Streichquartett B-Dur, KV 589 („Preußisches Quartett“ Nr. 2) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Amadeus Mozart

Streichquartett B-Dur, KV 589 („Preußisches Quartett“ Nr. 2)

Quartett B-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, KV 589

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1360

Satzbezeichnungen

1. Allegro

2. Larghetto

3. Menuetto. Moderato

4. Allegro assai

Erläuterungen

„Preußische Quartette“

Im April 1789 war er, von Leipzig kommend, in Potsdam eingetroffen und hatte bei Friedrich Wilhelm II. um Audienz nachgesucht. Obwohl der König die Anfrage an seinen Kammermusikdirektor, den Franzosen Duport, delegiert hatte, scheint doch eine Art Auftrag an Mozart ergangen zu sein, so vage er auch immer formuliert gewesen sein mochte. Es ging darum, drei Streichquartette für den König zu schreiben, und zwar solche mit konzertierendem Cello, und ein paar Klaviersonaten für eine seiner Töchter.

Gleich nach seiner Heimkehr machte sich Mozart an die Arbeit: „Ein Quartett für 2 Violin, Viola et Violoncello. für seine Mayestät dem König in Preußen“ trug er im Juni 1789 in sein Werkverzeichnis ein. Dieses „1. Preußische Quartett“ KV 575 entstand also noch unter den frischen Eindrücken Berlins, wo sich der Komponist neue Wirkungsmöglichkeiten und Geldquellen versprach. Entsprechend prominent ist in allen Sätzen das „königliche“ Cello behandelt.

Die anfangs so schwungvolle Arbeit geriet mitten im zweiten Quartett unversehens ins Stocken – vermutlich deshalb, weil Mozart just zu diesem Zeitpunkt vom Kaiser höchst persönlich den Auftrag für Così fan tutte erhielt. Wie das Papier und die Tinte in Mozarts Originalhandschrift erkennen lassen, brach er die Arbeit im langsamen Satz des B-Dur-Quartetts ab, um sie erst ein knappes Jahr später, im Mai 1790 wieder aufzunehmen.

„Preußisch“ sind die drei Streichquartette dann letztlich für Mozart nicht mehr geworden – nur für die Nachwelt, die ihnen diesen Beinamen gab. Der Komponist selbst musste die drei Werke, diese „mühsame Arbeit“, wie er sie in einem Brief an seinen Logenbruder Puchberg nannte, für einen Hungerlohn an eine kleine Verlagsanstalt verkaufen. Der größte Wiener Musikverlag Artaria brachte sie erst im Dezember 1791, wenige Tage nach Mozarts Tod, im Erstdruck heraus – fehlerhaft genug und ohne Widmung an den König von Preußen.

Quartett B-Dur KV 589

Für Mozart barg das königliche Cello die Chance, den Quartettsatz neu zu überdenken. Statt des dichten, harmonisch und kontrapunktisch sozusagen überreichen Satzes seiner „Haydn-Quartette“ aus den Jahren 1782 bis 1785 wandte er sich nun einem aufgelockerten Satz zu. Die Stimmenzahl wechselt häufig und wird oft auf Trio- und Duettpassagen ausgedünnt. So ist das Hauptthema im Kopfsatz des B-Dur-Quartetts anfangs nur dreistimmig ohne Cello, das Seitenthema gar nur zweistimmig für Bratsche und Cello. Es fehlen nicht nur die dichten Begleitstimmen der früheren Quartette, sondern auch ihre harmonischen Kühnheiten und die verwegenen, expressiven Melodien. Im Vordergrund steht die schlichte kantable Melodik nach italienischem Muster, der „singende Stil“, der sich gleichmäßig über aller vier Instrumente ausbreitet. Jedes von ihnen übernimmt streckenweise die melodische Führung, während die anderen in einer quasi „durchlichteten“ Manier begleiten.

Ein Musterbeispiel für diesen gänzlich unangestrengten Quartettstil ist der Kopfsatz des B-Dur-Quartetts, der kürzeste und schlichteste Allegro in Mozarts zehn großen Streichquartetten. Die erste Geige eröffnet im Duktus eines „Menuetto galante“ mit einer sanft absteigenden Melodie im weich schwingenden Dreiertakt. Sofort greift das Cello die Melodie auf und reicht sie an die Bratsche weiter. Ein zweiter Gedanke über pochenden Achteln des Cellos scheint Atem zu holen für die Überleitung, in der sich erste Geige und Cello die Bälle zuspielen: hier virtuose Triolen, dort singende Einwürfe. Das zweite Thema bleibt dem Cello überlassen, das nur von der Bratsche begleitet wird. Elegant kehrt am Ende des ersten Teils das Hauptthema zurück und paart sich mit den Triolen aus der Überleitung. Von diesen beiden Elementen wird auch die Durchführung bestimmt, in der zunächst das Cello das Hauptthema ins fremdartige Des-Dur versetzt, bevor die Triolen eine reiche Modulationsstrecke eröffnen. Als drittes Element gesellt sich eine Wechselnotenlinie hinzu. Sie überlagert im Moment der Reprise das Hauptthema. Schon diese kurze Beschreibung lässt ahnen, dass mehr subtile Arbeit hinter diesem Satz steckt, als seine schlichte Fassade vermuten lässt.

