Fantasie, op. 124 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Camille Saint-Saens

Fantasie, op. 124

Fantasie für Flöte (Violine) und Harfe, op. 124

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1629

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

In einer liebevollen Karikatur hat Gabriel Fauré seinen Lehrer Camille Saint-Saëns an der Harfe dargestellt. Der elegante Grandseigneur des Klaviers, der weltberühmte Repräsentant der französischen Symphonik und der Grande Opéra gehörte zu den Komponisten, die der Harfe besonders zugetan waren. Während Fauré diesen Zug seines Lehrers mit der Zeichenfeder festhielt, nahm ihn der englische Dichter und Musikkritiker George Bernard Shaw mit gewohnt spitzer Feder aufs Korn. Sein Aphorismus zu Saint-Saëns lautete: „Ein Meister der französischen Musik – wohlgemerkt nicht: ein französischer Meister der Musik.“ Was Shaw damit meinte, war das typisch nationale, gleichsam nach dem Parfüm des Salons duftende Fluidum, das die Werke aus der romantischen Periode von Saint-Saëns umweht.

Auch im deutschsprachigen Raum gilt Saint-Saëns bis heute, bedingt durch seinen notorischen „Karneval der Tiere“, die „Orgelsinfonie“ und die Oper „Samson et Dalila“, als parfümierter Spätromantiker par excellence, ein Klischee, das weder der Bandbreite noch dem Gewicht seines Schaffens gerecht wird. So verweisen etwa seine nach 1900 geschriebenen Alterswerke fast durchweg auf den geläuterten Stil seines Schülers Fauré, ja sogar auf dessen Schüler Ravel. In diese Stilphase gehört auch die 1907 für die Schwestern Eissler komponierte Fantaisie für Violine und Harfe, op. 124. Sie ist „eines der raren Beispiele für den Einfluss von Debussy auf Saint-Saëns“ (J.A. Ménétrier), ein Eindruck, der sich in der Bearbeitung für Flöte und Harfe noch verstärkt.

Debussys mythische Bilder

Claude Debussy hat in seiner Musik Flöte und Harfe zu den Instrumenten der mythisch überhöhten Natur erhoben. Von „L’après-midi d’un faune“ über die „Chansons de Bilitis“ bis hin zur späten Sonate für Flöte, Viola und Harfe sind sie Träger einer Ästhetik, die der Komponist „correspondence mystérieuse de la nature et de l’imagination“, geheimnisvolle Korrespondenz zwischen Natur und Einbildungskraft, nannte.

In dem Flötenstück Syrinx wird diese Ästhetik auf einen antiken Mythos bezogen: auf die Geschichte vom Waldgott Pan und der Nymphe Syrinx, wie sie Ovid in den „Metamorphosen“ erzählt. Pan verliebte sich in Syrinx, die sich seiner Werbung entzog, indem sie Diana anflehte, sie in Schilf zu verwandeln. Aus den Rohren dieses Schilfs setzte der trauernde Gott seine Flöte zusammen (die sprichwörtliche „Panflöte“, auf Französisch „Syrinx“ genannt) und begann, das Trauerlied seiner Liebe zu blasen. Diesen Augenblick der Geschichte hat Debussy in seinem Flötensolo eingefangen, das er als Schauspielmusik zu einem zeitgenössischen Drama komponierte („Psyché“ von Gabriel Mourey, 1913). Längst hat es sich von der Bühne gelöst und als Klassiker des Flötenrepertoires verselbständigt. In seinen geheimnisvollen, chromatischen Klagelauten, in der Ausnutzung der tiefen Lage des Instruments und seinem mythischen Zauber gehört es zu den poetischsten Stücken, die jemals für das Instrument geschrieben wurden.

Zwei Arabesken

Die ersten gültigen Klavierstücke des Komponisten, 1888 mit 26 Jahren komponiert, umreißen zwei wesentliche Elemente seines Stils: die wogende Klangwelle, das von der Harfe geborgte „Arpeggio“, und die Arabeske, die knappe, kapriziöse Figur, die als Thema eines ganzes Satzes dient. Erstere prägt die Nr.1, letztere die Nr. 2 der „Deux Arabesques“, die hier vom Klavier auf die Harfe übertragen werden.

