Sonate D-Dur | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johann Joachim Quantz

Sonate D-Dur

Sonate D-Dur für Flöte und Basso continuo

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1511

Satzbezeichnungen

1. Grave e sostenuto

2. Presto

3. Allegro

Erläuterungen

2003
JOHANN JOACHIM QUANTZ
Flötensonate D-Dur

Dem königlichen Flötenlehrer Quantz überlassen wir, wie es sich im Musikzimmer zu Sanssouci gehört, das erste Wort. Der Flötist von hühnenhafter Gestalt war die „Emminence grise“ des Berliner Musiklebens. Man witzelte, dass der Pudel der Madame Quantz der eigentliche Herrscher von Preußen sei, weil König Friedrich vor niemandem Respekt habe außer vor Quantz, dieser wiederum vor niemandem als seiner Frau und letztere von ihrem Pudel tyrannisiert werde. „Die Namen Quantz und Graun sind zu Berlin heilig und wird mehr darauf geschworen als auf Luther und Calvin“, bemerkte der Anglikaner Charles Burney spöttisch über die Musikreligion der Berliner.

Das militärische Wesen von Quantz und seiner Musik hat wesentlich zur Kontur der Berliner Aufklärung beigetragen. Seine Werke, so genial sie auch die Flöte in Szene setzen, verraten immer etwas von Strenge und Klarheit ohne die Emotionen eines Carl Philipp Emanuel Bach oder die böhmische Musikalität eines Benda. „Seine Musik ist simpel und natürlich“, meinte Burney, und auch darin entsprach der Lehrer ganz dem Geschmack des königlichen Schülers: „Der König hält in der Musik ebensowohl auf gute Mannszucht als im Felde.“ (Burney) Wilhelmine von Bayreuth aber, Friedrichs musikalische Schwester, nannte Quantz einen „großen Komponisten, dessen Geschmack und hohe Kunst der Flöte den Klang der schönsten weiblichen Stimme verleihen konnte“.

Das Ideal des italienischen Operngesangs spielte in Quantzens Musik eine zentrale Rolle. Die Kastraten und Primadonnen, die Friedrich mit großem Aufwand nach Berlin holte und höchstselbst im Vortrag des Adagios unterrichtete, setzten einen Standard im Sostenuto-Vortrag rührender, ausdrucksvoller Melodien von schier endlosem Atem, dem auch Quantz nachstrebte. Ebenso wetteiferte seine Flöte mit den halsbrecherischen Koloraturen der Sängerstars. Unsere D-Dur-Sonate legt davon beredtes Zeugnis ab. Sie stammt aus Quantzens produktiven Berliner Anfangsjahren, als seine Kunst noch frisch und die Finger seines königlichen Scholaren noch geläufig waren. Dies zeigen die schnellen Sätze in ihrer rauschenden Virtuosität, während im einleitenden Grave das Sostenuto, der getragene Ton im Sinne der italienischen Gesangsschule, gewissermaßen lehrhaft vorgeführt wird.

ZUM PROGRAMM

Die Utopie vom weisen und gerechten König wurde für die Deutschen im 18. Jahrhundert in einem Bild konkret: dem „Philosophen von Sanssouci“. König Friedrich von Preußen und sein Lustschloss bei Potsdam wurden zum Symbol der Aufklärung wie der Sonnenkönig und Versailles zu dem des Absolutismus. „Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüther wirkte“ (Goethe). Der König galt als „geistreich“ und „philosophisch“ und war zugleich der tollkühnste Feldherr seiner Zeit, der die Uniform selbst in Sanssouci nicht ablegte. Er war Musenfürst und Dichter, für den die Musen aber auch Mittel zum Zweck der Propaganda waren. All dies fließt in Sanssouci zusammen und in der Musik, die dort erklang: Rationalismus und Natürlichkeit, die Selbstdisziplin eines Königs, der wie sein Volk rastlos tätig war, und die Selbstdarstellung Friedrichs, der seine Flöte ebenso brillant zu führen gedachte wie seine Armeen.

EIN NEUER KÖNIG

Friedrich der Große bestieg 1740 im Alter von 28 Jahren den Thron Preußens und verwandelte mit einem Schlag das öffentliche Bild des Monarchen in Europa. Seine Minister ließ er wissen: „Sie haben bisher einen Unterschied gemacht zwischen den Interessen des Königs und denen des Landes… Lassen Sie es sich ein für allemal gesagt sein: Ich sehe mein Interesse nur in dem, was zur Erleichterung des Loses meines Volkes und zu seinem Glück beitragen kann.“ „Ohne Sorge“ war der Tagesablauf eines solchen Königs wahrlich nicht, selbst wenn er sich im scheinbaren Idyll von Schloss Sans,souci (so die Schreibweise auf dem Architrav des Schlosses) abspielte. Schon in einem der ersten Briefe, die Friedrich als König an Voltaire schrieb, schildert er seinen Tagesablauf: „Ich stehe um 4 Uhr auf, … schreibe bis 10, lasse bis Mittag Regimenter exerzieren, schreibe bis 5 Uhr und erhole mich Abends bei guter Gesellschaft.“

Die gute Gesellschaft, der Friedrich frönte, war die Musik. Jeden Abend gab er in seinen Gemächern Konzert. Die vier Musikzimmer in seinen drei Potsdamer Schlössern geben davon Zeugnis, ja der Grundriss von Sansouci spricht eine noch deutlichere Sprache: Das Konzertzimmer liegt direkt neben dem Arbeitszimmer des Königs. Friedrich liebte es, zwischen den Amtsgeschäften für ein bis zwei Stunden an seine Flöte zu verschwinden. Welcher Politiker heute würde sich ein Musikzimmer zum eigenen Üben und Konzertieren als Refugium neben seinen Schreibtisch setzen?

