"Zakatilos solntse", op. 73,4 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Pjotr I. Tschaikowsky

"Zakatilos solntse", op. 73,4

„Zakatilos solntse“ („Sonnenuntergang“), op. 73,4, (D. Rathaus)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 1976

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

Peter Tschaikowsky galt den Vertretern des „mächtigen Häufleins“ als Inbegriff westlicher Décadence in der russischen Musik ihrer Epoche. Mit der gleichen Vehemenz gab Tschaikowsky ihre „Komplimente“ zurück. Wenn er etwa Mussorgskys Musik als eine „gemeine und niederträchtige Parodie auf die Musik“ bezeichnete, so drückte sich darin nicht etwa Konkurrenzneid, sondern ein fundamentales ästhetisches Unverständnis aus.
Der feinfühlige Tschaikowsky kreiste in seinen über 100 Liedern bevorzugt um den eigenen Lebens- und Leidensweg, nicht um gesellschaftliche Realitäten. (Bei einem Teil seiner Lieder handelt es sich freilich um eher unterhaltende, leicht hingeworfene Romanzen.) Mussorgskys böses Wort von den „Nachtigallen“-Komponisten andererseits bestätigt sich an einem Lied wie Sag, wovon im Schatten der Zweige die Nachtigall singt . Sie singt natürlich von der Liebe.
Tschaikowskys eigenen Liebesbeziehungen war bekanntlich kein Erfolg beschieden, wenn er ihnen auch noch so überschwengliche Denkmale setzte (Ob es der helle Tag ist, der herrscht, ob nächtliche Stille… immer nur einen Gedanken ich fühle: an dich, immer an dich.) Seine letzte unglückliche Liebe zu seinem eigenen Neffen wurde ihm zum Verhängnis. Nachdem ein russischer Aristokrat das homosexuelleVerhältnis beim Zaren anzeigen wollte, trat ein Tribunal ehemaliger Schulkameraden Tschaikowskys zusammen, Absolventen einer renommierten juristischen Akademie. In einer fünfstündigen Sitzung verurteilten sie den Komponisten zum Selbstmord – um den drohenden Skandal zu vermeiden und die Ehre der Akademie nicht zu „beflecken“. Wenige Tage darauf starb er – wahrscheinlich nicht, wie gerne behauptet wird, an choleraverseuchtem Wasser, sondern an einer Dosis Gift, die er sich selbst verabreicht hatte.
Vor diesem tragischen Hintergrund verliert Tschaikowskys letzter Liederkreis op. 73 seine sentimentale Attitüde. Er entstand im Frühjahr 1893, ein halbes Jahr vor der unglücklichen Affäre und Tschaikowskys Selbstmord. Im vierten Lied Die Sonne ging unter bekennt sich der Komponist in Form eines schwungvollen Walzers zu dem Freund, an dessen Schulter er im verklärten Licht des Sonnenuntergangs ausruht. Tschaikowskys letztes Lied schließlich, Wieder, wie früher, allein, wieder umgeben von Sehnsucht wirkt wie ein Schrei des an seiner Einsamkeit verzweifelnden Menschen, nicht etwa wie ein Schulbeispiel für das sentimentale Liedgenre Rußlands.