Sonate c-Moll "Grande Sonate Pathétique" op. 12 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Beethoven

Sonate c-Moll "Grande Sonate Pathétique" op. 12

Sonate c-Moll „Grande Sonate Pathétique“, op. 12

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3514

Satzbezeichnungen

1. Grave – Allegro di molto e con brio

2. Adagio cantabile

3. Rondo. Allegro

Erläuterungen

2004
LUDWIG VAN BEETHOVEN

Sonate Pathetique c-Moll, op. 13

„Gewaltig, mächtig und ergreifend trat Beethoven als Klavierkomponist auf“, so berichtete das Wiener Journal für Theater, Musik und Mode. Den jungen Beethoven am Pianoforte zu erleben, muss für das Wiener Publikum um 1800 ein Schock gewesen sein. „Mit dem Feuer der Jugend trat er kühn (um heftige Leidenschaften auszurücken) in weit entfernte Tonleitern. In diesen erschütternden Aufregungen wurde mein Empfindungsvermögen sehr getroffen“, berichtete der Zeitgenosse Johann Schenk. Weniger vornehm beschrieb es der Pianist Abbé Gelinek: „Ein kleiner hässlicher, schwarz und störrisch aussehender junger Mann“, in dem „der Satan“ steckte: „Nie hab‘ ich so spielen gehört! (Er spielte) eigene Kompositionen, die im höchsten Grade wunderbar und großartig sind, und er bringt auf dem Klavier Schwierigkeiten und Effekte hervor, von denen wir uns nie etwas haben träumen lassen.“
Die frühen Sonaten des Meisters bis hin zu Opus 13 lassen am deutlichsten diese Sensation des „Satans“ am Pianoforte spüren, zugleich aber auch die Kompromisslosigkeit, mit der Beethoven die eigene Klaviertechnik und die überkommene klassische Form der Klaviersonate bis an ihre Grenzen auslotete – und darüber hinaus. Der Experimente ist in den frühen Sonaten wahrlich genug, und stets erkennt man dahinter den emphatischen Versuch, Neues auszudrücken, sich in die Regionen jenes „in höchstem Grade Wunderbaren“ vorzuwagen, das die Zeitgenossen bis ins Mark ihrer Empfindungen traf. Höhepunkt dieses Spiels mit der Empfindung war jene Sonate, die Beethoven ganz in den Dienst des pathetischen Ausdrucks stellte: die Grande Sonate Pathétique, Opus 13.

Solch emphatischen Titel verlieh Beethoven jener düsteren Charakterstudie in c-Moll, die er 1799 als sein Opus 13 im Druck erscheinen ließ. Es war sein erster Versuch, eine ganze Sonate gleichsam als Abhandlung über den Mechanismus „leidenschaftlicher Empfindungen“ zu schreiben. Er wiederholte das Experiment später in der Sonata appassionata. Wenn die Zeitgenossen an seiner KIaviermusik den „bestimmten Charakter“ bewunderten, so fanden sie hier reichlich Gelegenheit dazu: „Nicht mit Unrecht heißt diese wohl ,geschriebene Sonate pathetisch, denn sie hat wirklich bestimmt leidenschaftlichen Charakter“, heißt es in einer Rezension von 1800.

Man kann ohne weiteres auf den Beginn der Sonate anwenden, was Schenk vom improvisierenden Beethoven überliefert: „Nach einigen Anklängen und gleichsam hingeworfenen Figuren, entschleierte der selbstschaffende Genius so nach und nach sein tiefempfundenes Seelengemälde.“ In der langsamen Einleitung folgt auf den punktierten Rhythmus als „Anklang“ an barocke Pathosformeln eine Cantabile-Passage, die den Vorhang vor dem intendierten „Seelengemälde“ lüftet. Das folgende Allegro molto e con brio dagegen lebt von jenen „mannigfaltigen Motiven, die er klar und mit überreicher Anmuth so lieblich zu verwehen wusste.“ Solche Verwebung findet beispielsweise im Seitenthema statt, wo es zu einem imaginären Duett zwischen zwei Stingstimmen kommt. „Nun begann er unter mancherlei Wendungen, mittelst gefälliger Modulationen, bis zur himmlischen Melodie hinzugleiten, jenen hohen Idealen, die man in seinen Werken häufig vorfindet. Nachdem der Künstler seine Virtuosität so meisterhaft beurkundet, verändert er die süßen Klänge in traurig wehmütige, sodann in zärtlich rührende Affecte, dieselben wieder in freudige bis zur scherzenden Tändeley. Jeder dieser Figuren gab er einen bestimmten Charakter, und sie trugen das Gepräge leidenschaftlicher Empfindung, in denen er das Eigene selbstempfunden rein aussprach“ Musik als reiner Ausdruck des „Selbstempfundenen“, Modulationen, die alle Schranken sprengten, Klaviermusik von „bestimmtem Charakter“ und „leidenschaftlichem Gepräge“: das war es, was die Zuhörer am jungen Beethoven begeisterte.

In der Form des ersten Satzes fasste er alle Facetten des Pathetischen wie in einer Versuchsanordnung zusammen. Die langsame Einleitung zeichnet ein Bild der Erstarrung; es ist ein scheinbar planloses Brüten in Schwermut, aus dem wie in heftiger Aufwallung das Allegro molto e con brio hervorbricht. Der Übergang ist jedoch ebenso wohl kalkuliert wie die zweimalige Wiederkehr der langsamen Einleitung – angelehnt an Mozarts Fantasie c-Moll -, die der spannungsvollen Gliederung des psychologischen Vorgangs dienst. „Ich höre und sehe das Bild in seiner ganzen Ausdehnung, wie in einem Gusse vor meinem Geiste stehen“, sagte Beethoven einmal bezüglich seiner Inspiration. Die Form im Kopfsatz der Pathétique ist dafür ein Musterbeispiel.

Im Adagio folgt der Appell an die „hohen Ideale“ in Form seligen Gesangs. „Das Gemüt wiegt sich ein in Ruhe und Trostgefühl“, so empfand der Rezensent von 1800 dieses As-Dur-Adagio, dessen Thema aus tiefer Lage sich im dritten Takt so vielsagend gen Himmel wendet. Im Rondofinale ist Beethoven dann noch einmal Mozart nahe gekommen: der c-Moll-Sonate, KV 457, und – seltsam genug – der Melodie „Du feines Täubchen, nur herein“ aus dem Terzett zwischen Monostatos, Pamina und Papageno in der Zauberflöte, die hier nach Moll und ins Empfindsam-Romantische gewendet erscheint. Wieder entsteht aus diesen „Anklängen und hingeworfenen Figuren“ ein Bild von unverwechselbarer Originalität, in dem aus klassischen Zitaten „erschütternde Aufregungen“ erwachsen.“