Pierrot lunaire, op. 21 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Arnold Schönberg

Pierrot lunaire, op. 21

Dreimal sieben Gedichte, op. 21, aus Pierrot lunaire von Albert Girauds

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1672

Satzbezeichnungen

I. TEIL

1. Mondestrunken

2. Colombine

3. Der Dandy

4. Eine blasse Wäscherin

5. Valse de Chopin

6. Madonna

7. Der kranke Mond

II. TEIL

8. Nacht

9. Gebet an Pierrot
10. Raub
1
1. Rote Messe
1
2. Galgenlied
1
3. Enthauptung
1
4. Die Kreuze

III. TEIL

1
5. Heimweh
1
6. Gemeinheit
1
7. Parodie
1
8. Der Mondfleck
1
9. Serenade
20. Heimfahrt
2
1. O alter Duft

Erläuterungen

Obwohl ein Meilenstein der Moderne, entstand Schönbergs Pierrot lunaire noch als traditionelles Auftragswerk. Die aus Wien stammende Schauspielerin Albertine Zehme, Gemahlin eines Leipziger Anwalts, bestellte im Januar 1912 bei Schönberg einen Zyklus von Melodramen. Als gefeierte Darstellerin großer Frauenrollen von Shakespeare bis Ibsen hatte sie bei Cosima Wagner Gesangsunterricht genommen und mit ihr große Wagner-Partien einstudiert. Seit dieser Zeit engagierte sie sich besonders für die Verbindung von gesprochenem Wort und Musik in Form des sog. „Melodrams“.
Bereits 1904 hatte sie bei dem Komponisten Otto Vrieslander einen Zyklus solcher Stücke über Texte aus Albert Girauds Pierrot lunaire in Auftrag gegeben, den sie selbst aufführte. Nun bestellte sie gewissermaßen die Fortsetzung bei Schönberg, der sofort beschloß, ihr „andere Aufgaben (zu) stellen als die Musik Vrieslanders (schlecht!)“. Trotz der für ihn heiklen Vorstellung eines Werkes „auf Bestellung“ fing Schönberg Feuer, als er die expressionistischen Texte Girauds in der Übersetzung von O. E. Hartleben gelesen hatte. „Das gibt viele Anregungen. Und ich gehe unbedingt, das spüre ich, einem neuen Ausdruck entgegen. Die Klänge werden hier ein geradezu tierisch unmittelbarer Ausdruck sinnlicher und seelischer Bewegungen.“
Welche Klänge, das stand noch nicht von Anfang an fest. Die Zehme hatte an einen Zyklus mit Klavierbegleitung gedacht, Schönberg erweiterte aber sukzessive die Instrumentation, wozu er jeweils ihre Genehmigung einholte, da sie die Aufführungen finanzieren mußte. Zunächst fügte er in einzelnen Gedichten Soloinstrumente hinzu: Flöte, Geige, Cello. „Nun war Schönbergs ruhelose Phantasie genügend in Schwung versetzt: warum nicht Flöte mit Piccolo, Geige mit Bratsche, Klarinette mit Baßklarinette abwechseln lassen? Und, mit allen diesen verfügbaren Möglichkeiten, warum nicht jedes Gedicht anders instrumentieren?“. Die Instrumentation ist in der Tat von Stück zu Stück verschieden. Sie reicht vom Flötensolo in Nr. 7 über liedhafte Klavierbegleitung und Streichersoli mit Klavier bis zu den verschiedensten kammermusikalischen Varianten. Alle Instrumentalfarben werden nur im Schlußstück verwendet.
Schönberg schrieb die Melodramen in der für ihn typischen Schnelligkeit von März bis Mai 1912, in der Regel eines pro Tag, das letzte erst im Juli. Nach der erfolgreichen Uraufführung im Oktober in Berlin ging das Werk mit Schönberg, Zehme und Ensemble auf Tournee durch Deutschland und Österreich. Das Echo schwankte zwischen begeisterter Zustimmung (z. B. in Mannheim) und handfestem Skandal (Prag).