Im zweiten Satz, einem wunderschönen Larghetto in Es-Dur, hat sich Mozart dann tatsächlich jeder Ausarbeitung der Themen enthalten. Sie werden nur vorgestellt und leicht variiert wiederholt, schlicht und schön. Es handelt sich um eine selig singende Weise des Cellos in Es und ein nicht minder sanftes zweites Thema der ersten Geige in B. Die beiden Außenstimmen tauschen die Themen untereinander aus, während die Mittelstimmen zart begleiten. Sechzehntelläufe aller vier Instrumente verbinden die Themen und beenden nach einem zweiten Themendurchlauf den Satz. Obwohl wir es mit dem schlichtesten langsamen Satz in Mozarts großen Streichquartetten zu tun haben, entfaltet er einen schwer zu beschreibenden poetischen Zauber – einen Eindruck von langsamer vergehender Zeit, ganz ähnlich wie in zwei anderen langsamen Sätzen des späten Mozart: den Mittelsätzen des letzten Klavierkonzerts KV 595 und der vorletzten Klaviersonate KV 570.

Dem gesanglichen Duktus der ersten beiden Sätze blieb Mozart auch im Menuett treu. Es ist ein echtes „Menuetto cantabile“ im Tempo Moderato, dominiert von eleganten Melodien der ersten Geige und ihren bis in hohe Lagen aufsteigenden Läufen. Mussten die Spieler bislang auf das Staccato, die kurzen, abgesetzten Noten, weitgehend verzichten, so dürfen sie sich im Trio ganz dieser Spielart hingeben. Es ist eine delikate Klangstudie aus Staccatonoten, die wie ein Uhrwerk ticken, einer Geigenmelodie, die durch die Stimmen wandert, und diversen Trillern und Doppelschlägen. In der Mitte hat der Satz eine kurze Durchführung, die nach b-Moll und h-Moll ausweicht, am Ende sogar eine Coda. Wie in den letzten drei Sinfonien von 1788 ging es Mozart auch in seinen letzten Streichquartetten darum, das Menuett und besonders das Trio formal aufzuwerten.

Das Finale begann ursprünglich als gemütlicher Allegretto-Satz im Rhythmus einer Siciliana. Nach 18 Takten aber entschloss sich Mozart, das wunderschöne Thema dieses Anfangs liegen zu lassen und ein neues Finale im ungleich schnelleren Tempo Allegro assai und mit einem völlig anderen Charakter zu beginnen. Offenbar reizte es ihn mehr, das Staccato aus dem Trio zum Thema des letzten Satzes zu machen, als die weiche empfindsame Melodik der ersten Sätze. Das Thema dazu borgte er sich von Joseph Haydn aus und nutzte es für den raschen Wechsel zwischen Staccato und Legato. Neben diesem spieltechnischen Effekt ist es die Freude an Kunstgriffen des Kontrapunkts, die das Finale auszeichnet. Das so griffige Thema – ein echter Ohrwurm – ist quasi in jedem Takt präsent, sei es in der Originalgestalt, sei es in der Umkehrung, meist in zwei oder drei Stimmen gleichzeitig oder kurz hintereinander im Sinne einer Engführung. Mitten in der Durchführung stoßen Originalgestalt und Umkehrung in den paarigen Ober- und Unterstimmen sozusagen heftig aufeinander, woraus eine krasse Dissonanz und eine gleichsam verstörte Generalpause entsteht. Dem Satz hört man Mozarts frisch erwachte Begeisterung für den Kontrapunkt an, die 1789 in Leipzig beim Studium Bachscher Originalwerke neue Nahrung erhalten hatte. Bis in die letzten Takte hinein trieb er das Spiel mit Originalgestalt und Umkehrung. Die Originalgestalt hat das letzte Wort – im zarten Piano und mit einer einzigen chromatischen Note versehen. So lakonisch konnte nur Mozart schließen.