Streichquintett Es-Dur, KV 614 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Amadeus Mozart

Streichquintett Es-Dur, KV 614

Quintett Es-Dur für zwei Violinen, zwei Violen und Violoncello, KV 614

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1385

Satzbezeichnungen

1. Allegro di molto

2. Andante

3. Menuetto. Allegretto – Trio

4. Allegro

Erläuterungen

Quintett Es-Dur, KV 614

Um den 20. April 1791 herum schrieb Mozart seinem Logenbruder Michael Puchberg von einem bevorstehenden Kammermusikabend im Hause des Hofrats Franz von Greiner, für den er sich drei Streichinstrumente ausborgen wollte:

“Ich hoffe Orsler wird Sie in meinem Namen auf heute um eine Violin, und 2 Bratschen ersuchet haben – es gehört zu einem à quattro bey Greiner; dass mir daran liegt, wissen sie ohnehin – wenn Sie abends zur Musick hinkommen wollen, so sind Sie von ihm und von mir höflichst dazu eingeladen.”

“A quattro”, der italienische Ausdruck für Kammermusik zu viert, war in Mozarts Sprachgebrauch ein pars pro toto für jede Art von Kammermusik, auch zu dritt oder zu fünft. In diesem Falle ging es um einen Streichquintett-Abend, sonst hätte Joseph Orsler, der Solocellist der Wiener Hofkapelle, bei Puchberg nicht zwei Bratschen abholen müssen. Die Besetzung mit zwei Geigen, zwei Bratschen und Cello war in Wien die übliche Besetzung für Streichquintette. Für gewöhnlich spielte Mozart in seinen eigenen Streichquintetten die erste Bratsche, Abbé Stadler die zweite, Orsler das Cello und die beiden Wiener Geiger Schmidt und Stock die erste und zweite Violinstimme.

Nur zehn Tage vor dem besagten “a quattro” bei Hofrat Greiner, am 12. April 1791, hat Mozart ein neues “Quintett für 2 violin, 2 viole, violoncello” in sein Werkverzeichnis eingetragen. Es war das Es-Dur-Quintett, KV 614, sein letztes vollendetes Kammermusikwerk für Streicher. Es sollte offenbar bei jenem Kammermusikabend aus der Taufe gehoben werden.

Als der Wiener Verleger Artaria dieses Quintett 1793, zwei Jahre nach Mozarts Tod, im Druck veröffentlichte, vermerkte er auf dem Titelblatt: “composto per un Amatore ongarese”, “komponiert für einen ungarischen Amateur”. Um wen es sich bei dem ungenannten Auftraggeber handelte, darüber wird bis heute spekuliert Die Einen meinen, es könne sich um den Wiener Großhändler Johann Tost gehandelt haben, der in Joseph Haydns Orchester im ungarischen Esterházy lange Zeit als Geiger mitgewirkt hatte. Andere suchen den ungarischen Gönner eher in Mozarts engerem Freundeskreis. So weiß man, dass der Bankier und hervorragende Geiger Johann Baptist von Häring im Hause des ungarischen Hofkammerrats Graf Hadick Kammermusikwerke von Mozart wie das Klarinettenquintett gespielt hat. Vielleicht war der anonyme ungarische Besteller der letzten beiden Mozart-Quintette kein Anderer als Graf Hadick. Er war sicher auch bei dem besagten Greinerschen Kammermusikabend anwesend.

Solche Details aus Mozarts Umkreis verraten uns, wie sehr es sich bei seinen Quintetten um Musik für Wiener Kenner handelte, die selbst solide Musiker waren und den Wert eines solchen Quintetts bis in die Nuance hinein zu schätzen wussten. In seinen letzten beiden Lebensjahren gelang es Mozart, aus diesem Umstand sogar Kapital zu schlagen: Wiederholt hat er Kammermusikabende auf Subskription als kleines Abonnement für zahlende Besucher in den Wohnungen seiner Gönner veranstaltet.

Im Es-Dur-Quintett, dem letzten Werk, das er für eine solche Gelegenheit geschrieben hat, liegen heiter-gelöstes Musizieren und abgrundtiefe Melancholie ebenso nahe beieinander wie in den meisten Werken des letzten Lebensjahrs. Man denke nur an das B-Dur-Klavierkonzert, KV 595, oder an das Klarinettenkonzert.