Die Gliederung des Zyklus in dreimal sieben Gedichte ist inhaltlich motiviert. Die erste Abteilung stellt die Figuren der Pantomime vor: Pierrot, den „schweigenden Dandy von Bergamo“, Colombine, die Madonna und den „nächtig todeskranken Mond“. Im zweiten Teil folgt eine finstere Beschreibung der Nacht und ihrer Schrecken, die Schriftsteller wie James Huneker und Ingeborg Bachmann zu poetischen Paraphrasen inspirierte. Der dritte Teil ist der zugänglichste: Er schildert die grotesken Späße Pierrots und seine Heimreise nach Bergamo. Hier werden musikalische Genres wie Serenade und Walzer bemüht, und das Schlußlied steht in kaum verhüllter Tonalität.
Grundlegend für das Verständnis der Melodramen ist das Verhältnis zwischen Sprechstimme und Instrumenten. „Ich war ein bißchen verärgert über die Zumutung, die Sprecherin zu sehr herauszustreichen, welche ja doch niemals das Thema singt, sondern höchstens dazu spricht, währenddem die Themen und alles musikalisch Wichtige doch in den Instrumenten vor sich geht.“ Gemäß dieser Äußerung Schönbergs handelt es sich um „absolute Musik“, zu der die Texte lediglich rhythmisch und in bestimmten Tonhöhen rezitiert werden. Was die Instrumente spielen, ist keine vordergründige Illustration des Textes, sondern abstrakt musikalisch gedacht. So ist das Eröffnungsstück des zweiten Teils, Nacht, eine Passacaglia über ein chromatisches Thema, die streng durchgeführt wird. Ebenso kunstvoll ist das instrumentale Gewebe in Der Mondfleck angelegt: ein Doppelkanon, der ab einem gewissen Punkt krebsgängig wiederholt wird.
Trotz dieser oft sehr komplexen Strukturen in den Instrumenten hat Schönberg den Zyklus als Ausdrucksmusik verstanden. Dabei dachte er an einen „leichten, satirischen Ton“ und ermahnte Albertine Zehme, nicht zu tragisch zu werden. „Er trat hinter sie, wenn der Kranke Mond zu tränenselig wurde und sagte im Rhythmus der Sprache: >Verzweifeln Sie nicht, Frau Zehme. Es gibt so etwas wie Lebensversicherung!<“ Eine anschauliche Schilderung von Schönbergs Deutung gab Darius Milhaud, der das Werk 1922 im Wechsel mit dem Komponisten dirigierte: „Schönbergs Auffassung brachte die dramatischen Züge viel brutaler, intensiver, rasender heraus. Meine hingegen unterstrich den sinnlichen Charakter der Musik und ihre Süße, Subtilität und Durchsichtigkeit. Erika Wagner sprach die deutschen Worte mit herber Stimme und mit weniger Rücksicht auf die geschriebenen Noten als Marya Freund, die sich vielleicht zu sehr an sie hielt. Mir wurde es damals klar, daß es für dies Problem keine endgültige Lösung gab.“
Die letzte Äußerung spielt auf die heikle Frage an, wie die „Sprechmelodie“ der Stimme auszuführen sei. Schönberg gab dazu im Vorwort zur Partitur zwei Anweisungen: der Rhythmus sei haarscharf einzuhalten und man müsse sich des Unterschieds zwischen Gesangston und Sprechton bewußt sein, der darin bestehe, daß der Gesangston die Tonhöhe festhalte, während sie der Sprechton durch Steigen oder Fallen sofort wieder verlasse. Doch auch seine Äußerungen blieben schwankend. Es werde „keineswegs ein realistisch-natürliches Sprechen angestrebt“, sondern eines, „das in einer musikalischen Form mitwirkt“. Aber es darf „auch nie an Gesang erinnern.“