Streichquartett Nr. 15 es-Moll, op. 144 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Dimitri Schostakowitsch

Streichquartett Nr. 15 es-Moll, op. 144

Streichquartett Nr. 15 es-Moll, op. 144 für 2 Violinen, Viola und Violoncello

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Besetzung

Violine I
Violine II
Viola
Violoncello

Satzbezeichnung

1. Elegie: Adagio
2. Serenade: Adagio
3. Intermezzo: Adagio
4. Nocturne: Adagio
5. Trauermarsch: Adagio molto
6. Epilog: Adagio

Erläuterung

„Ich möchte keine Widmungen mehr. Als ich das 13. Quartett Borissowski zugedacht habe, starb mein Freund kurz darauf. Um mich kreist der Tod, einen nach dem andern nimmt er mir, nahestehende und teure Menschen, Kollegen aus der Jugendzeit.“ Mit diesen resignierten Worten, entkräftet von der eigenen Herzkrankheit, begann Dmitri Schostakowitsch im Frühjahr 1974 sein 15. und letztes Streichquartett. Es sollte ein Epitaph auf die verstorbenen Freunde werden, zu denen sich während der Proben noch ein weiterer hinzugesellte: Wie immer war die Uraufführung dem Moskauer Beethoven-Quartett zugedacht. Dessen Cellist, Sergej Schirinski, war gerade erst von den Folgen eines Herzinfarkts genesen, als er während der Proben einen neuerlichen Infarkt erlitt und starb. Schostakowitsch versah das 15. Quartett nun doch mit einer Widmung, nämlich an seinen verstorbenen Cellistenfreund. Die Uraufführung aber musste er kurzfristig dem jungen Tanejew-Quartett in Leningrad anvertrauen, da seine Freunde vom Beethoven-Quartett so schnell keinen neuen Cellisten ins Ensemble einfügen konnten.

In seiner Schostakowitsch-Biographie meinte der polnische Komponist Krzystof Meyer zum 15. Quartett folgendes: „Dieses längste aller seiner Quartette besteht aus sechs ohne Pausen zu spielenden Sätzen, die alle im Adagio und in der Tonart es-Moll gehalten sind … Die Tonart und das langsame Tempo bestimmen den Charakter des Werkes. Schostakowitschs außergewöhnliche Begabung für die musikalische Darstellung von Melancholie und Trauer trug ein Übriges bei. Das ganze Werk verfügt über kein einziges heiteres Element. Auf bewundernswerte Weise verstand es der Künstler, ein 35-minütiges großes Adagio zu schaffen, das den Zuhörer von der ersten bis zur letzten Note fesselt und in Spannung hält.“ (K. Meyer)

Der bittere Zynismus des Komponisten machte freilich selbst vor diesem Riesenadagio nicht Halt. Bei den Proben sagte Schostakowitsch den Musikern, sie sollten das Stück so spielen, „dass die Fliegen in der Luft tot herunterfallen und das Publikum aus reiner Langeweile beginnt, den Saal zu verlassen“. Die Reaktion bei der Uraufführung am 14. November 1974 war eine gänzlich andere: Alle lauschten gebannt bis zum Schluss. „Als die letzten Akkorde des Quartetts leise verhallten, wurde es im Saal völlig still, und schweigend erhoben sich alle, um dem Komponisten ihre Ehrerbietung zu bekunden. Danach aber brach ein nicht enden wollender Beifallssturm los. Der ratlos lächelnde Komponist schleppte sich nur beschämt zu den Interpreten vor, war aber nicht mehr in der Lage, auf das Podium hinaufzugehen.“ (Meyer) Schostakowitsch war zu schwach, um sich wie üblich von oben zu verneigen, und sichtbar von Krankheit gezeichnet.

„In dieser Stimmung entstand das 15. Quartett mit seinen sechs Adagios“, heißt es in einem Text der Gesellschaft für Kammermusik Basel: „Bezüge zur Jugendzeit gibt es in Form von Rückgriffen auf Themen aus den Aphorismen von 1927; trotzdem ist das Quartett ein Werk des Abschieds, der Todesgedanken und der Resignation. Dies wird spürbar in der bereits in den vorangehenden Quartetten aufscheinenden Reduktion und Verinnerlichung. Die Sprache ist sublimiert, mysteriös und geradezu asketisch. Dies fühlt man schon im Fugato des 1. Satzes (Elegie), wo die frische Bewegung dieser Form dem Wirken des einzelnen Tones und einer langsamen Folge von Klagegesten gewichen ist.“ Michael Struck-Schloen meinte zu diesem ersten und längsten Satz des Werkes: „Das es-Moll-Thema, das sich zu einer schleppenden Fuge entwickelt, erinnert in seinem Schreitrhythmus an Schuberts Lied Der Tod und das Mädchen, scheint melodisch aber von Wendungen der orthodoxen Kirchenmusik inspiriert. Eine lyrische, fast zu schöne Aufhellung nach C-Dur umflort ein neues Thema der ersten Violine; es wird im folgenden zusammen mit dem Eröffnungsthema verarbeitet und verhaucht in einer stockenden Coda mit vielen Atempausen.“ Wie auch in späteren Sätzen des Quartetts gewinnt man den Eindruck, als habe Schostakowitsch hier seine eigene Krankheit in Musik nachgezeichnet, in Klängen des mühsamen Atmens.

Die nächsten drei Sätze bilden eine nächtliche Trilogie von zehn Minuten Länge: Die groteske Serenade wird von Crescendi und „niedersausenden Granateneinschlägen“ (Struck-Schloen) eröffnet und mündet in einen „müden Walzer“ der ersten Violine. Das Intermezzo leitet als kurzes, erregtes Geigensolo von 90 Sekunden Länge zum Nocturne über. Dort stimmt die Bratsche ihr nächtlich verhangenes Thema über leise flüsternder Begleitung an – eine Alptraummusik.

Trauermarsch heißt deutlich genug der vorletzte Satz. Er beginnt mit massiven Klängen des Quartetts, ganz dem pathetischen Duktus eines romantischen Trauermarschs entsprechend. Dann aber löst sich die Musik in lauter verstörte Einzelgesten auf. Erregte Soli unterbrechen die wuchtigen Akkorde des Marsches.

Der Epilog fasst die vorangehenden Sätze zusammen: Die Themen aus Nocturne und Trauermarsch klingen noch einmal an, umrahmt von einem „seltsamen Herzflimmern“ (Struck-Schloen). Dazwischen lassen erste Geige und Cello ihrer Verzweiflung in wilden Ausbrüchen freien Lauf. Am Ende versinkt die Musik in Resignation, ausgedrückt in einem letzten Bratschensolo, das „sterbend“ ausklingt (morendo). Der Bratsche sollte Schostakowitsch auch sein letztes Werk widmen, die Sonate Opus 147.