Children’s Corner

Seine „Children’s Corner“, einen der berühmtesten Zyklen von Musik für Kinder und über Kinder, schrieb Debussy zwischen 1906 und 1908, ebenfalls für Klavier. Die bildhafte und poetische Sprache dieser Stücke, insbesondere aber die darin verborgenen Flöten- und Cellomelodien mögen die hier gespielte Bearbeitung für Flöte, Harfe und Cello rechtfertigen. Der liebende Vater widmete seine „Kinderecke“ der Tochter „Chouchou“ – nicht ohne sich bei ihr für die mindere Qualität der Musik „liebevoll“ zu entschuldigen. Der englische Titel und die durchweg englischen Satzüberschriften waren als höfliche Verneigung vor dem englischen Kindermädchen, Miss Dolly, gedacht, doch ist der Zyklus von einer typisch französischen Lust am spöttischen Spiel durchzogen.

Im ersten Stück soll der kleine Klavierdoktor, wie Debussy den angehenden Pianisten nennt, die mühevollen Stufen zum Parnass erklimmen – nicht etwa auf dem steinigen Wege des Kontrapunkts, wie ihn Johann Josef Fux vorgezeichnet hat, sondern über die nicht minder quälenden Hürden der Etüdensammlung Muzio Clementis. Natürlich wird das toccatenhafte Laufwerk des Italieners hier ironisch gebrochen. Als „hygienische und progressive Gymnastik“ empfahl Debussy diesen Satz dem kleinen Klavierzögling zum morgendlichen Fingertraining – bei allmählich anziehendem Tempo!

Jumbo, der Held des folgenden Wiegenlieds, ist ein Elefant (sei es nun ein bloß erdachter oder ein solcher aus Plüsch). Weil er aus Asien kommt, ist sein Wiegenlied pentatonisch, und die Melodie liegt natürlich, rundlich und dickhäutig, im Bass. Darüber erhebt sich das schöne einfache „Lullaby“.

Die Serenade, die das Kind danach für seine Puppe spielt, ist eine marionettenhafte Musik, in der Debussy angeblich auf Tiroler Volksmusik zurückgegriffen haben soll. Die erstarrten Klänge des vierten Stücks lassen sofort an den Winter denken: das Kind presst die Nase an die Scheibe, schaut den tanzenden Schneeflocken zu und spürt die kalte, eisige Starre der Natur. Der Anfang des „kleinen Schäfers“ dagegen kündet vom Frühling. Bei Hirtenmusik denkt man unweigerlich an die Flöte, und so hat Debussy dieses Stück dem Flötensolo seines „Präludium zum Nachmittag eines Fauns“ nachempfunden.

Das Finale lenkt zur tänzerischen Heiterkeit des Beginns zurück: Golliwogg, eine groteske Puppe, versucht sich an einem Cake-Walk, einem Ahnherrn von Ragtime und Jazz. Zwischen jazzigen Rhythmen und einem ironisch verfremdeten Zitat aus Wagners „Tristan“ geht der kleine Tänzer seiner Wege.

Faurés Salonstücke

Gabriel Fauré, der Vater des Impressionismus und Erneuerer der französischen Kammermusik, schrieb Harfenmusik nur gelegentlich, obwohl bedeutende Harfenisten seiner Zeit seine Klavierstücke schon früh für ihr Instrument arrangierten. Die hier gespielten Stücke sind im Original für Flöte bzw. Cello und Klavier bestimmt, doch erleichterte Faurés stimmungsvoll wogender Klaviersatz den Harfenisten die Übertragung auf ihr Instrument.

Inbegriff der poetischen Sprache des Komponisten ist die Fantasie für Flöte aus dem Jahre 1898. Generationen französischer Flötisten von Marcel Moyse bis hin zu Jean-Pierre Rampal haben an dem sehnsüchtigen Gesang des Beginns die zarte Schönheit und reife Klangkultur der französischen Flötenschule festgemacht.

