Drei Streichtrios Opus 9 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Beethoven

Drei Streichtrios Opus 9

Trio G-Dur Opus 9 Nr. 1

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 4236

Satzbezeichnungen

Trio G-Dur Opus 9 Nr. 1

1. Adagio – Allegro con brio

2. Adagio, ma non tanto e cantabile

3. Scherzo. Allegro

4. Presto

Trio D-Dur Opus 9 Nr. 2

1. Allegretto

2. Andante, quasi Allegretto

3. Menuetto. Allegro

4. Rondo. Allegro

Trio c-Moll Opus 9 Nr. 3

1. Allegro con spirito

2. Adagio con espressione

3. Allegro molto vivace

4. Finale. Presto

Erläuterungen

Beethoven pur

Die Geschichte des Streichtrios für Geige, Bratsche und Cello beginnt mit Mozart und Beethoven. Als Letzterer in den 1790er Jahren in Wien seine Epoche machenden Werke in diesem Genre schuf, hatte er nur ein großes Vorbild: Mozarts Divertimento KV 563, sein längstes Kammermusikwerk. Mozart hatte es im Jahr seiner letzten drei Sinfonien 1788 und auf ähnlich hohem Niveau geschaffen, freilich nur als Musik im privatesten Rahmen aufgeführt. Daher wurde es erst nach seinem Tode 1792 gedruckt. Genau zu dieser Zeit fing Beethoven an, sich mit dem Streichtrio zu beschäftigen. Ihm blieb es vorbehalten, das klassische Modell der Gattung zu schaffen.

Dass das Streichtrio nicht die gleiche Geltung erreichen konnte wie Streichquartett oder Klaviertrio, liegt nicht zuletzt daran, dass die drei Spieler buchstäblich alle Hände voll zu tun haben, um die Vollstimmigkeit eines Quartettsatzes zu suggerieren. In Beethovens Trios Opus 9 führt dieses dauernde Dialogisieren und klangliche Expandieren zu einer für die Spieler extrem fordernden Musik. Beethovens „Elan“, sein unbedingter Wille, an die Grenzen des Spielbaren zu gehen, wird gerade hier, im zweitkleinsten Genre der Streicherkammermusik, deutlich.

Streichtrios Opus 9

Im Frühwerk Ludwig van Beethovens nehmen Streichtrios einen prominenten Platz ein. Unter den Opera 1 bis 10 sind allein drei (op. 3, 8 und 9) dieser Gattung vorbehalten. Während das Es-Dur-Trio, op. 3, und die Serenade, op. 8, in der Nachfolge des österreichischen Divertimentos stehen, sprengen die drei Streichtrios des Opus 9 diesen traditionellen Gattungsrahmen. An ihnen wird in besonderer Weise deutlich, wie sehr Beethovens Jugendwerke eine Musik des Übergangs waren, nicht nur stilistisch zwischen 18. und 19. Jahrhundert, sondern auch soziologisch als Kammermusik, die die privaten Zirkel sprengte und dem Konzertsaal zustrebte.

Anders als Bach oder Mozart, die in einer fest gefügten städtischen bzw. ständischen Ordnung aufwuchsen, veröffentlichte Beethoven seine ersten Opera in der Epoche der Revolutionskriege, einer Zeit der Umwälzungen. Die Musikkultur verlagerte sich allmählich vom aristokratischen Salon in den öffentlichen Konzertsaal. Besonders für die Kammermusik bedeutete dies eine Ausweitung ihrer Formen und Klangmittel. An den drei Streichtrios seines Opus 9 ist dies deutlich abzulesen. Beethoven griff hier eine Gattung auf, der in der Frühklassik, etwa bei Joseph und Michael Haydn, ein unterhaltender Charakter an der Grenze zum Divertimento eigen war. Noch Mozart fühlte sich dieser Tradition verpflichtet, als er sein grandioses Es-Dur-Trio Divertimento nannte und in ihm die ältere Tradition zugleich fortführte und überhöhte. Während Beethoven diesem Modell in seinen Trios Opus 3 und Opus 8 sozusagen den letzten Tribut zollte, schwebte ihm im Opus 9 gänzlich Anderes vor.