Friedrichs Liebe zur Flöte war tief in seiner Biographie verwurzelt, in der Opposition eines Sohnes der „effemminierten“ galanten Zeit gegen den barocken Vater, sie war aber zugleich reine Propaganda: „Das sicherste Anzeichen dafür, dass ein Land unter weiser Leitung Glück, Wohlstand und Fülle genießt, ist das Erwachen der schönen Künste und Wissenschaften.“ Diesen Satz hat Friedrich nicht mehr im Bewusstsein barocker Monarchen geschrieben, denen die Künste zur Glorifizierung ihrer Person und ihrer Dynastie gedient hatten. Friedrichs propagandistisches Konzept war einfacher und raffinierter: Das Blühen der Künste bewies das Blühen des Staates unter weiser Regierung, also sorgte der weise König selbst dafür, dass die Künste in angemessener Weise gefördert wurden – nach seinem Gutdünken.

SANSSOUCI

Als Musentempel in diesem Sinne, nicht als kitschiges Refugium im Weinberg muss man Schloss Sanssouci verstehen, das im Mai 1747, 16 Monate nach dem Ende des Zweiten Schlesischen Krieges, eingeweiht wurde. In Sanssouci wurde Friedrichs Regierung als Monarchie des Geistes und der Künste zum Symbol, zugleich war es sein privatester Raum, ein Schloss von so bescheidenen Proportionen, dass selbst Schloss Engers dagegen protzig erscheint.

Weder das Phänomen der allabendlichen Flötenkonzerte in Sanssouci noch deren Inhalt kann man verstehen, ohne die kulturpolitische Funktion der Musik im Rahmen der aufgeklärten Utopie vom gerechten König zur Kenntnis zu nehmen. Kaum weniger denn als Verwaltungsbeamter oder Feldherr gab Friedrich auch als Flötenspieler, Komponist, Opernintendant und Librettist die Messlatte dafür vor, wohin sich die Musik in Preußen unter seiner Ägide zu entwickeln hatte.

Der König war dabei immer demonstrativ auch selbst Künstler. Während konservative Hofbeamte in Wien Maria Theresia verboten, als Sängerin öffentlich aufzutreten, erkannte der fortschrittliche Friedrich, dass sein eigenes künstlerisches Tun ihm mühelos jene Sympathien einbrachte, die man auf dem Schlachtfeld und in der Diplomatie kaum errang. Der Entwurf zum Musikzimmer von Sanssouci wie der Grundriss des gesamten Schlosses, der Plan des Berliner Opernhauses, das Thema des Musicalischen Opfers, das Libretto von Grauns Montezuma wie vieler anderer Berliner Opern, ja selbst Hausfassaden in Potsdam – alles Schöpfungen Friedrichs, „von deroselben hoher Hand selbst herrührend“, wie Johann Sebastian Bach ehrfürchtig schrieb. Solches Tun war mehr wert als zig gewonnene Schlachten. Friedrich war ein Meister der Publicity, Sieger in der Schlacht um die öffentliche Meinung, die er raffinierter austrug als seine Feinde.

FLÖTENKONZERT

Sehen wir also unser heutiges Flötenkonzert in Sanssouci als eine Art Schlachtfeld an, auf dem Friedrich an seiner geliebten Flöte triumphiert, begleitet von seinem ersten Musikoffizier, Johann Joachim Quantz, und von seinem getreuen Basso continuo mit Carl Philipp Emanuel Bach am Cembalo und einem seiner Hofcellisten. Der König feuert seine flötistischen Dauersalven ab, die er zuvor im stillen Kämmerlein militärisch genau einstudierte. Dass manchmal, wie übrigens auch auf dem realen Schlachtfeld, sein Temperament mit ihm durchgeht, er schneller und schneller wird, wissen die geduldigen Offiziere seiner Hofkapelle und rücken, wie Zieten und Seydlitz in der Schlacht, alles wieder zurecht.
Im Adagio, in der leidenschaftlichen Ansprache an die Emotion seiner Zuhörer, liegt Friedrichs eigentliche Stärke. Und wenn dann im abschließenden Presto der Berg genommen ist, die schwersten Passagen in c-Moll oder As-Dur hinter ihm liegen, dann tönt das erlösende „Bravo“ seines Flötenlehrers Quantz durch den Raum. Kein anderes Lob geziemt sich bei Hofe für den königlichen Scholaren.

Die Stücke, die zu solchem Exerzitium taugen, treten in ihrer Individualität hinter dem täglichen Ritual zurück. Nach dem Zeugnis von Quantz spielte der König die Flötenkonzerte seines Lehrers nach der Reihe von Nr. 1 bis Nr. 299 durch. Um das einzelne Werk, besondere Favoriten oder Glanzstücke ging es gar nicht. In der gleichen Weise dürfte Friedrich seine eigenen 121 Flötensonaten „durchexerziert“ haben. Welche Rolle die Musik des Hofcembalisten Carl Philipp Emanuel Bach oder die eines Franz Benda auf diesem allabendlichen Musikparadeplatz spielten, entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis. Doch ohne die exaltierte Expressivität des Bachsohnes und die Musikalität des Böhmen wäre das Bild des Musikmonarchen Friedrich unvollständig.