Streichquartett Nr. 6 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Béla Bartók

Streichquartett Nr. 6

Quartett Nr 6 für zwei Violinen, Viola und Violoncello

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 142

Satzbezeichnungen

1. Mesto Vivace

2. Mesto Marcia

3. Mesto Burletta

4. Mesto Molto Tranquillo

Erläuterungen

„Béla Bartóks sechs Streichquartette enthalten, ähnlich den Streichquartetten Beethovens, die sublimste Musik des Komponisten. Wenn in der Musik des 20. Jahrhunderts etwas vorhanden ist, was einst unsere Nachkommen davon überzeugen kann, dass unser Zeitalter nicht so barbarisch war, wie die Geschichte es zeigt, wenn eine solche Musik vorhanden ist, dann sind es Bartóks Streichquartette.“

In diesen bewegenden Worten beschrieb der englische Musikwissenschaftler Cecil Mason bereits 1950 die unvergleichliche Wirkung der sechs Streichquartette Bartóks. Erst neun Jahre früher, am 20. Januar 1941, war das sechste und letzte vom Kolisch Quartett uraufgeführt worden – nicht mehr in der Alten Welt, die Hitler mit seinem Weltkriegs-Wahnsinn überzogen hatte, sondern in New York. Dorthin waren sowohl die Musiker des Quartetts als auch die Familie Bartók als Emigranten geflüchtet. Rudolf Kolisch und seine Mitspieler retteten vor dem Rassenwahn der Nazis ihr Leben, Bartók entschloss sich freiwillig und aus Abscheu vor der politischen Hetze in seiner Heimat zur Emigration – „ein Sprung ins Ungewisse aus dem gewusst Unerträglichen“, wie er es nannte. In Manhattan hatte er es schwerer als erwartet, doch weiß das Sechste Quartett davon noch nichts zu erzählen. Es war sein Abschied von Europa, ein Werk des Schicksalsjahres 1939: begonnen im August im Berner Oberland, wo Bartók bei Paul Sacher zu Gast war, vollendet im November, als der Zweite Weltkrieg schon ausgebrochen war. Elf Monate später bestiegen die Bartóks das Schiff nach Amerika, nachdem die Mutter des Komponisten verstorben und alle Bande zur Heimat abgerissen waren.

„Verklärt-resignierte Seelenruhe bildet die Grundstimmung des Werkes, eine Trauerstimmung, die zu tief ist, als dass sie mit hitzigeren Mitteln hätte ausgedrückt werden können. Es war Bartók wohl kaum bewusst, dass dies sein letztes Werk sein würde, dass er in seinem so geliebten Vaterland beendigen konnte (obschon der Krieg damals schon ausgebrochen war). Heute kündet dieses Werk gleichsam prophetisch die Trauer jener Krisenzeit; seine Reinheit ist vollkommen.“ (Mason)

Über jedem der vier Sätze steht das Wort Mesto, „traurig“, denn jeder Satz beginnt mit dem tief traurigen Mottothema des Quartetts. Zu Beginn wird es von der Bratsche ohne jede Begleitung angestimmt – ein kurzer, getragener Monolog vor der zerrissenen Vielstimmigkeit des folgenden Vivace. Im zweiten Satz geht das Mottothema als langsame Einleitung einem grotesken, von klanglichen Härten heimgesuchten Marsch voraus. Hier erscheint das Motto nicht mehr einstimmig, sondern im zweistimmigen Satz, grundiert von einem Kontrapunkt, und breiter ausgeführt. Noch länger ist die Einleitung zum dritten Satz, wo sich zwei kontrapunktische Gegenstimmen zum Mottothema gesellen, gefolgt von einer Burletta, die mehr sarkastische Groteske ist als Scherzo. Das Finale ist nur Mesto überschrieben. Hier fungiert das Motto als Hauptthema eines resignierten Adagios – „eine Art Epilog“, wie es Cecil Mason nannte. Ursprünglich hatte Bartók mit dem Gedanken an ein schnelles, tänzerisches Finale gespielt, wie seine Skizzen zeigen. Dann aber starb seine Mutter, und die Skizzen wurden für ein Adagio-Finale verwendet, das zugleich sein Trauergesang auf die Mutter und sein „les Adieux“ an die Heimat war.

In seiner Analyse des Werkes kam Cecil Mason auf den völlig veränderten Stil Bartóks in diesem letzten Quartett zu sprechen: „Die Melodik ist viel fließender geworden, die Harmonik noch weiträumiger, die ganze Komposition klarer, die einzelnen Themen geben sich technisch einfacher und zugleich weniger experimentell. Zwar benutzt Bartók mitunter auch noch ungewohnte Mittel, aber dies alles tut er so natürlich und sparsam, dass diese Mittel die Folgerichtigkeit des ganzen Werkes in nichts stören. Diese Beschränkung ist nur das äußere Zeichen für jene verklärt-resignierte Seelenruhe, die die Grundstimmung des Werkes bildet.“ (Mason)