Serenade A-Dur, op. 16 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johannes Brahms

Serenade A-Dur, op. 16

Serenade Nr. 2 A-Dur für kleines Orchester, op. 16

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 376

Satzbezeichnungen

1. Allegro moderato

2. Scherzo. Vivace – Trio

3. Adagio non troppo

4. Quasi Menuetto – Trio

5. Rondo. Allegro

Erläuterungen

2002
JOHANNES BRAHMS
Serenade Nr. 2 A-Dur, op. 16

Johannes Brahms hat seine zweite Serenade, op. 16, für kleines Orchester bestimmt. Daran besteht kein Zweifel. In einem seiner Briefe empfahl er eine chorische Streicherbesetzung mit 8 oder mehr Bratschen, 6 Celli und 4 Kontrabässen. Ebenso unzweifelhaft sind es jedoch die Bläser, die die Partitur dominieren. Je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten, Hörner und Fagotte sowie ein Piccolo im Finale agieren so selbstbewusst wie in einer Bläserserenade, weshalb das Werk denn auch „nicht recht in große Konzertsäle passen“ will, wie schon Wilhelm Altmann meinte.

Unsere Interpreten entschlossen sich deshalb, die A-Dur-Serenade in der denkbar intimsten Form mit Bläsern und solistischen Streichern aufzuführen. In dieser kammermusikalischen Version werden Brahms´ Absichten deutlicher als im orchestralen Original: es ging ihm um eine Hommage an die „Harmoniemusik“ der Wiener Klassik, wie man damals die Bläsermusik nannte. Mozart, Beethoven, Rosetti oder Wendt verwendeten für ihre Serenaden eben jene Bläserpaare, die auch Brahms heranzog, und kombinierten sie mit obligatem oder stützendem Kontrabass. Brahms fügte dem eigentlich nur die Stimmen für Bratsche und Cello sowie eine Piccoloflöte im Finale hinzu, um daraus ein romantisches Orchesterstück zu machen – freilich eines ohne Violinen und mit eindeutiger Bläserdominanz.

Der Klang der Bläser und tiefen Streicher verleiht dem Stück einen ganz eigenartigen Reiz, durch den es „so ganz als ein richtiges Nachtstück gelten darf“ (Altmann). Selbst Brahms, sonst ein unerbittlicher Richter seiner eigenen Werke, musste vor dem Charme dieses Klangs die Waffen strecken. Jedes Mal, wenn er seiner Serenade aus dem ein oder anderen Grund wiederbegegnete, war er voll des Lobs, das ganz ausnahmsweise ein Eigenlob war. Im Mai 1860, ein halbes Jahr nach Vollendung der Partitur, bearbeitete er sie für Klavier zu vier Händen und verfiel dem Charme des Stückes, wie er seinem Freund Joseph Joachim gestand: „Lache nicht! Mir war ganz wonniglich dabei zu Mute. Mit solcher Lust habe ich selten Noten geschrieben; die Töne drangen so liebevoll und weich in mich, daß ich durch und durch heiter war.“ Noch 1875 schwärmte er für das „zärtliche Stück“ und empfahl den Wiener Philharmonikern ein besonders gewissenhaftes Probieren, um die Feinheiten der Partitur angemessen zur Geltung zu bringen. Auch den Breslauer Dirigenten Bernhard Scholz versuchte er, zu Extraproben zu animieren, denn „erster Satz und Adagio kommen doch schwer wirklich hübsch und gut heraus“. Brahms´ Nachsatz zu dieser Briefstelle belegt noch einmal seine Begeisterung: „Als ich den Briefbogen nahm, hatte ich doch wohl so heimlich etwas Wagnersche Neigung, über mein schönes Opus sehr Schönes und Weitläufiges zu schreiben!“ Im Gegensatz zu Richard Wagner, der seine Werke in seitenlangen Elogen zu preisen pflegte, widerstand Brahms für gewöhnlich der Versuchung zu jeder Form von Selbstdarstellung. Die A-Dur-Serenade ließ ihn diese Zurückhaltung beinahe vergessen, so sehr liebte er dieses Stück und seinen Klang.

Um das „zärtliche Stück“ richtig zu würdigen, muss man bedenken, dass es das Werk eines 25jährigen war, der von seiner Ersten Sinfonie noch beinahe zwei Jahrzehnte entfernt war. Brahms begann die Serenade parallel zur ersten Serenade in D-Dur 1858 in Detmold. Der Kopfsatz ging schon im November jenes Jahres an Clara Schumann und Julius Otto Grimm. Adagio und Menuett folgten bis zum September 1859, im November war das fünfsätzige Stück vollendet. An der Instrumentierung hatte Brahms zunächst ebenso große Zweifel wie am Orchesterklang der ersten Serenade und des ersten Klavierkonzerts, doch gleich die Proben im Januar 1860 bewiesen, dass das Werk gut klang. Die Uraufführung im Februar 1860 in Hamburg wurde zu einem Erfolg, der dem Stück bis heute treu blieb.

