811) anregen. Der Wunsch der Nixe Undine nach einer menschlichen Seele vermischt sich auf typisch romantische Weise mit ihrer Liebe zum Ritter Huldbrand, der sie zugunsten einer Menschenfrau verlässt und ihr damit Glück und Seele raubt. Die Umsetzung dieses poetischen Programms unterscheidet die Undinesonate vom Einerlei typischer Virtuosensonaten. In seinem poetischen Gehalt verschafft es der Flöte eine romantische Rolle, die vollendet zu ihrem Ausdrucksspektrum passt. Die Ahnung von freier Natur, die im Klang der Flöte liegt, ihre schon vom Barock goutierte Aura eines Liebesinstruments und die weiche Zeichnung ihres Tons schaffen ein ideales Medium für die Geschichte von der unglücklichen Liebe Undines.

Der erste Satz, ein Allegro in romantisch ausgedehnter Sonatenform von über 250 Takten, führt uns die Titelheldin vor Augen. In der günstigsten Flötentonart e-Moll und ihrer Variante E-Dur wird Undine in leuchtenden Farben gemalt. Reinecke gebrauchte Motive, die schon Mendelssohn für eine Verwandte Undines, die schöne Melusine, in seiner gleichnamigen Konzertouvertüre verwendet hatte: ein Quint-Oktav-Thema im Sechsertakt als Symbol der Nixe, Sechzehntelwellen als Metapher für ihr Element, das Wasser. Melodisch besonders reizvoll ist das h-Moll Seitenthema der Flöte über der Wellenbewegung des Klaviers, ein Symbol für Undines Sehnsucht. Die Durchführung lässt die dramatischen Wendungen der Geschichte schon erahnen.

An zweiter Stelle folgt ein Intermezzo in h-Moll, eine flirrende Studie in gebrochenen Staccato-Akkorden, die Flöte und Klavier einander zuspielen. In der Mitte des Hauptteils tritt der Ritter auf: eine stolze G-Dur-Gestalt in punktierten Rhythmen des Klaviers. Im Trio kommt es dann zur ersten Begegnung zwischen den Liebenden. Geheimnisvoll (Misterioso) tritt Undine aus dem Schilf, eine H-Dur-Melodie der Flöte, die ohne jegliche Bebung im Ton zu spielen ist. Ihre überirdische Schönheit zieht den Ritter in ihren Bann.

Der dritte Satz, ein schumanneskes G-Dur-Andante von großer Zartheit, schildert die innige Zuneigung des Paares. Die Stimmen von Flöte und Klavier laufen durchweg parallel, wie in einem Liebesduett. Nur im Molto vivace-Mittelteil kommt es zur Trennung der Instrumente, zu kurz aufflackerndem Streit. Dessen Konsequenzen hören wir im Finale: Undines Abschied, der zum tragischen Grundton e-Moll zurückkehrt. Mit einer unendlich sehnsüchtigen Melodie voller chromatischer Nebennoten (h-und c-Moll klingen an) nimmt die Nixe Abschied von den Menschen. Reinecke schrieb hier der Flöte eines ihrer schönsten Themen auf den Leib. Die Klavierbegleitung aus gebrochenen Akkorden signalisiert die Rückkehr der Heldin in ihr Element. Doch Reinecke wäre nicht ein Romantiker, wenn die Sonate nicht mit einer Reminiszenz an die vergangene Liebe schlösse. Più lento und im sanft schimmernden E-Dur klingt das Thema der Undine-Erscheinung aus dem zweiten Satz noch einmal an, bevor die Sonate mit verdämmernden Dur-Akkorden schließt.