Cellostücke mit Klavier spielen in Faurés Schaffen eine besondere Rolle. Der begnadete Pianist war ein Virtuose alter Schule und liebte die Atmosphäre der aristokratischen Salons von Paris. Während sich ein Ravel dort eher unwohl fühlte, waren sie für Fauré das „beste Lebenselement“ (Theo Hirsbrunner). Auf dem Humus der Salons gedieh die Kunst der wirkungsvollen Einzelsätze, die man nicht zufällig „Morceaux de Salon“ nannte. Cellisten wie Jules Loëb, für den Fauré seine berühmte „Elegie“ schrieb, oder noch der junge Pablo Casals konnten in diesem Milieu durch eine träumerische Kantilene einen hinreißenden Effekt erzielen. Fauré gelang es wie keinem anderen Komponisten seiner Generation, aus diesem Genre des leicht sentimentalen Cellostücks Kapital zu schlagen: seine „Élégie“, „Sicilienne“ und „Sérénade“, aber auch ein Stück wie „Papillon – Après un rêve“ traten sämtlich in den Salons von Paris ihre Reise um die Welt an, die sie zu Klassikern des Cellorepertoires werden ließ.

Drei Elemente sind für diese Stücke wesentlich: die simple, meist dreiteilige Form, die Anlehnung an gewisse Genres wie die Siciliana oder die Révérie und das dauernde, effektvolle Modulieren über dem „Arpeggio“ des Klaviers. Der letztere Umstand begünstigt die Bearbeitung der Werke für die Harfe. Zu Faurés Lust am Modulieren gibt es eine nette Anekdote: Bei „Meg“, wie man Madame de Saint-Marceaux im vertrauten Kreis ihres musikalischen Salons nannte, modulierte er mit seinem Kollegen Messager gleichsam um die Wette. Man improvisierte, modulierte auf Teufel komm raus und rief sich provokante Sätze zu wie: „Pariere diesen Akkord! – Hast du den erwartet? – Warte nur, ich werde dich schon noch erwischen!“

Etwas von dieser Sucht nach der ausgefallenen, rührenden Akkordverbindung steckt auch in den Cellostücken. So breitet sich das Cello in den Eckteilen der „Élégie“ nach Herzenlust trauernd in den Tonarten aus, der Duktus ist der eine Trauermarschs. Im Mittelteil tritt die Harfe ihrerseits mit klagenden Modulationen hervor. Delikater ist die Sicilienne mit ihrem typisch wiegenden Rhythmus einer Siciliana. Fauré hat sie später seiner Bühnenmusik zu „Pelléas et Mélisande“ einverleibt (nicht zu verwechseln mit Debussys gleichnamiger Oper).

Ravel: Sonatine für Flöte, Harfe und Cello

„Ravel weiß das Unwissbare, gestaltet das Unwägbare und jongliert mit Atomen und Ionen. Er erzeugt Farben und Düfte. Er ist Maler, Goldschmied und Juwelier.“ Mit diesen Worten beschrieb Emile Vuillermoz, Musikästhetiker und Freund Ravels im Kreis der Pariser „Apachen“, die eigenartige Faszination, die von der Musik des baskischen Komponisten ausging. Stets schwingt in Ravels Werken eine fast zerbrechliche Feinheit, wie Goldschmiedearbeit, mit. Zugleich sind es die Düfte Südfrankreichs und das Licht Spaniens, die seine Musik wie ein eigenartiger Zauber umwehen.

Nur in einem einzigen Kammermusikwerk hat Ravel Flöte und Harfe vereint: „Introduction et Allegro“ für Harfe, Flöte, Klarinette und Streichquartett, einem Prüfungsstück für das Pariser Conservatoire. Im gleichen Jahr, 1905, jedoch vollendet Ravel auch seine rasch berühmt gewordene Sonatine für Klavier, deren zweiter Satz schon früh in Bearbeitungen Verbreitung fand. Léon Roques brachte dieses „Menuett“ alternativ für Flöte oder Violoncello und Klavier heraus. Von diesem Arrangement bis zu unserer Triofassung des Werkes ist es nur ein Schritt, zumal Ravel in allen drei Sätzen den Klavierpart mit Anspielungen auf den Klang der Gitarre und der Harfe durchsetzt hat. Gedrängte Kürze der Sätze, die zusammen kaum 12 Minuten erreichen, und der Rückgriff auf barocke Satzmodelle (Bachs Präludien im ersten Satz, das Menuett des französischen Barock im zweiten) verleihen dem Werk seinen diskreten Charme. Der erste Satz lebt von der präludienartigen Motorik der Anapästrhythmen im Zweiertakt, das Menuett von schwingender Grazie in der hohen Diskantlage der Flöte. Im Finale dagegen schäumen die Notenwellen wie Lichtreflexe auf, eine Musik der ekstatischen Natur, die auf spätere Tänze Ravels („Alborada del Gracioso“) vorausweist.