Der erste Satz setzt burschikos, beinahe humoristisch ein. Bei einem Allegro di molto im Sechsachteltakt in der Tonart Es-Dur dachten Mozarts Zeitgenossen unweigerlich an Jagdmusik. Mit dieser Assoziation spielte Mozart zu Beginn, beim Einsatz der beiden Bratschen: Sie eröffnen den Satz mit einem schmetternden “Hornruf” in Sexten, dessen penetrant wiederholte Achtel mit kessen Trillern verziert werden. Die beiden Geigen antworten darauf mit einer elegant absteigenden Arabeske in Terzen. Das Frage-Antwort-Spiel wiederholt sich, bis die Geigen den Hornruf aufgreifen und in humorvoller Weise fortspinnen. Danach wandert das Trillermotiv durch die Stimmen, begleitet von einer Pendelbewegung aus nervösen Sechzehnteln, die sogar bis in die hohe Geigenlage aufsteigen. Erst das zweite Thema schlägt empfindsamere Töne an. Es wird von der ersten Geige ans Cello weitergereicht, bevor wieder die Triller und die Pendelbewegung die Oberhand gewinnen. Allmählich überschatten chromatische Zwischentöne und eigenwillige Molleintrübungen die anfangs so ostentative Heiterkeit. Melancholie drängt sich in den Vordergrund – in der Durchführung, Reprise und knappen Coda des Satzes.

Das Andante ist eine Romanze, eine Form, die sich von Paris ausgehend auch in der Wiener Musik der Epoche ihren festen Platz erobert hatte. Das bekannteste Beispiel bei Mozart ist der langsame Satz seiner “Kleinen Nachtmusik”. Ganz ähnlich wie dort handelt es sich auch beim Andante des Quintetts um einen schlichten Gesang im Alla-Breve-Takt und im Rhythmus einer langsamen Gavotte. Die leicht sentimental angehauchte Melodie, die mit zwei kontrastierenden Episoden abwechselt, wird Opernfreunden bekannt vorkommen. Mozart entlieh sie seinem Singspiel “Die Entführung aus dem Serail”, und zwar Belmontes Arie “Wenn der Freude Thränen fließen”. Solche Zitate aus seinen eigenen Vokalwerken häufen sich in seinen späten Werken. Man denke nur an das Rondo des letzten Klavierkonzerts mit seinem Liedzitat aus “Komm, lieber Mai, und mache” oder an das Andante des 1. Preußischen Quartetts, in dem Mozart sein Goethelied “Das Veilchen” zitierte. Diese melodischen Zitate verleihen den betreffenden Sätzen besondere Innigkeit, einen liedhaft intimen Ausdruck, wie er sich auch im Andante des Quintetts findet. Klanglich ist der Satz von besonderem Reiz, da die Romanzenmelodie bei ihren beiden Wiederholungen auf zarteste Weise variiert wird. Zunächst wird sie von einer Art Seufzermotiv der zweiten Geige grundiert, dann mit Doppelschlägen der Bratsche kombiniert. Auch die beiden Episoden und die kurze Coda sind klanglich von höchster Delikatesse. Die Streicher müssen die unterschiedlichsten Nuancen von Legato und Staccato, kurze Vorschläge, Schleifer und andere Verzierungen mit spielerischer Leichtigkeit bewältigen.

Im Menuett hat Mozart seinem väterlichen Freund Joseph Haydn ein kleines Denkmal gesetzt. Es greift jenen Scherzando-Typ auf, den Haydn in seinen Streichquartetten Opus 33 kreiert hatte: mehr Scherzo denn vornehmes Menuett. Gegenstand des Scherzes ist hier eine simple fallende Tonleiter, die in immer neuen Varianten durch die Stimmen wandert, mit ihrer eigenen Umkehrung und diversen Kontrapunkten kombiniert wird – ein kleines Meisterstück Mozartscher Polyphonie. Das Trio strahlt die Genügsamkeit eines Ländlers aus, dessen Melodie sich im Takt wiegt wie die monotone Weise eines Leierkastens.

Auch im Thema des Allegro-Finales scheint Mozart Haydn geradewegs zitiert zu haben. Mit seinem quicklebendigen Tanzrhythmus, der Dissonanz im vierten Takt, der etwas grobschlächtigen Ausweichung nach Moll und den Anklängen an ungarische Volksmusik enthält es so viele Ingredienzien typisch Haydnscher Finalthemen, dass die Absicht spürbar wird: Mit diesem Satz wollte Mozart seinem nach London abgereisten Komponistenfreund einen Gruß nachsenden. Haydneske Muster bestimmen auch die Verarbeitung des Themas, etwa in den bordunartigen Klängen der Überleitung. Unverwechselbar mozartisch ist dagegen der dichte Kontrapunkt, der den Satz durchzieht, sowie die Melancholie der Molleintrübungen. Die Durchführung ist in dieser Hinsicht ein kleines Wunderwerk, das in abgrundtief traurigen Vorhaltsdissonanzen gipfelt. In der Coda werden Umkehrung und Originalgestalt des Themas auf höchst subtile Weise gegeneinander ausgespielt – ein grandioser Schlusspunkt unter Mozarts Kammermusik für Streicher. Dennoch steht dieses Meisterwerk Mozartscher Kunst bis heute unverdientermaßen im Schatten der viel berühmteren Streichquintette in g-Moll und C-Dur.

