Cellosonate e-Moll, op. 38 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johannes Brahms

Cellosonate e-Moll, op. 38

Sonate e-Moll für Violoncello und Klavier, op. 38

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 388

Satzbezeichnungen

1. Allegro non troppo

2. Allegretto quasi Menuetto

3. Allegro

Erläuterungen

Seine erste Cellosonate begann Johannes Brahms im Sommer 1862 bei Bad Münster am Stein, in Ebernburg am anderen Ufer der Nahe. Vollendet hat er sie 1865, publiziert ein Jahr später, versehen mit einer Widmung an seinen Juristenfreund Dr. Josef Gänsbacher. Es war mithin eine Freundschaftsgabe für einen begeisterten Cellisten wie Beethovens Cellosonate Opus 69, von deren Anfang sich Brahms hier hörbar inspirieren ließ.

„Der männlich ernste Charakter des Instruments“ hatte ihn seit seinen Hamburger Jugendtagen in seinen Bann geschlagen, seit er selbst Cellounterricht erhalten und es auf dem Instrument weit gebracht hatte. Zunächst aber waren es größer besetzte Kammermusikwerke, in denen er dem Cello die schönsten Kantilenen anvertraute. Man denke nur an den Beginn des ersten Klaviertrios Opus 8 oder an das ebenso schöne Cellothema, mit dem das erste Streichsextett Opus 18 anhebt. Erst nach der Vollendung dieser Meisterwerke und der beiden ersten Klavierquartette mit ihren sonoren Cellopartien wandte er sich einer Cellosonate zu. In ihrem tief melancholischen Charakter und ihren Trauerthemen wurde sie so paradigmatisch für das Instrument, dass er sich erst Jahrzehnte später, im Sommer 1886, an eine zweite Cellosonate wagte. Wie so oft bei Brahms bilden die beiden Sonaten ein Gegensatzpaar in Dur und Moll – „Licht und Schatten“, wie der Komponist sagte.

Bemerkenswert an der ersten Cello- sonate ist allein schon ihre Tonart: Werke in e-Moll finden sich in der großen Sonatenliteratur nur äußerst selten. Brahms dachte zweifellos an die e-Moll-Violinsonate KV 304 von Mozart mit ihrem ganz unverwechselbaren Charakter, vielleicht auch an die tiefe Bedeutung von e-Moll bei Bach, in der Matthäuspassion, der 6. Partita für Cembalo und mehreren, besonders ausdrucksstarken Kantaten. Er selbst hat nur noch einmal auf die Tonart zurückgegriffen: in der Vierten Sinfonie.

Den größten Teil der e-Moll-Sonate schrieb Brahms im Sommer 1862 bei Bad Münster am Stein. In dem idyllischen Badeort an der Nahe weilte damals Clara Schumann zur Kur. Am anderen Ufer des Flusses quartierten sich Brahms und sein Geigerfreund Joseph Joachim unterhalb der Ebernburg ein, deren romantische Ruine sie an die großen Zeiten des Ullrich von Hutten und Ernst von Sickingen gemahnte. Während Clara im gegenüberliegenden Bad Münster ihren Kur-Anwendungen nachging und für die vornehmen Kurgäste musizierte, träumten die beiden jungen Männer von der ritterlichen Vergangenheit Deutschlands, vom sagenhaften „Mittelalter“.

Etwas von der geheimnisvollen Atmosphäre dieses Sommers spricht aus dem wundervollen, impressionistisch-zarten Beginn des Kopfsatzes. Er wirkt wie ein Eintauchen in versunkene Zeiten. Das weit ausgesponnene Hauptthema ist ein typisch Brahmsscher Gesang, der sich aus der tiefen Lage des Cellos in immer lichtere Höhen erhebt. Die „unendliche Melodie“ des Streichinstruments wird in zarte Vorhalte des Klaviers gehüllt, bis dieses selbst das Thema aufgreift, während das Cello in ausdruckssatten Gesten kommentiert. Eine ganz knappe Überleitung lenkt – wie in den ersten Sätzen Franz Schuberts – zum perlenden Seitenthema des Klaviers über, das vom Cello unvermutet zu höchster Emphase gesteigert wird. Dieser Ausbruch mündet in die leidenschaftliche Schlussgruppe, die sich erst ganz am Ende auf Schubertsche Weise beruhigt und von einer Art Rezitativ beendet wird. Dem schließt sich in plötzlichem Moll-Dur-Wechsel eine leuchtende Klanglandschaft an, in deren Zauber auch das Hauptthema gehüllt wird. Durchweg leidenschaftlich singend, hält die Durchführung fast vollständig am Hauptthema fest, bis aus einer riesigen fallenden Sequenz heraus die Reprise erreicht wird. Die wundervollen, wie Trauben am Weinstock hängenden Arpeggi, mit denen das Klavier nun das Cellothema umhüllt, zeugen vom Klangsinn des jungen Brahms, dem es eben nicht nur um Konstruktion und thematische Arbeit ging. An den Schluss des Satzes stellte er noch einmal die leuchtende E-Dur-Klangfläche aus der Durchführung.

