Fantasie c-Moll, KV 475 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Amadeus Mozart

Fantasie c-Moll, KV 475

Fantasie c-Moll, KV 475

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1347

Satzbezeichnungen

Adagio – Allegro – Andantino – Più Allegro – Primo tempo

Erläuterungen

Wenn Mozart am Klavier fantasierte, wurden die Zuhörerinnen und Zuhörer in ein Wechselbad der Gefühle getaucht. Wie im Traum wandelten sie durch imaginäre Räume der Empfindung, worauf die Improvisationskunst des Maestro durchaus abzielte, wusste er doch um die empfindsamen Regungen des Zeitalters und die Bereitschaft des Publikums, sich vom Sentiment überwältigen zu lassen.

Wir wissen von vielen solcher Improvisationen im Rahmen von Mozarts Wiener „Akademien“ bzw. seiner „Subskriptionskonzerte“, also jener von ihm selbst auf eigenes Risiko veranstalteten Konzertabende mit Orchester, in denen er als Solist seiner Klavierkonzerte auftrat. Stets gehörte auch eine Improvisation am Hammerflügel, dem Klavier seiner Zeit, zu den Programmen dieser umjubelten Auftritte.

Nur wenige dieser Improvisationen hat Mozart nachträglich aufgeschrieben und nur eine im Druck veröffentlicht: die c-Moll-Fantasie, KV 475, die 1785 bei Artaria in Wien erschien. Wir kennen nicht das originale Honorar, das der Verleger ihm zahlte, doch dürfte es 100 Gulden, ca. 2000,- ?, kaum überschritten haben, und zwar für die c-Moll-Fantasie und die nachfolgende c-Moll-Sonate zusammen. Nie hätte Mozart auch nur ahnen können, was zweihundert Jahre nach seinem Tod sein Manuskript dieser beiden Werke Wert sein würde. 1990 wurde es bei Sotheby’s für rund 2 Millionen – versteigert.

Die Geschichte dieser Versteigerung ist zugleich die eines sensationellen Manuskriptfundes in einem Priesterseminar in Philadelphia – übrigens am selben Ort, an dem erst 2005 von einer Putzfrau in einer Schublade Beethovens Autograph der Klavierfassung seiner Großen Fuge wiederentdeckt wurde. Vielleicht sollten die Raumpflegerinnen dieses Seminars noch ein wenig genauer weitersuchen …

Lassen wir die Geschichte des wieder aufgefundenen Mozart-Manuskripts vom zuständigen Experten des Auktionshauses Sotheby’s erzählen:

„Am 31. Juli 1990 wurde das lange verloren geglaubte Autograph von Mozarts Fantasie und Sonate c-Moll, wahrscheinlich die bedeutendsten Soloklavierwerke des Komponisten, in einem großen Metallsafe im Eastern Baptist Theological Seminar, Philadelphia, entdeckt. Komponiert 1784 und 1785, gelten Fantasie und Sonate als Musterbeispiele für die aufgewühlten und romantischen Seiten von Mozarts musikalischer Persönlichkeit, indem sie an manchen Stellen Beethovens Sonaten vorwegnehmen. Die grüblerische Chromatik und dramatischen Kontraste zu Beginn der Fantasie sind besonders auffällig, in ihrer reichen emotionalen Sprache dem Don Giovanni und den Klavierkonzerten in d- und c-Moll verwandt. Die beiden Stücke, die gewöhnlich zusammen aufgeführt werden, sind von den meisten der führenden Pianisten aufgenommen worden; doch, was ihr originaler Notentext enthielt, war für mehr als hundert Jahre unbekannt. Während der größten Hälfte des letzten Jahrhunderts gehörte das Manuskript dem britischen Sammler Julian Marshall, doch tauchte es auf keiner Versteigerung seiner Manuskripte bei Sotheby’s auf. Stattdessen verkaufte es Marshall für 55 Pfund an den Industriellen William H. Doane in Cincinnati. Als es Doane mit nach Amerika nahm, verlor sich jede Spur des Manuskripts. Die gegenwärtige Ausgabe des Köchelverzeichnisses beschreibt es als unauffindbar.“ Soweit Simon Maguire im Sotheby’s Katalog Art at Auction 1990/91. Nach seiner überraschenden Wiederentdeckung in Philadelphia wurde das Manuskript am 21.10.1990 vom Mozarteum Salzburg zum Preis von $ 1.839.200,- in London ersteigert.

Die im Autograph Phantasia überschriebene Fantasie gilt mit Recht als Prototyp der Klavierfantasie. Mozart hatte sie ursprünglich in c-Moll notiert, strich dann aber alle Vorzeichen, um dem freien Fluss der Modulation keine Hindernisse in den Weg zu stellen. Vier große Mollteile in c, a, g und c werden von Episoden in D-Dur und B-Dur unterbrochen. Die gleichsam wie aus dem Grab aufsteigenden, düsteren c-Moll-Klänge des Beginns bestätigen, was schon die Zeitgenossen Mozart nachsagten: er habe „die Töne des Geisterreichs zum Leben erweckt“. Andere Mollabschnitte steigern sich zu stürmischen Temperamentsausbrüchen. Sie erinnern an das Wort eines Musikkenners der Zeit von den „freyen Ausbrüchen der musicalischen Dichterwut“ in den Fantasien. Mozart hat dieser allzu frei sich entfaltenden „Dichterwut“ freilich einen Riegel vorgeschoben: einerseits durch die idyllischen Durteile, andererseits durch die strenge Form, die am Ende wieder zum Anfang zurückkehrt.