"Abschied und kühles Verwehen" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Karl-Josef Müller

"Abschied und kühles Verwehen"

“Abschied und kühles Verwehen” für mittlere Stimme und sechs Intrumente auf Texte von Wilhelm Klemm (1991/92)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1410

Satzbezeichnungen

1. Lied

2. Terra nova

3. Sehnsucht

Erläuterungen

1. Lied

Zierliche Birke, du
Neige dich in den Himmel hinein,
In deine hängenden Zweige
Kehrt der Abendstern ein.

In dem zarten Gehäuse
Leuchtet er doppelt klar.
Ein Fisch in himmlischer Reuse,
Golden und wunderbar.

Abendstern, friedliches Kleinod,
Birgt sich am Himmelsrand,
Purpurflora und Weinrot
Reichen ihm lieblich die Hand.

Abschied und kühles Verwehen,
Lange Dämmrung wacht,
Hirtengesänge gehen
Selig durch die Nacht.

2. Terra nova

Wir standen am Ende der Welt.
Wenn ich nur wüßte, was das verrückte Licht zu bedeuten hat.
Komm her! Gib mir noch einmal die Feuerbowle.
Ich glaube, der kälteste Teil der Reise beginnt.
Schon weht ein neuer, ganz verdammter Wind.
Ich weiß nur noch nicht recht, aus welcher Richtung.
Und vor uns bäumen sich fremde Dinge,
Wie sie weder Natur noch Erfahrung bietet.
Wir putzen krampfhaft den blanken Schild der Ehre.
Siehst du, das kommt, von dem unvorsichtigen Schlafen!
Wenn du nicht mitkannst, will ich dir’s wenigstens vormachen:
Plötzlich wipp ich mich ab schwerfälligen Flügelschlags.

3. Sehnsucht

O Herr, vereinfache meine Worte.
Laß Kürze mein Geheimnis sein.
Gib mir die weise Verlangsamung.
Wieviel kann beschlossen sein in drei Silben.
Schenk mir die glühenden Siegel,
Die Knoten, die Fernstes verknüpfen.
Gib den Kampfruf aus
Den heimlichen Schlachten der Seele
Laß quellen den Schrei
Aus grünen Waldeskehlen.
Feuersignale, über Abgründe geblinkt,
Botschaften, in fremde Herzen gehaucht,
Flaschenposten im Meere der Zeit,
Aufgefangen nach vielen Jahrhunderten.

Wilhelm Klemm (1881-1968)

Karl-Josef Müller, Prof. Dr. phil., Komponist und Musikwissenschaftler, lehrt an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main und an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Neben Kompositionen, die – bisher außer der Oper – alle Gattungen umfassen, hat er zahlreiche Arbeiten vor allem über Musik des 20. Jahrhunderts veröffentlicht, von denen seine Mahler-Biographie (1984) am bekanntesten wurde.
Sein Portrait mit Ives für großes Orchester, ein Auftragswerk des Landes Rheinland-Pfalz, wird am 19. 9. 1995 in der Rheingoldhalle Mainz uraufgeführt werden.
In seinem 1991/92 komponierten Liederzyklus Abschied und kühles Verwehen griff er auf Gedichte von Wilhelm Klemm zurück. Der kantabel geführten Singstimme treten im Instrumentalensemble außerordentlich differenzierte Klänge gegenüber: einerseits die Gruppe Gitarre-Vibraphon-Schlagzeug mit teils perkussiver, teils ätherischer Klanggebung, andererseits Klarinette und Bratsche mit kantablen Soli. Diese Klangformationen werden zwischen den drei Liedern in Zwischenspielen fortgesetzt, die auch als separates Instrumentalwerk unter dem Titel Essay herauskamen.
Der gesamte Zyklus wurde im Januar 1993 im Fachbereich Musik der Mainzer Universität von Gabriele Zimmermann und dem Mutare-Ensemble Frankfurt unter der Leitung von Gerhard Müller-Hornbach uraufgeführt.