"Die Liebe" (Mîloc'), op. 14 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Józef Koffler

"Die Liebe" (Mîloc'), op. 14

Kantate für eine Singstimme, Klarinette, Viola und Violoncello, op. 14, “Die Liebe” (1931) (Text: 13. Cap. der 1. Ep. St. Pauli an die Korinther )

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1105

Satzbezeichnungen

1. Adagio (Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete)

2. Andante tranquillo (Die Liebe ist langmütig)

3. Allegro moderato (Die Liebe hört nimmer auf)

4. Adagio (Wir sehen jetzt durch einen Spiegel)

Erläuterungen

Der polnische Komponist Józef Kófler, der heute von den Musikwissenschaftlern seines Landes umfangreich erforscht wird, war seinerzeit ein Außenseiter des polnischen Musiklebens. Seine Musik “wurde auf Weltfestivals gespielt, während sie zuhause meistens abgelehnt oder gar nicht beachtet wurde” (M. Tomaszewski). Seine Ermordung durch die Deutschen 1943 oder 1944 trug dazu bei, daß man sich auch im Westen seines be-
achtlichen Rufs erst heute allmählich wieder erinnert.

Der Sohn eines reichen jüdischen Kaufmanns aus Galizien begann schon mit zwölf Jahren zu komponieren und wurde deshalb 1914 zum Musikstudium nach Wien geschickt. Nachdem er in den österreichischen Militärdienst gezwungen worden war und sich 1918 freiwillig zur polnischen Armee gemeldet hatte, konnte er sein Studium erst 1920 fortsetzen. 1923 promovierte er bei dem Wiener Musik-
wissenschaftler Guido Adler über Klangfarben in Mendelssohns Sinfonik. 1924 nach Polen zurückgekehrt, trat er seine Lebensstellung am Konservatorium von Lvov an. Zugleich setzte eine intensive Phase schöpferischer Arbeit ein, die mit der Aneignung von Schönbergs Zwölftonmethode begann. Obwohl Koffler Schönberg nie kennenlernte, nannte er ihn doch seinen “Lehrer” und übertrug am konsequentesten von allen polnischen Komponisten die Stilprinzipien der Wiener Schule auf seine Musik. Dies isolierte ihn von seinen, dem Szymanowski-Stil verpflichteten polnischen Kollegen, während es seiner Musik im westlichen Ausland große Beachtung eintrug.

Das Leben im Vorkriegs-Lvov war für Koffler in Folge der Verachtung durch den Warschauer Musikbetrieb hart und unbefriedigend. Dies erklärt seinen Entschluß, sich nach der Besetzung Polens durch die Sowjetarmee im September 1939 den Besatzern anzuschließen und im Komponistenverband der sowjetischen Ukraine verantwortliche Positionen zu übernehmen. Im Zuge des deutschen Vormarsches auf Rußland wurde dieses Bekenntnis zum Bolschewismus für Koffler zum Verhängnis. Auf der Flucht vor den Deutschen suchte er ab Sommer 1941 Zuflucht bei Freunden und Schülern in der Karpatenregion. Von diesem Zeitpunkt bis zu seiner Ermordung verliert sich seine Spur. In einem Unterschlupf in Krosno oder Sanok soll “seine Frau, eine blühende Schönheit , unbewußt die Aufmerksamkeit der Deutschen erregt haben. Nach ihrer Festnahme stellte sich Koffler freiwillig gemeinsam mit seinem Sohn den Deutschen. Die ganze Familie wurde ungefähr 1944 erschossen, als sich der Krieg schon seinem Ende zuneigte” (M. Pluta-Kotynska).

Kofflers Kantate Die Liebe aus demJahre 1931 stammt aus seiner intensivsten Schaffensphase. Sie beruht auf dem berühmten Hymnus an die Liebe, der im ersten Korintherbrief des hl. Paulus enthalten ist und vor Koffler bereits von Brahms und Reger vertont worden war. Obwohl man die Wahl dieses Textes mit Kofflers Heirat in Verbindung bringen kann, zielte sie auch auf ein idealistisches Bekenntnis ab, das er in der Zeitschrift Orkiestra so formulierte: “Unser Ziel ist idealistisch. Wir leben in einer Zeit, in der viele Menschen meinen, es sei natürlich und vielleicht sogar notwendig, den Idealismus zu verachten, ihn zu ignorieren, lächerlich zu machen und zu verdammen. Es ist eine traurige, aber wahre Tatsache: der Großteil unserer Generation ist in seiner Mentalität und seinen Zielen absolut materialistisch, weltlich-gestimmt. Das ist die ernsteste Krankheit unserer Zeit.”

Die Liebe ist das einzige textgebundene Ensemblewerk, das Koffler zwölftönig konzipierte. Alle vier Sätze sind aus der zu Beginn vorgestellten Reihe abgeleitet. Im zweiten Satz wird sie vom Cello als Baßthema einer Passacaglia vorgestellt, im dritten Satz in ein Fugatothema verwandelt. “Entgegen dem, was man erwarten könnte, verband Koffler seine Begeisterung für die neue Technik weder mit extremem Expressionismus noch mit technischer Reduktion;… neuer Lyrizismus, so könnte man das Wesen der Komposition beschreiben. Dies scheint das Ergebnis einer Vermischung scheinbar gegensätzlicher Elemente zu sein: der Kammermusikbesetzung, der Sparsamkeit, manchmal beinahe Zerbrechlichkeit der Textur, doch zugleich der Intensität und Kraft, die aus der Okönomie der Mittel entsteht… Auf der einen Seite gibt es Konstruktivismus, Objektivität und die Logik der musikalischen Syntax, auf der anderen dennoch Raum für Ausdruck, der sich in Begriffen wie tranquillo, misterioso, dolcissimo und cantabile widerspiegelt. Schließlich gibt es Kontemplation, Konzentration und Ruhe, doch an Höhepunkten zugleich Steigerungen und ein ruhiges, edles Pathos” (M. Tomaszewski)