Die drei Werke, 1796-98 komponiert und im Juli 1798 veröffentlicht, zählen zu den bedeutendsten Frühwerken des Komponisten, wie schon die Beethoven-Biographie von Thayer und Riemann vermerkt. „Keins von den bisherigen Werken kann sich an Schönheit und Neuheit der Erfindung, Geschmack der Ausführung, Behandlung der Instrumente usw. mit diesen Trios messen; sie überragen im ganzen sogar auch die bald nachher erschienenen Quartette (op. 18).“

Die Überzeugung, auf einem neuen Niveau des eigenen kompositorischen Vermögens angelangt zu sein, spricht sowohl aus der Musik der Trios – gleichsam in jedem Takt mit der schon dem jungen Beethoven eigenen Emphase – als auch aus der Widmung an den irischen Grafen von Browne. Trotz ihrer Devotionsformeln kann diese Dedikation nicht verhehlen, dass der Komponist diese Stücke kaum mehr als aristokratische Unterhaltungsmusik zur Verherrlichung seines Mäzens verstand:

„Wenn die Kunstprodukte, denen Ihr als Kenner die Ehre Eurer Protektion erweist, weniger nach der genialen Inspiration als vielmehr nach dem guten Willen, sein Bestes zu geben, beurteilt würden; so hätte der Autor die ersehnte Genugtuung, dem ersten Mäzen seiner Muse das beste seiner Werke zu präsentieren.“

Der selbstbewussten Formulierung „das beste meiner Werke“ werden die Trios nicht nur durch die souveräne Stimmführung und die kontrapunktische Meisterschaft gerecht. Auch die quasi-sinfonische Viersätzigkeit und die geweiteten Dimensionen der einzelnen Sätze, der pathetische Tonfall und die in allen drei Stimmen auf professionelle Spieler ausgerichteten technischen Anforderungen weisen weit über den Kammermusik-Zirkel des Grafen Browne hinaus. Paul Bekker bemerkte in seiner Beethoven-Biographie zu Recht, dass aus diesen Trios „ein stark symphonisches Element“ spreche, ja geradezu Beethovens „Hang zur symphonischen gedanklichen Gestaltung“.

Trotz ihrer hohen Anforderungen gehörten Beethovens Streichtrios zu den frühesten seiner Opera, die international Beachtung fanden. Bereits 1792 nahm der kurfürstlich-kölnische Kaplan Abbé Dobbeler Noten des Streichtrios Opus 3 mit nach London. Von dort aus gelangten sie in einen Kreis von Musikliebhabern, die sich in Leicester daran delektierten – einer der frühesten Belege für eine Beethoven-Rezeption außerhalb Deutschlands. Die Streichtrios Opus 9 wurden in gleicher Weise von Musikzirkeln in England und Frankreich mit größter Begeisterung aufgegriffen.

Trio Nr. 1 G-Dur

Das G-Dur-Trio, op. 9,1, löst den sinfonischen Anspruch des Opus gleich durch die langsame Einleitung ein. In kraftvollem Unisono, den Klang der drei Streichinstrumente zum imaginären Orchestertutti ausweitend, hebt das Werk an. In durchaus sinfonischer Weise wird das Hauptthema des nachfolgenden Allegro con brio aus der Einleitung allmählich hervorgelockt: Ein Sechzehntelschlenker wird vom eröffnenden Unisono abgespalten und in den Motiven der Einleitung peu à peu „herangelockt“. Die Skizzen belegen, dass Beethoven an diesem Übergang besonders lange gefeilt hat, um die Vorwegnahme des Allegro-Hauptthemas im Adagio möglichst subtil und organisch erscheinen zu lassen.
Im Allegro con brio selbst treibt es und drängt es allenthalben. Dieser nervöse Duktus wird von einem der schönsten Seitenthemen des frühen Beethoven ins Romantische gewendet. In seiner nervösen Spannung und dem Reichtum an motivischer Arbeit erinnert dieses Allegro an die Kopfsätze der 1. und 2. Sinfonie. Beethovens Zeitgenossen folgten mit Hingabe jenen „mannigfaltigen Motiven, die er klar und mit überreicher Anmuth so lieblich zu verweben wusste“, wie es einer von ihnen beschrieb.