Quintett Es-Dur, KV 614 (alternativer Text)

Das Es-Dur-Quintett für zwei Violinen, zwei Bratschen und Cello ist das letzte der sechs Streichquintette Mozarts. Es entstand in seinem Todesjahr 1791: Als vorletztes Kammermusikwerk vor Adagio und Rondo, KV 617, hat es Mozart am 12. April 1791 in sein Werkverzeichnis eingetragen. Wie das wenige Monate ältere D-Dur-Quintett KV 593 soll es “auf eine sehr thätige Aneiferung eines Musikfreundes” hin komponiert worden sein; andere Quellen berichten von einem “amatore ongarese”, einem ungarischen Amateurgeiger als Auftraggeber. Es handelte sich wohl um den aus Ungarn stammenden Wiener Kaufmann und Quartettgeiger Johann Tost, dem auch Joseph Haydn seine Streichquartette op. 54/55 widmete. Mozart beabsichtigte – wie Haydn – die spätere Publikation seiner beiden “Tost”-Quintette, und zwar zusammen mit einem unvollendeten Streichquintett in a-Moll, KV 516b, zu dem sich umfangreiche Skizzen erhalten haben. (Früher datierte man diesen Quintettentwurf in das Jahr 1787; die Papiersorte des Manuskriptes beweist jedoch, daß Mozart an diesem Streichquintett erst in seinem letzten Lebensjahr arbeitete.)

Im Es-Dur-Quintett durchdringen sich – wie in den anderen instrumentalen Hauptwerken aus Mozarts letztem Jahr, dem B-Dur-Klavierkonzert, KV 595, oder dem Klarinettenkonzert – heiter-gelöstes Musizieren und abgrundtiefe Melancholie. So wird der erste Satz von einem burschikosen Duett der beiden Bratschen eröffnet, das die beiden Geigen mit einer Gegenbewegung elegant abfangen. Die keineswegs leicht zu spielenden Triller der Bratschen wandern später durch alle Stimmen und durchziehen wie eine Art humoristisches Leitmotiv den gesamten Satz. Schon in der Überleitung freilich und besonders im Seitensatz und in der Durchführung überschatten chromatische Töne und seltsame Mollakkorde die vordergründige Heiterkeit dieses Themas.

Das Andante ist eine sogenannte “Romanze”, eine Form, die von Antonio Rosetti und anderen Komponisten aus dem bayerisch-schwäbischen Raum um 1780 populär gemacht wurden. Es handelt sich um ein einfaches sangbares Thema, das mit zwei kontrastierenden Episoden abwechselt. Opernfreunden wird die Melodie dieser Romanze bekannt vorkommen. Mozart entlieh sie seinem Singspiel Die Entführung aus dem Serail, aus Belmontes Arie Wenn der Freude Thränen fließen. Solche Zitate aus eigenen Vokalwerken finden sich beim späten Mozart häufig (im letzten B-Dur-Klavierkonzert das Lied “Komm, lieber Mai, und mache”, im D-Dur-Streichquartett, KV 575, sein Lied “Das Veilchen” und im C-Dur-Klavierkonzert, KV 503, eine Gavotte aus “Idomeneo”).

Im Menuett und im Finale hat Mozart seinem Freund Haydn ein letztes eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Das Menuett greift den Scherzando-Ton aus Haydns Quartetten op. 33 auf; Gegenstand des Scherzes ist hier eine simple fallende Tonleiter. Das Trio ist als Ländler angelegt. Das Rondothema des Finales scheint geradewegs aus einer Haydn-Sinfonie entsprungen zu sein, und auch die Verarbeitung erinnert in den bordunartigen Klängen an Haydn. Unverwechselbar mozartisch sind aber der dichte Kontrapunkt, der den Satz auf denkbar unangestrengte Weise durchzieht, und die Melancholie der Molleintrübungen. In der Coda werden Umkehrung und Originalgestalt des Themas auf höchst subtile Weise gegeneinander ausgespielt – ein grandioser Schlusspunkt unter Mozarts Kammermusik für Streicher.