Streichquartett a-Moll, op. 132 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Beethoven

Streichquartett a-Moll, op. 132

Quartett a-Moll für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 132

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 161

Satzbezeichnungen

1. Assai sostenuto – Allegro

2. Allegro ma non tanto

3. Canzona di ringraziamento. Molto adagio (Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit in der lydischen Tonart)

4. Alla marcia, assai vivace

5. Allegro appassionato

Erläuterungen

„Sie ist doch gar zu rührend u. eindringlich“, meinte Fanny Mendelssohn in dem bereits zitierten Brief über die Manier des späten Beethoven. Die Geschwister Mendelssohn in Berlin gehörten zu den wenigen Zeitgenossen, die die späten Streichquartette des Wiener Meisters begeistert aufnahmen und intuitiv nachahmten, während ihr eigener Vater und andere auf „Beethoven und alle Fantasten“ schimpfte. „Chinesisch“ kamen vielen Rezensenten die Klänge dieser Werke vor. Den keiner Formkonvention gehorchenden Zusammenhang der Sätze wussten sie ebensowenig einzuordnen wie den oft eigenwilligen Charakter der einzelnen Sätze, kurzum: die späten Beethoven-Quartette erschienen ihnen als „Neue Musik“ in einem ganz emphatischen Sinne, und sie haben diesen Nimbus bis heute nicht eingebüßt.

Das a-Moll-Quartett, op. 132, komponiert 1825 und noch in diesem Jahr vom Schuppanzigh Quartett in Wien uraufgeführt, stellt die irritierenden Elemente im Spätstil Beethovens zurück gegenüber einer unmittelbar eingängigen Dramatik der Themen und des Formverlaufs. Eher unterschwellig kommen abstrakte Momente zum Tragen, so etwa in dem Viertonmotiv, das die langsame Einleitung in einem geheimnisvollen Kanon vorstellt und das dann auch dem Hauptthema des Allegros zugrundeliegt. Es handelt sich um eine Art „Motto“ der späten Quartette Beethovens, das bis hin zur Großen Fuge in immer neuer Gestalt wiederkehrt. Die Brücke zwischen Einleitung und Allegro, eine dramatische Violinkadenz, wirkt ausgesprochen rhetorisch. Vagierende Sechzehntelläufe und Rückgriffe auf die Einleitung durchziehen das gesamte Allegro, das ansonsten ganz von seinem klagenden Hauptthema beherrscht wird. Marschartige Episoden und der fast schuberthafte Seitensatz wirken eher als Intermezzi in einem schmerzlich bewegten, fast in jeder Phrase „sprechenden“ Satz. Der Formverlauf verzichtet auf die übliche lange Durchführung in der Mitte und spiegelt so die Sehnsucht des späten Beethoven nach Vereinfachung der Formen bei extremer Verdichtung im satztechnischen Detail wider.

Der zweite Satz ist voll der satztechnischen Scherze, die auch andere Binnensätze der späten Quartette zeigen: zwei Motive bilden immer neue, mehr oder weniger ernst gemeinte kontrapunktische Kombinationen. Die Fülle der satztechnischen Varianten spottet jeder Beschreibung. Im Trio hat Beethoven dann sozusagen demonstrativ auf Anspruch verzichtet und ein lichtes Gesangs- und Klangstück über Trommel-bässen geschrieben, in das unvermittelt eine bärbeißige Episode einbricht.

Höhepunkt des Quartetts ist der langsame Satz, der berühmte Heilige Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart. Es handelt sich um einen Choral, der nicht nur im Gebrauch des lydischen Kirchentons, sondern auch in der Satztechnik der alten Kirchenmotette und im ganzen schwebend-gesanglichen Duktus an ein chorisches Gebet der alten Zeit denken lässt. Zwei „moderne“ Episoden unterbrechen den Dankgesang; „neue Kraft fühlend“, sind sie von Tanzrhythmen und den typischen Motiven des späten Beethoven geprägt.

Nach dem vierten Satz, einem mehr als ironischen Marsch in A-Dur, folgt das Appossionato-Finale, das auf die drängend-bewegten Finalsätze der Romantiker (Schubert, Mendelssohn, Brahms) vorauszuweisen scheint. Wie überall in diesen Quartetten hat Beethoven das Tor zur Romantik weit aufgestoßen, was Musiker wie Mendelssohn intuitiv erfassten. Aber auch zu den „Komprimierungen“ eines Volker David Kirchner entstehen in Beethovens zerklüfteter später Manier immer wieder Brücken.