Das Adagio, ma non tanto e cantabile in E-Dur ist ein Zeugnis für Beethovens neuartige, in weiten Bögen sich entfaltende Melodik. Im wiegenden Neunachtel-Duktus erhebt sich eine zunächst scheinbar suchende, dann immer freier atmende Melodie. „Nach einigen Anklängen und gleichsam hingeworfenen Figuren entschleierte der selbstschaffende Genius so nach und nach sein tiefempfundenes Seelengemälde,“ so beschrieb ein Zeitgenosse diese Manier des jungen Beethoven, nach floskelhafter Einleitung in den Empfindungen immer bestimmter zu werden. „Nun begann er bis zur himmlischen Melodie hinzugleiten, jenen hohen Idealen, die man in seinen Werken häufig vorfindet.“ Für die Wiener Zuhörer war es überdeutlich, dass der Komponist dieser Musik sich in die Regionen des „in höchstem Grade Wunderbaren“ vorwagte.
Scherzo und Finale bestechen durch die Ökonomie der Mittel, elektrisieren durch ihre rhythmische Vitalität und begeistern durch die schiere Virtuosität des Streichersatzes. Der Drei-Achtel-Auftakt des Scherzos, in mannigfaltigen Wendungen ständig präsent, gehört zu Beethovens typischen Einfällen von genialer Griffigkeit. Formal deutet der Satz durch den verklingenden Trio-Schluss und die variierte Reprise des Scherzo-Hauptteils bereits die dynamischeren Scherzo-Formen des reifen Beethoven an. In der Urfassung enthielt dieses Scherzo noch zwei Trios, von denen Beethoven im Druck aber nur eines verwendete.

Das Finale ist von atemberaubendem Elan. Der Spannungsstau, der diesen Satz vom ersten bis zum letzten Takt förmlich unter Strom setzt, entsteht aus dem Wechsel zwischen dem nervösen Staccato des Hauptthemas einerseits und dem Trommelbass des Seitenthemas mit den „bremsenden“ Ausweichungen in mediantische Tonarten andererseits. Der Bratscher ist am meisten gefordert, muss er doch im Hauptthema ständig zwischen Geige und Cello die Waage halten – wie das viel strapazierte Netz im Tennisspiel der beiden Außenstimmen. Nach Paul Bekker ist dieser Satz „Beethovens erstes Finale, das sich trotz heiterer Grundstimmung auf derselben künstlerischen Höhe hält wie die Vordersätze und durch den Schwung des Vortrags dem Werk sogar noch hinreißende Endsteigerung gibt.“
Trio Nr. 2 D-Dur

Mit dem D-Dur-Trio hat Beethoven den dramatischen Schwesterwerken ein lyrisches an die Seite gestellt. Dies offenbaren schon die Tempi der ersten beiden Sätze: Auf ein Allegretto in D-Dur folgt ein Andante quasi Allegretto in d-Moll. Der erste Satz gibt sich im Vergleich zu den unkonventionellen Kopfsätzen der beiden Schwesterwerke scheinbar klassisch-konservativ; er benutzt den bei Haydn und Mozart häufigen Typus eines Allegretto im Zweivierteltakt mit sanft-strömender, heiter gelöster Melodik. In Wahrheit ist er ein Beispiel für das gelegentliche Understatement des jungen Beethoven: Aus der Allerwelts-Floskel der ersten vier Takte wird ein Sonatensatz von mehr als 300 Takten Länge hervorgezaubert, dessen Durchführung geniale Kombinatorik offenbart.

Der zweite Satz steht in d-Moll, einer Tonart, in der Beethoven einige seiner tiefgründigsten frühen Adagios schreiben sollte. In diesem Fall aber lenken das rasche Tempo und der Sechsachteltakt den Ausdruck in eine andere Richtung: den eines Frage-Antwort-Spiels aus lauter kurzen Phrasen. Es handelt sich um einen Lieblingstypus Mozarts (man vergleiche dessen d-Moll-Streichquartett, KV 421, oder c-Moll- Serenade), den Beethoven hier aufgriff und in eigenwilliger Weise verfremdete.
Das sogenannte „Menuett“ an dritter Stelle ist in Wahrheit ein Scherzo, wie sein Allegro-Tempo und der pointierte kurze Vorschlag vor dem langen A in der Geige verraten. Dem Finale hat Beethoven die widerhakende Rhythmik von vornherein eingeschrieben: als Synkope mit Sforzato in der Bratsche. Darüber stimmt das Cello das Rondothema an, während die Geige gleichsam ein „Hörnerpedal“ andeutet. Wieder erscheint der Triosatz als Substrat oder Reduktion eines eigentlich orchestral gedachten Satzes.