Zum ersten Satz, Allegro moderato, meinte Brahms´ Göttinger Mentor Julius Otto Grimm: „Es weht durch ihn das gewisse Musikbehagen, welches doch nur ganz wenige Komponisten erwecken können, weil man dazu ein Ur-Musikant sein muss.“ Brahms, für gewöhnlich alles andere als ein „Ur-Musikant“, vielmehr eine die Musik akribisch durchforstende Denkernatur, hat in diesem Fall einmal auf zu dichte motivische Arbeit verzichtet und sich ganz dem Reiz des Bläserklangs überlassen. Das „Musikbehagen“, das die Themen des Kopfsatzes verströmen, wird durch kein unerbittliches Motivnetz getrübt. Das Hauptthema besteht aus einem einzigen ruhigen Aufwärtszug von Sextsprüngen aus der tiefen Lage der Klarinetten ins hohe Flötenregister. Eine absteigende Triolenkette in a-Moll scheint einen Schatten darauf zu werfen, dient im weiteren Fortgang jedoch nur der harmonischen Farbigkeit, die durch häufige Dur-Moll-Wechsel etwas Schubertisches hat. Auch sonst wird man häufiger an Klangwirkungen aus Schuberts Sinfonien erinnert. Das Seitenthema ist ein einfacher Terzengesang der Klarinetten, der so manches Seitenthema in den Brahms-Sinfonien vorwegnimmt. In der Durchführung hat Brahms dieses Material auf geniale Weise „dramatisiert“. Erst hier kommt es zum ersten Fortissimo des Satzes. Ganz gegen seine Gewohnheit, kraftvoll-konzise Schlüsse zu schreiben, hat er den Schluss quasi verdämmern lassen. Dadurch gewinnt der Einsatz des C-Dur-Scherzos noch mehr an Gewicht. Das ständig gegen den Takt arbeitende, ungestüme Stück im Vivace verrät, wie genau der junge Brahms die Metrik Haydns studiert hat. Im Trio wandelte er dagegen wieder auf Schuberts Bahnen.

„Was soll ich Dir über das Adagio sagen?“ schrieb Clara Schumann förmlich fassungslos über den dritten Satz an Brahms. „Mir ist dabei, als könne ich kein Wort finden für die Wonne, die mir dies Stück verschafft… Es ist wunderbar schön! Das ganze Stück hat etwas Kirchliches, es könnte ein Eleison sein.“ Der Gedanke an ein geistliches Chorstück hat seine Gründe: Das Adagio ist wie eine barocke Passcaglia gebaut. Über einem mehrmals wiederkehrenden a-Moll-Thema der Bässe und Bratschen entwickeln Flöte und Klarinetten im Kanon eine schwermütige Melodie. Bassthema und Kontrapunkt könnten aus einem Kantatensatz Johann Sebastian Bachs stammen, zumal Brahms den 12/8-Takt, eine Lieblingstaktart Bachs, verwendete. Ging es ihm im ersten Satz um eine Hommage an Schubert, in den tänzerischen Sätzen um einen haydnesken Tonfall, so hat er hier Bach seine Reverenz erwiesen. Schon der junge Brahms war ein Sammler der damals noch spärlichen Ausgaben von Bachkantaten, deren Satzmuster er hier in ein quasi-religiöses romantisches Stimmungsbild umdeutete. Nach einer düsteren Überleitung aus schubertschen Tremoloschauern und Fortissimo-Akkorden wandelt sich das Bild. Aus einem Hornsolo steigt der klangschöne Bläser-Mittelteil in As-Dur hervor, der in einer wunderbaren Espressivo-Melodie der Klarinette gipfelt. Danach wird das Bassthema einer fugierten Durchführung in c-Moll unterzogen, bevor es in der Form des Anfangs mit Bläserkontrapunkt wiedererscheint. Der Satz endet, wie er begonnen hat: im gotischen Halbdunkel eines Quasi Religioso-Klangs.

Hell und freundlich schließt sich ein Quasi Menuetto an – „quasi“ deshalb, weil Brahms hier das Menuett der klassischen Serenaden nicht einfach kopierte, sondern in den Klang der Romantik übertrug. „Sehr anmutig“ und „etwas Haydnsch“ fand Clara Schumann diesen Satz, der in den streng paarig geführten Bläsern die klassische Harmoniemusik zitiert. Die innige Oboenmelodie des Trios scheint auf zart romantische Weise der Mozartzeit nachzusinnen. Brahms gestattete ausdrücklich, dieses Solo auch auf der Geige oder Bratsche zu spielen, doch nur auf der Oboe kommt die „eigentümlich schwebende Melodie“ (Clara Schumann) zur Geltung. Zum Finale haben sich Brahms und seine Freunde nicht geäußert. In seiner übersichtlichen Rondoform, der ansteckend guten Laune und dem „ur-musikantischen Musikbehagen“ wurde es von den guten Geistern Schuberts und Mozarts inspiriert – ein ebenso vitaler wie geistvoller Tribut an die gute alte Zeit. (Karl Böhmer)