Scaramouche, op. 165b (Paris 1937) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Darius Milhaud

Scaramouche, op. 165b (Paris 1937)

“Scaramouche-Suite”

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1285

Satzbezeichnungen

1. Viv

2. Modéré

3. Braziliera (Mouvement de Samba)

Erläuterungen

Der Südfranzose Darius Milhaud ist vor allem dadurch bekannt geworden, dass er sich in Paris der Groupe des Six anschloss. Diese freche Künstlerclique der Zwanziger Jahre wagte den Ausbruch aus den grandiosen Klischees der Musik vor dem Ersten Weltkrieg und propagierte den Aufbruch zu einer Musik des Alltags, der kleinen Formen und prosaischen Gesten. Dem Theater waren die fünf Komponisten und ihre Komponistin – neben Milhaud waren es Francis Poulenc, Georges Auric, Arthur Honegger, Louis Durey und Germaine Taillferre – auf vielfältige Weise verbunden, bis hin zur Komposition einer Gemeinschaftsoper, die dem Eiffelturm huldigte.

Auch Milhauds Scaramouche beruht auf Musik, die fürs Theater bestimmt war: 1937 hatte der Komponist für eine Komödie von Molière, den Médicin volant, eine Bühnenmusik komponiert, die er anschließend in eine Suite für zwei Klaviere umschrieb. Dabei verwies er im Titel nicht etwa auf Molière, sondern auf den berühmtesten italienischen Schauspieler im Frankreich des Sonnenkönigs, Tiberio Fiorilli (1608-1696). In der Rolle des Scaramouche wurde der Neapolitaner so berühmt, dass er fortan diesen Beinamen trug. Als sein Landsmann Angelo Costantini 1699 in Paris die Biographie des Verstorbenen veröffentlichte, nannte er sie La vie de Scaramouche, „Das Leben des Scaramouche“. Gewidmet wurde sie Liselotte von der Pfalz, der Schwägerin Ludwigs XIV., die Fiorillis Schauspielkunst ebenso bewunderte wie ihr Schwager. Auch Molière zählte zu den Verehrern des großen italienischen Mimen, weshalb Milhaud seine Bühnenmusik zu einer Molière-Komödie nachträglich dem Andenken an den berühmten Schauspieler Scaramouche widmete.

Zur Konzertsuite kam es auf kuriose Weise: Zwei Pianistinnen, die regelmäßig im Duo spielten – Ida Jankelevitch und Marcelle Meyer – hatten bei Milhaud ein Werk für zwei Klaviere in Auftrag gegeben, er hatte aber keine Lust, etwas Neues zu schreiben. Also bediente er sich bei der gerade frisch komponierten Bühnenmusik. Paradoxerweise entstand aus dieser lustlos absolvierten Pflichtübung eines seiner populärsten Werke. Außer in der Urfassung für zwei Klaviere weist Milhauds Werkverzeichnis den Scaramouche noch in fünf weiteren Fassungen auf: für Orchester, für Saxophon und Klavier bzw. Orchester und für Klarinette und Klavier bzw. Orchester. Außerdem bestellte der gefeierte amerikanische Geiger Jasha Heifetz ein Arrangement des Finalsatzes für Violine und Klavier. Selbst vor einer Bearbeitung für Blasorchester schreckte Milhaud nicht zurück.

Mit dem Finalsatz, den Heifetz so bezaubernd fand, hat es seine besondere Bewandtnis: Es handelt sich um eine Brazileira, eine Huldigung an Brasilien in Form einer Samba. Zwanzig Jahre zuvor hatte der junge Milhaud das Land am Amazonas bereist, als er während des Ersten Weltkriegs für die französische Botschaft in Rio tätig war und die brasilianische Musik studierte. Das Flair Brasiliens brachte er mit nach Paris und ließe es in seinen Werken immer wieder aufleuchten, so auch im Finale des Scaramouche: „Der erste Satz, schnell und von unwiderstehlicher Heiterkeit, ist eine fröhliche, überschäumende Ouvertüre, der zweite Satz, Modéré, entwickelt mit Melancholie ein sehr ausdrucksvolles Thema. Die verblüffende Samba der Brazileira setzt einen Schlusspunkt von hitziger Exotik.“ (Adelaide de Place). Jasha Heifetz bezauberte mit diesem Finale regelmäßig sein Publikum – wie auch so mancher Klarinettist.