2005
LUDWIG VAN BEETHOVEN
Quartett a-Moll, op. 132

Im Januar 1825 ließ der Wiener Korrespondent der Allgemeinen musikalischen Zeitung seine Leser wissen: „Beethoven, der fortwährend fleißig arbeitet, hat zwei neue Quatuors vollendet.“ Es war einer der ersten Fälle von öffentlicher Anteilnahme der Presse am Entstehen neuer Kammermusikwerke. Vom „fortwährenden Fleiß“ eines Mozart hatte man keine Notiz genommen, der alternde Beethoven jedoch wurde für die Öffentlichkeit zu einer Art Heros des einsamen, der Krankheit abgetrotzten Schaffenswillens, wohl auch zum schrulligen Eigenbrötler, um den man sich rührend sorgte. Entsprechend viel beachtet waren die Uraufführungen seiner fünf späten Streichquartette opp. 127, 130, 131, 132 und 135, die 1825 begannen. Dass sie die meisten Hörer eher irritiert denn befriedigt zurückließen, ist ihren eigenwilligen Experimenten in Form und Stil sowie dem keineswegs „gut liegenden“ Quartettsatz zuzuschreiben. Die einen, etwa der Vater von Felix Mendelssohn in Berlin, nannten Beethoven einen „Fantasten“, die anderen hielten die Musiksprache dieser Werke für reinstes „Chinesisch“. Ein Pariser Kritiker nannte sie „le dernier effort d´une imagination en delire“, die letzte Leistung einer Einbildungskraft im Delirium, und der alte Cherubini bemerkte degoutant, diese Musik mache ihn „niesen“.
Bis heute sind Beethovens späte Quartette eine Herausforderung für Interpreten wie Publikum, und nur Wenige dürften in das Urteil George Bernard Shaws einstimmen, der diese späten Quartette dem prätentiösen Stil des mittleren Beethoven vorzog: „Warum sollte ich mir die absichtsvollen Klugheiten und Tiefgründigkeiten, die theatralischen Tricks und Kniffe und die eigenwilligen Capricen eines selbstbewussten Genies anhören, die jenen – mittleren Beethoven – ausmachen, von dem wir alle so überaus ernst zu reden haben, wenn ich doch diese schönen, simplen, geradlinigen, unprätentiösen, vollkommen verständlichen späten Quartette vorziehe? Muss man sie für alle Zeiten vermeiden, nur weil die Professoren sie einmal für dunkel und unmöglich erklärt haben?“

Das a-Moll-Quartett, op. 132, komponiert 1825 und noch in diesem Jahr vom Schuppanzigh Quartett in Wien uraufgeführt, stellt die irritierenden Elemente im Spätstil Beethovens zurück gegenüber einer unmittelbar eingängigen Dramatik der Themen und des Formverlaufs. Eher unterschwellig kommen abstrakte Momente zum Tragen, so etwa in dem Viertonmotiv, das die langsame Einleitung in einem geheimnisvollen Kanon vorstellt und das dann auch dem Hauptthema des Allegros zugrundeliegt. Es handelt sich um eine Art Motto der späten Quartette Beethovens, das bis hin zur Großen Fuge in immer neuer Gestalt wiederkehrt.
Die Brücke zwischen Einleitung und Allegro, eine dramatische Violinkadenz, wirkt ausgesprochen rhetorisch. Vagierende Sechzehntelläufe und Rückgriffe auf die Einleitung durchziehen das gesamte Allegro, das ansonsten ganz von seinem klagenden Hauptthema beherrscht wird. Marschartige Episoden und der fast Schubertische Seitensatz wirken eher als Intermezzi in einem schmerzlich bewegten, fast in jeder Phrase „sprechenden“ Satz. Der Formverlauf verzichtet auf die übliche lange Durchführung in der Mitte und spiegelt so die Sehnsucht des späten Beethoven nach Vereinfachung der Formen bei extremer Verdichtung im satztechnischen Detail wider.

Der zweite Satz ist voll der satztechnischen Scherze, die auch andere Binnensätze der späten Quartette durchziehen. Zwei Motive im singenden A-Dur-Dreiertakt bilden immer neue, mehr oder weniger ernst gemeinte kontrapunktische Kombinationen. Die Fülle der satztechnischen Varianten spottet jeder Beschreibung. Im Trio hat Beethoven dann sozusagen demonstrativ auf Anspruch verzichtet und ein lichtes Gesangs- und Klangstück über Trommelbässen geschrieben, in das unvermittelt eine bärbeißige Episode einbricht.

Höhepunkt des Quartetts ist der langsame Satz, der berühmte Heilige Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart. Es handelt sich um einen Choral, der dank des lydischen Kirchentons und seiner altertümelnden Satztechnik an die alte Kirchenmotette der Palestrinazeit gemahnt. Dieses Stilzitat wird freilich durch den schwebend-gesanglichen Duktus des Satzes in ein Gebet persönlichster Prägung verwandelt. Zwei „moderne“ Episoden unterbrechen den Dankgesang; „neue Kraft fühlend“, sind sie von Tanzrhythmen und den typischen Motiven des späten Beethoven geprägt.

Auf den vierten Satz, einen ironischen Marsch in A-Dur, folgt das Appossionato-Finale in a-Moll, das auf die drängend-bewegten Finalsätze der Romantiker in dieser Tonart vorausweist. Das Tor zur Romantik hat Beethoven hier wie so oft in den späten Quartetten weit aufgestoßen, was etwa der junge Mendelssohn in Berlin sofort intuitiv erfasste. Er liebte dieses a-Moll-Quartett besonders und hat ihm mit seinem eigenen a-Moll-Quartett, op. 13, ein Denkmal gesetzt.

Karl Böhmer