Streichquartett Nr. 3 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Bohuslav Martinu

Streichquartett Nr. 3

Quartett Nr. 3 für 2 Violinen, Viola und Violoncello (1929)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3491

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Andante

3. Vivo

Erläuterungen

2004
BOHUSLAV MARTINU
Streichquartett Nr. 3

Im Grenzland zwischen Böhmen und Mähren, in der bömisch-mährischen Hochebene, wuchs um 1900 ein junger Musiker heran, den man in der Kammermusik mit Recht den wahren Erben Antonin Dvoraks genannt hat: Bohuslav Martinu. In seinen wundervollen Streichquartetten, seinen Serenaden für Klarinetten und Streicher, seiner Bläser-Kammermusik mit und ohne Klavier gipfelt die tschechische Kammermusik des 20. Jahrhunderts.

Der Schneider des kleinen Städtchens Policka war sein erster Geigenlehrer, und schon mit 12 versuchte sich Bohuslav an einem ersten Streichquartett. Mit 16 ging er nach Prag, zum einen, um Geige zu studieren, zum anderen in der erklärten Absicht, Komponist zu werden. Seine lnstrumentallehrer verdross dieser Berufswunsch, denn je mehr Martinu komponierte, desto weniger gewissenhaft übte er weder auf der Violine noch auf Orgel und Klavier. Mit 20 flog er vom Konservatorium, und erst nach dem Ersten Weltkrieg bekam er eine Geigerstelle im Orchester des Prager Nationaltheaters. Auch hier trat rasch wieder seine eigentliche Passion in den Vordergrund, denn seine vom Orchester aufgeführte Tschechische Rhapsodie bescherte ihm den Smetana-Preis.

Ein zweiter Anlauf am Prager Konservatorium, diesmal in der Kompositionsklasse von Dvoraks Schwiegersohn Josef Suk, verlief vielversprechend. Doch schon nach einem Jahr begab sich Martinu mit einem Stipendium nach Paris, um dort bei Albert Roussel zu studieren. Drei Monate waren vorgesehen, es wurden 17 Jahre daraus.

1923 angekommen, verhalf ihm erst 1928 das Ballett La Revue de cuisine zum Durchbruch. Er fand einen französischen Verleger (Alphonse Leduc) und eine französische Frau, Dirigenten, die sein Werk bewunderten wie Ansermet, Munch und Paul Sacher sowie Mäzene, die ihn mit Preisen bedachten. Mehrfach konnte er es sich leisten, die Nachfolge Janaceks als Leiter des Konservatoriums in Brno (Brünn) auszuschlagen.

Ein Werk seiner Pariser Jahre ist das 1929 komponierte 3. Streichquartett, das dissonanteste und dezidiert “modernste” seiner 7 Quartette. Über einem flirrenden Klanggrund aus Col Legno und Trillern entfaltet sich im ersten Satz eine nervöse Geigenmelodie. Ihre aufgeregten Tonrepetitionen werden von den anderen Instrumenten aufgegriffen. Das zweite Thema beruht auf einem ähnlich synkopischem Rhythmus wie das erste, ist aber nicht mehr als ein kurzes Atemholen im steten Drängen und Treiben der Sechzehntel. Klang und Rhythmik des Satzes stehen unter dem Eindruck einer Begeisterung für den Fernen Osten, für Gamellanorchester und indische Musik, wie sie die Pariser Komponisten seit 1900 an den Tag legten.

Freie Dissonanzbildung und vagierende Linienführung prägen auch den langsamen Mittelsatz. Kurze Ansätze zu lyrischer Melodie werden immer wieder von herber Chromatik verdrängt. Lange Fauxbourdon-Ketten und Sextparallelen zwischen erster Violine und Cello durchziehen als Konstante den Satz, dessen Grundton klagend bleibt. Er mündet in ein Lamento der Bratsche vor dem Hintergrund bedrohlicher Trillerketten. Erst im Schlussakkord löst sich die Spannung in versöhnliches Dur auf.

Das nervöse Linienspiel des Quartetts gipfelt im Finale, einem Pandämonium aus rasenden Sechzehntel-Läufen. Nach dem ersten Durchlauf verdichtet sich die Energie in perkussiven Akkorden nach Bartokscher Manier. Eine Flageolett-Melodie über folkloristischem Klanggrund gemahnt an spätere Techniken bei Schostakowitsch. Bei Martinu entsteht daraus ein kurzes lyrisches Verweilen im Volkston, bevor der Satz zum finalen Sturmlauf ansetzt. Drei knappe Akkorde setzen den lakonischen Schusspunkt.