"Quel sguardo sdegnosetto" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Claudio Monteverdi

"Quel sguardo sdegnosetto"

“Quel sguardo sdegnosetto”, aus Scherzi musicali (Venedig 1632)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1297

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

Claudio Monteverdi ist der Dreh- und Angelpunkt unseres Programms. Der aus Cremona stammende Geiger stand bis 1610 am Musenhof der Gonzaga in Mantua in Diensten, bevor er als Kapellmeister an die Markuskirche nach Venedig berufen wurde. Dort hat er eine ganze Reihe der Komponisten unseres Programms kennengelernt, die zum Teil gegen seinen fanatischen Kunsteifer einen schweren Stand hatten. Monteverdi war nicht nur der größe Meister seiner Zeit, sondern auch ihr Ideologe, weil er das Prinzip des neuen Stils (seconda pratica) gegen seine Gegner verteidigte. Die überwältigende Kraft seiner Musik erklärt sich unter anderem dadurch, daß er sich für Kompositionen ungewöhnlich viel Zeit ließ. Für ein einziges Madrigal benötigte er einen Monat (Händel schrieb in der gleichen Zeitspanne den gesamten Messias!), die eilige Entstehung der Oper Arianna brachte ihn an den Rand des völligen Zusammenbruchs. Das genau abwägende Komponieren führte zu einer Verschmelzung von Wort und Ton, wie man sie in dieser Vollendung bei keinem Meister seiner Zeit findet. So hat Monteverdi in Et è pur dunque vero die Form des strophischen Madrigals frei gehandhabt, um die Singstimme der stetig steigenden Verzweiflung des betrogenen Liebhabers anzupassen. In Quel sguardo sdegnosetto dagegen zeigt er den Liebenden auf schwankendem Boden – in einer Situation, die unmittelbar theatralisch aufgefaßt ist.

2005
CLAUDIO MONTEVERDI
Solomadrigale

Was den Medici in Florenz recht war, das konnte den Kaufleuten Venedigs nur billig sein. Schnell griff die Lagunenstadt die Anregungen von den umliegenden Höfen, aus Mantua, Ferrara und Florenz auf und wurde bald zum wichtigsten Umschlagplatz für die neuen Sologesänge des Barock. Zwei Umstände kamen den Venezianern dabei zu Hilfe: ihre Potenz als Weltzentrum des Notendrucks und ihre vorausschauende Personalpolitik. 1613 hatten sie den genialsten Komponisten der Epoche und den dramatischsten Autor von Sologesängen, Claudio Monteverdi, als Kapellmeister an San Marco verpflichtet. Fortan bescherte er ihnen nicht nur die affektreichste Kirchenmusik der Epoche, sondern auch weltliche Gesänge in allen Genres von der erwünschten Ausdrucksstärke und Inovationskraft.

Neben Theaterszenen, großartigen Madrigalen, Balli und Opern hat Monteverdi für die Palazzi der Venezianer auch eine Unzahl kleinerer, strophischer Sologesänge verfasst, die er teils selbst, teils in den Sammlungen Dritter zum Druck beförderte. “Vierter Scherz der gesungenen Schönheiten” (Quarto scherzo delle ariose vaghezze) nannte der venezianische Drucker Milanuzzi einen Band von Sologesängen für Sopran und Basso continuo, den er 1624 veröffentlichte. Wie der Titel schon andeutet, handelte es sich bereits um die vierte solche Publikation von diesem Herausgeber. So scherzhaft wie der Titel ist der Inhalt der Sammlung nicht unebdingt: unsere beiden Beispiele aus Milanuzzi, “Ohimè, ch’io cado” und “Si dolce è il tormento”, sind eher Verzweiflungsausbrüche leidgeprüfter Liebender. Während das erste Madrigal fast durchweg auf einem gehenden Bass beruht, einer Art Chaconne, und erst beim Gedanken an das Paradies sich beruhigt, gehört die Melodie von “Si dolce è il tormento” in ihrem melancholisch absteigenden Duktus zu den schönsten, die Monteverdi erfunden hat.

In seinem eigenen Band von “Scherzi musicali”, bestehend aus Arien und Madrigalen “in stil recitativo”, den Monteverdi 1632 heraus brachte, machte er mit dem musikalischen Scherz gewissermaßen ernst. “Quel sguardo sdegnosetto” aus diesem Band ist ein ironisch wütendes Liedchen, mit virtuosen Verzierungen ausgeschmückt. In seiner Melodik kündet sich ebenso unüberhörbar Die Krönung der Poppea, Monteverdis späte Oper, an wie in den anderen beiden Scherzi: “Eri già tutta mia” und “Maledetto sia l’aspetto” könnten Monteverdis Dienerfiguren wie Arnalta in den Mund gelegt sein.

Karl Böhmer