Sextett | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Bohuslav Martinu

Sextett

Sextett für Holzbläserquintett und Klavier

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1208

Satzbezeichnungen

1. Preludium. Poco andante – Poco allegro

2. Adagio

3. Scherzo (I. Divertimento). Allegro vivo

4. Blues (II. Divertimento)

5. Finale

Erläuterungen

Im Grenzland zwischen Böhmen und Mähren, in der böhmisch-mährischen Hochebene, wuchs um 1900 ein junger Musiker heran, den man in der Kammermusik mit Recht den wahren Erben Antonin Dvoraks genannt hat: Bohuslav Martinu. In seinen wundervollen Streichquartetten, seinen Serenaden für Klarinetten und Streicher, seiner Bläser-Kammermusik mit und ohne Klavier gipfelt die tschechische Kammermusik des Jahrhunderts.

Der Schneider des kleinen Städtchens Policka war sein erster Geigenlehrer, und schon mit 12 versuchte sich Bohuslav an einem ersten Streichquartett. Mit 16 ging er nach Prag, offiziell, um Geige zu studieren, inoffiziell in der erklärten Absicht, Komponist zu werden. Seine Instrumentallehrer verdross dieser Berufswunsch, denn je mehr Martinu komponierte, desto weniger gewissenhaft übte er – weder auf der Violine noch auf Orgel und Klavier. Mit 20 flog er vom Konservatorium, und erst nach dem Ersten Weltkrieg bekam er eine Geigerstelle im Orchester des Prager Nationaltheaters. Auch hier trat rasch wieder seine eigentliche Passion in den Vordergrund, denn seine vom Orchester aufgeführte Tschechischen Rhapsodie bescherte ihm den Smetana-Preis.

Ein zweiter Anlauf am Prager Konservatorium, diesmal in der Kompositionsklasse von Dvoraks Schwiegersohn Josef Suk, verlief vielversprechend. Doch schon nach einem Jahr begab sich Martinu mit einem Stipendium nach Paris, um dort bei Albert Roussel zu studieren. Drei Monate waren vorgesehen, es wurden 17 Jahre daraus.

1923 angekommen, fristete der Tscheche an der Seine zunächst ein kümmerliches Dasein, bis ihm sein Ballett La Revue de cuisine 1928 zum Durchbruch verhalf. Er fand einen französischen Verleger (Alphonse Leduc) und eine französische Frau, Dirigenten, die sein Werk bewunderten wie Ansermet, Munch und Paul Sacher sowie Mäzene, die ihn mit Preisen bedachten wie Elizabeth Sprague Coolidge. Mehrfach konnte er es sich leisten, die Nachfolge Janaceks als Leiter des Konservatoriums in Brno (Brünn) auszuschlagen.

Für sein späteres Schicksal war dieser Schritt entscheidend, denn von Paris aus gelang ihm 1940 die Flucht vor den Nazis in die USA, während Hunderte seiner Musikerkollegen in Böhmen und Mähren nach Theresienstadt deportiert wurden. Wegen seiner Beziehungen zur tschechischen Exilregierung hatte Martinu auf der schwarzen Liste der Nazis gestanden.

In Paris, der glücklichsten Station seines Lebens, suchte Martinu nach eigenem Bekenntnis „weder Debussy noch Impressionismus noch musikalischen Ausdruck, sondern die wahren Grundlagen der westlichen Kultur“. Der Charme Frankreichs hatte es ihm angetan, er liebte an der französischen Kunst „Ordnung, Klarheit, Maß, Geschmack, genauen, empfindsamen, unmittelbaren Ausdruck.“

Ein Zeugnis für dieses Bekenntnis zur französischen Clarté ist das 1929 in Paris komponierte Sextett für Klavier und Bläser. Es ist ein typisches Produkt der Goldenen Zwanziger, angehaucht vom Jazz und der Musik der Nachtlokale. Ersterem zollte Martinu mit dem vierten Satz, einem Blues, seinen Tribut, während er die restlichen Sätze in der traditionellen Manier eines viersätzigen Sonatenzyklus entwarf.

Die Besetzung greift nicht auf die fünf traditionellen Instrumente eines Bläserquintetts, Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott, zurück, sondern sieht statt des Horns ein zweites Fagott vor. Damit gewinnt der Klang an Schattierungen im Tenor- und Bassregister, zugleich aber auch an burschikoser Verspieltheit. Das Klavier tritt ganz wie ihn Beethovens Quintett Opus 16 den Bläsern selbständig konzertierend gegenüber.

Der erste Satz beginnt mit einer kurzen langsamen Einleitung für die Bläser, woran sich das Hauptthema des Allegro anschließt, in dem Bläser und Klavier alternieren. Erst im Seitenthema, dessen kurze Vorschläge folkloristisch anmuten, vereinen sich die Partner zum Tutti-Klang. Insgesamt bleibt für den Kopfsatz der Wechsel zwischen Bläsern und Klavier bestimmend.

Die Binnensätze hat Martinu klanglich raffiniert gestaffelt. Das Adagio beginnt wie der langsame Satz einer Klarinettensonate, wird aber bald zur barockisierenden Passacaglia, deren rhythmisch markantes Grundmotiv vom Klavier immer wieder vorgebracht wird, während die Bläser wechselnde Episoden beisteuern. Es folgen zwei Divertimenti, kurze Sätze unterhaltenden Charakters: zunächst ein Scherzo für Flöte und Klavier, das ein virtuoses Perpetuum mobile mit mehreren Flötenkadenzen ist; dann der schon erwähnte Blues, der seinem Namen alle Ehre macht.

Im Finale hat Martinu dann jenen motorischen Impuls und jene bukolischen Motive verwendet, wie sie Dvorak ein für allemal in die tschechische Musik eingeführt hatte. Eine veritable Klavierkadenz bereitet den wirkungsvollen Schluss vor.