Violinsonate D-Dur, op. 94b | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Sergej Prokofieff

Violinsonate D-Dur, op. 94b

Sonate Nr. 2 D-Dur für Violine und Klavier, op. 94b

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1502

Satzbezeichnungen

1. Moderato

2. Scherzo . PResto

3. Andante

4. Allegro con brio

Erläuterungen

Noch im zaristischen Russland vor 1917 legte Sergej Prokofiew den Grundstein zu seiner Karriere. Danach bewegte er sich auf internationalem Parkett: ab 1918 in den USA, in den 20er Jahren in Deutschland und Italien, schließlich in Paris, das ihm in den 30er Jahren zur zweiten Heimat wurde. Erst 1936 kehrte er in die UdSSR zurück – in ein Land, das von der rücksichtslosen Machtpolitik Stalins zunehmend bedrückt und von Vorahnungen des Krieges bedrängt wurde und dem sich Prokofiew dennoch menschlich zutiefst verpflichtet fühlte. Auf tragische Weise sollte sein weiterer Lebensweg von der Kulturpolitik des stalinistischen Russland überschattet werden.

Musikalisch blieb Prokofiew – im Gegensatz zu dem 15 Jahre jüngeren Schostakowitsch, für den die Stalinzeit zum Trauma seiner Kunst wurde – auch in der Sowjetunion ganz Weltmann. Die ihm eigene polyglotte Stilvielfalt, die ihm sehr wohl bewusst war, hat er in vier Linien unterteilt: „Die Hauptlinien, die mein Schaffen bestimmen, sind folgende: die klassische Linie, die bis in die frühe Kindheit zurückreicht, als meine Mutter mir die Sonaten von Beethoven vorspielte, … die Innovationslinie, eine Suche nach einer Sprache, um starke Emotionen auszudrücken, … die toccatische bzw. motorische Linie, die wahrscheinlich von der Toccata Schumanns herrührt, die mich seinerzeit sehr beeindruckte,… und die lyrisch-kontemplative Linie, manchmal verbunden mit einer längeren Melodie.“

Die 2. Violinsonate in der strahlenden Tonart D-Dur ist teils der klassischen, teils der lyrischen Linie verpflichtet, im Scherzo der motorischen. Obwohl das Stück mitten im Zweiten Weltkrieg 1943 entstand, lässt es in seiner lichten Daseinsfreude von den Schatten des Krieges nichts erahnen. Prokofiew komponierte es ursprünglich für Flöte und Klavier, und zwar in Perm „an den bewaldeten Ufern der Kama, eines der größten Nebenflüsse der Wolga“, wohin er evakuiert worden war. In der Uralstadt mit ihrem viel zu kleinen Theater hatte sich das Ensemble des Kirovtheaters notdürftig einrichten müssen, und wieder einmal komponierte Prokofiew für die virtuosen Tänzer eine Ballettmusik (Cinderella). Inspiriert vom zauberhaften Sujet des Balletts, entstand die Flötensonate, die schon im Dezember 1943 von Sviatoslav Richter am Klavier und dem Flötisten Charkowski in Moskau uraufgeführt wurde. David Oistrach, der damals im Publikum saß, ruhte nicht, bis Prokofiew ihm das Werk für Violine arrangiert hatte. Wie die Erstfassung erlebte auch diese ihre Premiere im Moskauer Konservatorium mit Oistrach und Lev Oborin am Klavier. In der Violinfassung sind etliche Details geändert – von den Tempobezeichnungen über Doppelgriffe bis hin zu geänderten Lagen der Themen.

Die Bevorzugung der dritten Oktav und die Geläufigkeit, die in der Urfassung von den Flötisten Erhebliches verlangt, kommt der singenden hohen Lage der Geige und ihren Bogenkunststücken natürlicherweise entgegen. Gustav Scheck meinte in seiner lesenswerten Analyse des Werkes, im ersten Satz sei die „klassizistische Form leicht überschaubar, ihr spätromantischer Geist aber muss durch die Nuance, durch erhöhte Farbigkeit des Timbrewechsels und durch starke Kontraste erweckt werden.“ Als Beispiele für den spätromantischen Geist führte Scheck das kantable, in der dritten Oktav liegende zweite Thema, einen idealisierten Marsch, an sowie die kantablen Nuancen des fließenden Hauptthemas. Das „fantastische Scherzo“ jagt in rasenden Sechzehnteln dahin. „Der dritte Satz, Andante, ist getragen von Serenität und idyllischer Stimmung. Die Triolen, die dem Murmeln eines Baches vergleichbar sind, vertragen ein Poco meno des Tempos.“ (Scheck) Der vierte Satz, ein Allegro con brio in Rondoform, wird von rustikalen Tanzthemen, „hübschen Arpeggi im zweiten Thema“ und virtuosen Terzpassagen bestimmt.