Oktett Nr. 1 Es-Dur | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Josef Myslivecek

Oktett Nr. 1 Es-Dur

Oktett Nr. 1 Es-Dur für zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Hörner und zwei Fagotte

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1424

Satzbezeichnungen

1. Allegro maestoso

2. Larghetto un poco sostenuto

3. Tempo di Menuetto – Trio I-III

Erläuterungen

2002
JOSEF MYSLIVECEK
Bläseroktett Nr. 1 Es-Dur

Den Anfang macht die Musik eines Mozartzeitgenossen, den man stilistisch fast mit seinem jüngeren Kollegen und Freund aus Salzburg verwechseln könnte: Josef Myslivecek. Seinerzeit ein gefeierter Opernkomponist, ist er heute bis auf wenige vereinzelte Aufführungen von Violinkonzerten und Kammermusik vergessen. Dies hängt mit seinem merkwürdigen Status als Böhme in Italien zusammen.

In der römischen Kirche San Lorenzo in Lucina in der Nähe des Corso findet sich an einem Pfeiler des Mittelschiffs eine Stele, die in tschechischer und italienischer Sprache auf Mysliveceks Grab hinweist. Er wurde hier bestattet, weil er seine letzten Monate als Todkranker im benachbarten Ospedale degli Incurabili fristete – das traurige Ende einer glanzvollen Karriere.

Für die Italier um 1780 war Myslivecek schlichtweg einer ihrer Größten. Auch nördlich der Alpen sammelte man begierig alles, was der Böhme unter reichlich sensationellen Umständen an den Opernhäusern in Florenz, Neapel, Rom oder Venedig herausbrachte. Die Koblenzer Hofkapelle spielte kaum ein Konzertprogramm ohne eine Arie von ihm. Um seine Opern und sein Oratorium Abbramo ed Isacco rissen sich die Höfe in Deutschland. Myslivecek war eine Berühmtheit, und er war ein Freund Mozarts.

Die Mozarts lernten den Prager Müllersohn, der nach Italien gegangen war, um Opernkomponist zu werden, 1770 auf dem Höhepunkt seines Ruhms kennen. Der jugendliche Mozart freundete sich mit dem knapp 20 Jahre älteren rasch an und ließ sich vom melodischen Charme und der rhythmischen Vitalität seiner Musik anstecken. Auch als der deutlich gereifte Mozart Myslivecek 1777 in München wiedertraf, war die alte Achtung noch lebendig. Das Treffen stand jedoch unter unglücklichen Vorzeichen. In der bayerischen Hauptstadt, wo Myslivecek mit großem Erfolg seine Oper Ezio produziert hatte, waren Anzeichen der Syphillis aufgetreten, die die Münchner Ärzte so brutal zu kurieren versuchten, dass sie dem Patienten die halbe Nase wegbrannten. Den Kranken im Münchner Hospital zu besuchen,war für Mozart ein belastendes Unterfangen, wie er in zwei Briefen lebhaft schilderte. Zurück in Italien nahm Myslivecek zwar seine Opernkarriere wieder auf, sie fand jedoch 1781 ein vorzeitiges Ende in jenem römischen Hospital, neben dem er heute begraben liegt.
Neben Mysliveceks unrühmlichem Ende ist es zweifellos sein Name, der seinen Nachruhm behindert hat. Schon im 18. Jahrhundert war er nur schwer zu behalten. Als der bayerische Graf Joseph Franz von Seinsheim seinem Bruder, dem Fürstbischof von Würzburg, von den Münchner Erfolgen des berühmten böhmischen Gastes berichten wollte, nannte er ihn mal „Wickelseck“, mal „Misslowez“, mal „Mislowiek“. Musikforscher haben eine ganze Liste solcher Verballhornungen aufgestellt, um Handschriften mit Werken Mysliveceks wenigstens einigermaßen sicher zu identifizieren. Die Italiener, restlos überfordert mit tschechischen Zungenbrechern dieser Art, nannten ihn schlicht „Il Boemo“, den Böhmen.

Dass Mysliveceks Musik von allen Mozart-Zeitgenossen mit am deutlichsten an den großen Salzburger erinnert, bestätigt das Oktett unseres Programms. Viele thematische Einfälle, harmonische und rhythmische Wendungen könnten auch von Mozart stammen, der dieses Oktett vielleicht sogar kannte. Die drei Bläseroktette Mysliveceks sind in zwei Handschriften in Donaueschingen und St. Petersburg überliefert, was allein schon auf einen Auftraggeber im Norden hindeutet. Außerdem zählen sie zu den frühesten Beispielen für die später klassische Harmoniemusik-Besetzung aus je zwei Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotten, die Mozart wenige Jahre später übernahm. Virtuose Klarinettenpartien, wie sie hier vorkommen, konnten damals nur die Klarinettisten in München, Prag, Koblenz oder Wien spielen. Die Forschung nimmt an, dass Myslivecek die Oktette während seines Münchner Aufenthaltes geschrieben hat, und zwar für den Hof oder für den Münchner Gastwirt Albert. Letzterer veranstaltete im prachtvoll dekorierten Tanzsaal seines Gasthofs „Zum schwarzen Adler“ eine eigene Konzertreihe, in der neben Stargästen wie Mozart auch Bläserensembles auftraten. Der bayerische Adel pflegte „nach der Opera in großer Compagnie bei Albert zu soupiren“ (Seinsheim), wobei Mysliveceks Oktette als Tafelmusik gedient haben könnten. Die Verbindung von Kulinarik und Musik ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Schon die Gastronomen der Mozartzeit wussten sie für ihre Zwecke zu nutzen.

Das erste Oktett in Es von Myslivecek besteht aus drei Sätzen: einem Allegro maestoso in Sonatenform, das an den ersten Satz einer Sinfonie erinnert, einem arienhaften Larghetto von erlesen schönem Klang und einem Menuett mit drei Trios, in denen sich Klarinetten, Fagotte und Hörner nacheinander solistisch präsentieren.