Trio Nr. 3 c-Moll

Das Trio c-Moll beginnt mit einem Abstieg in die Tiefe: vom Grundton c über Leitton und übermäßige Sekund h-as zur Quint g, auf der sich der Klang akkordisch auffächert. Das Vierton-Motiv c-h-as-g ist Motto des Satzes. Zerfahrene Sechzehntel-Linien umlagern es, abgerissene Coups d’archet beenden die zerklüftete Hauptthemengruppe. Ein singendes Überleitungsthema, zunächst in Dur eingeführt, wird bald nach Moll abgedunkelt. Auch der eigentliche, kontrapunktische Seitensatz in Es kann sich gegen den melancholischen Grundzug des Satzes nicht behaupten. Noch die Schlussgruppe verharrt in vielsagenden Dur-Moll-Wechseln.
Das Viertonmotiv bleibt als Motto in allen Satzteilen präsent: Zu Beginn der Durchführung rennt es sich fest, seine Sechzehntel werden kontrapunktisch aufgespalten. Im Moment der Reprise wird es von einem Kontrapunkt überlagert, in der Coda zunächst pathetisch gesteigert. Dann entfaltet sich über den absteigenden chromatischen Linien ein gespenstisches Spiel mit schattenhaften Klängen.

Der Beginn des zweiten Satzes zeugt von Beethovens Interesse an zyklischen Zusammenhängen zwischen den Sätzen: Auch das Adagio beginnt mit einem absteigenden Viertonmotiv im Bass, allerdings in Dur. Darüber erblüht – kurzatmig und stockend – ein Es-Dur-Thema, dessen heikles Espressivo immer wieder in die Mollregionen des ersten Satzes abschweift. Raumgreifende Violinsoli über abermals absteigenden Bässen eröffnen eine Episode, die von gesanglichem Dialog geprägt ist. Stark verziert wird das erste Thema wieder aufgegriffen und zum Gegenstand einer dramatischen Moll-Durchführung, bevor nach zwei abgerissenen Akkorden und Generalpause die Ruhe wiederkehrt. Die kantable Episode sorgt noch einmal für melodisch freies Wechselspiel der Kräfte, bevor der Satz mit der letzten Wiederkehr des Hauptthemas in vollkommener Ruhe ausklingt.
Umso unruhiger beginnt das Scherzo: ein skurriler Totentanz in widerborstigen Rhythmen und penetrant wiederholten Sforzato-Akkorden; friedlich dagegen wieder das schöne Trio mit seiner schlichten, auf alle drei Spieler verteilten Melodie.

Das Finale lebt vom Frage-Antwort-Spiel zwischen einer nervösen Triolen-Arabeske und einem misanthropischen Tanzthema in Vierteln. Die Spannung zwischen diesen beiden Elementen bleibt bis zum Schluss unaufgelöst. In der Durchführung werden die Triolen zu einer rasenden Fahrt in die Tiefe gesteigert, am Ende in eine scheinbar unbekümmerte Dur-Pointe umgedeutet – es bleibt letztlich ein offener Schluss.

Beethoven im Porträt

Es mag zur Illustration der drei Trios Opus 9 hilfreich sein, sich den Schöpfer Beethoven auf dem damaligen Stand seines durchaus schon hoch entwickelten Geniekults vor Augen zu führen. Ihn am Pianoforte zu erleben, muss für die Wiener in den ersten Jahren ein Schock gewesen sein: „Mit dem Feuer der Jugend trat er kühn (um heftige Leidenschaften auszudrücken) in weit entfernte Tonleitern. In diesen erschütternden Aufregungen wurde mein Empfindungsvermögen sehr getroffen“, berichtete der Zeitgenosse Johann Schenk – eine Schilderung, die für die Trios Opus 9 nicht minder zutrifft. Weniger vornehm wurde der junge Beethoven von dem Pianisten und Pädagogen Abbé Gelinek beschrieben: „ein kleiner hässlicher, schwarz und störrisch aussehender junger Mann“, in dem „der Satan steckt: Nie hab‘ ich so spielen gehört!“ Beethoven spielte auch bei dieser Gelegenheit „eigene Kompositionen, die im höchsten Grade wunderbar und großartig sind, und er bringt auf dem Klavier Schwierigkeiten und Effekte hervor, von denen wir uns nie etwas haben träumen lassen.“ Auch die Streicher Wiens hatten sich von den Effekten des jungen Genies keinerlei Vorstellung gemacht, bevor sie sein Opus 9
und die wenig später vollendeten Streichquartette des Opus 18 gespielt hatten.