Man hat es diesem Satz manchmal zum Vorwurf gemacht, dass durch sein Thema allzu deutlich sein großes Vorbild hindurch schimmere: der Beginn von Beethovens A-Dur-Sonate op. 69. Freilich hat Brahms diese thematische Anregung in etwas vollkommen Eigenes verwandelt. Ebenso selbstbewusst hat er sich im Fugenthema des Finales den Contrapunctus 13 aus Bachs Kunst der Fuge zum Vorbild genommen. Dieses Durchschlagen barocker und klassischer Vorbilder durch die Oberfläche einer romantisch strömenden, gefühlssatten Musik ist charakeristisch für den frühen Brahms.

Im Menuett-Mittelsatz ist es die Welt der Klaviertänze von Franz Schubert, die Brahms beschwor – mit einer Klaviermelodie in Oktaven und einem Kontrapunkt des Cellos. Eine leicht larmoyante chromatische Wendung eröffnet das Trio, das an die Walzer von Frédéric Chopin erinnert, den Brahms ebenso verehrte wie die großen Wiener Klassiker. (Er besaß das Autograph der letzten beiden Mazurken des polnischen Komponisten.)

Das durch Bach inspirierte Fugenfinale hat Brahms erst im Sommer 1865 in Lichtenthal bei Baden-Baden komponiert. Manche seiner Frühwerke ließ er in dieser Weise mehrere Jahre unvollendet liegen, um sie einer kritischen Prüfung zu unterziehen und erst danach zu vollenden. Im Falle der e-Moll-Sonate hatte das ausgedehnte Finale mit seinen kraftvollen Triolenrhythmen, den sich beständig steigernden Fugendurchführungen und dem monumentalen Schluss eine schmerzliche Konsequenz: Es fiel ihm der ursprüngliche dritte Satz zum Opfer, ein lyrisches Adagio. Weil dem Komponisten durch die Schlussfuge die ganze Sonate „zu voll mit Musik gestopft“ erschien, strich er vor der Publikation das Adagio – sehr zum Leidwesen des Widmungsträgers Gänsbacher. Der Jurist war dem Komponisten beim Erwerb des Autographs von Schuberts Lied Der Wanderer behilflich gewesen. Brahms revanchierte sich dafür mit der Widmung der Sonate – nicht ohne maliziös auf das gestrichene Adagio hinzuweisen. Alles Flehen half Gänsbacher nichts: Er bekam den unterdrückten Satz nie zu Gesicht und musste sich mit der dreisätzigen Sonate begnügen. Vielleicht hat Brahms das Cellothema jenes Adagios aber doch wieder verwendet, nämlich im wundervollen E-Dur-Andante seines dritten Klavierquartetts.

Als Brahms die vollendete Sonate zusammen mit seinem zweiten Streichsextett dem Verlag Breitkopf & Härtel anbot, erhielt er eine herbe Abfuhr. Fritz Simrock war mutiger und nahm beide Werke als Opera 36 und 38 in sein Verlagsprogramm auf. Mit einigem Recht kann man diese beiden Werke als Brahms’ Abschied von seiner Jugendzeit bezeichnen – als Übergang zum „mittleren Brahms“. Was die Cellosonate betrifft, wurde die Übersendung der gedruckten Noten an den Komponisten 1866 durch die Wirren der Schlacht bei Königgrätz und des preußisch-österreichischen Krieges verzögert.