Sonate g-Moll, BWV 1029 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johann Sebastian Bach

Sonate g-Moll, BWV 1029

Sonate g-Moll für Viola da gamba (Violoncello) und Cembalo, BWV 1029

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2184

Satzbezeichnungen

1. Vivace

2. Adagio

3. Allegro

Erläuterungen

Johann Sebastian Bach konnte nicht ahnen, daß man seine Sonaten für Viola da gamba und Cembalo einmal auf Viola bzw. Cello und Akkordeon spielen würde, und doch hätte er gegen diese Besetzungsvarianten sicher keine Einwände gehabt. Bachs instrumentales ?uvre ist von einem Netzwerk aus Querverbindungen zwischen Stücken durchzogen, die mal in der einen, mal in der anderen Besetzung begegnen, ohne ihre kompositorische Substanz im wesentlichen zu verändern. Genannt seien nur die Cembalokonzerte, die durchweg auf zum Teil verschollene Violin- oder Oboenkonzerte zurückgehen, teilweise aber auch als Konzertsätze für Orgel und Orchester erhalten sind.
Auch für die drei Gambensonaten, BWV 1027-1029, muß man solche mutmaßlichen Urfassungen annehmen, meist für zwei Melodieinstrumente und Basso continuo. Für eine der drei Sonaten, BWV 1027, ist eine solche Fassung erhalten: die G-Dur-Triosonate für zwei Traversflöten und Basso continuo, BWV 1039. Für die anderen beiden Gambensonaten, die in unserem Konzert gespielt werden, kann man sie nur annehmen. Überdies sind von einzelnen Sätzen der Sonaten spätere Arrangements für Orgel solo erhalten. So hat ein englischer Bearbeiter des späten 18. Jahrhunderts den Schlußsatz der g-Moll-Sonate als Mittelteil in ein Arrangement von Präludium und Fuge, BWV 545, eingefügt. Es ist deshalb durchaus legitim, das obligate Cembalo in diesen Werken durch ein Akkordeon zu ersetzen.
Im Falle der g-Moll-Sonate, BWV 1029, hat man darüber spekuliert, ob es sich nicht um die Bearbeitung eines regelrechten Streicherkonzerts aus Bachs Feder handele. Peter Williams, von dem diese Hypothese stammt, legte sogar eine Rekonstruktion der Urfassung als „Siebtes Brandenburgisches Konzert“ vor. Das Ergebnis klingt – selbst bei zweifelhafter Argumentation – schon deshalb überzeugend, weil die g-Moll-Sonate in der Tat wie ein italienisches Konzert angelegt ist: Der erste Satz beginnt mit einem typischen Concerto-Thema, ganz ähnlich dem Kopfsatz des 3. Brandenburgischen Konzertes. Daran schließt sich ein eigenes „Solothema“ für das Streichinstrument und die rechte Hand des Cembalos an, worauf wieder Teile des Ritornells im dreistimmigen Satz folgen. Der ganze Satz wechselt in dieser Weise zwischen der Ebene eines „Tutti“ und der eines „Solo“ ab, so daß man hier tatsächlich von einem Concerto in nuce sprechen kann. Bachs Zeitgenosse J. A. Scheibe nannte solche Stücke Sonaten „auf Concertenart“.
Wie in diesem Sonatentypus üblich steht der langsame Satz in der Mitte. Hier ist es ein inniges Zwiegespräch zwischen den Oberstimmen, das an das Bratschenduett aus dem 6. Brandenburgischen Konzert erinnert. Der Schlußsatz hat, wie bei Bach nichts anders zu erwarten, Fugenform, allerdings in freier Synthese mit einer Rondoform. Das kraftvolle Fugenthema mit seinen Tonwiederholungen und Sechzehntelketten wird zweimal von einem gesanglichen Gegen-thema abgelöst.

2003
SONATA g-Moll, BWV 1027

Bei dieser wohl eindrucksvollsten Gambensonate Bachs handelt es sich um eine typische Sonate „auf Concerten-Art“, wie Bachs Zeitgenossen gesagt hätten. Statt dem viersätzigen Modell der italienischen Triosonate zu folgen, wie er es in seinen anderen beiden Gambensonaten tat, hat Bach hier die dreisätzige Form des italienischen Concerto benutzt: zwei schnelle Ecksätze umrahmen ein Adagio. Die Anlehnung an das Solokonzert vivaldischer Prägung reicht bis in die Faktur der einzelnen Sätze hinein, besonders des Kopfsatzes. Er ist so konzerhaft geschrieben, dass es dem Organisten und Musikwissenschaftler Peter Williams nicht schwer fiel, daraus und aus den beiden Folgesätzen ein komplettes Concerto grosso in der Besetzung und Anlage des 6. Brandenburgischen Konzerts zu gewinnen – mit durchaus hörbarem Ergebnis. Was die Bearbeitung unterstreicht, ist letztlich der Umstand, dass auch diese Sonate kaum original für Gambe und Cembalo geschrieben wurde, sondern auf ein verlorenes Werk von Bach zurückgeht – entweder auf eine ausgesprochen konzertante Triosonate, vielleicht für zwei Bratschen und Bass, oder auf ein echtes Concerto.

Wie konzerthaft die Sonate ist, zeigt gleich das Hauptthema des Vivace. Seine kraftvollen gebrochenen Dreiklänge im anapästischen Rhythmus erinnern deutlich an das (in G-Dur stehende) Thema des Kopfsatzes im 3. Brandenburgischen Konzert. In der Gambensonate ist dieses Dreiklangsthema mit seiner vivaldesken Fortspinnung den ganzen Satz über deutlich als imaginäres Tutti zu hören, von dem sich die Soli in der Gambe (bzw. im Cello) und in der rechten Hand des Cembalos abheben. Letztere umspielen das Thema mit kantablen Kontrapunkten, während die Wiederkehr des vollständigen Tutti von bachscher Wucht der Rhetorik gekennzeichnet ist. Unisoni und andere orchestrale Satztechniken unterstreichen die Imagination eines realen Konzertsatzes.

Auf den kraftvollen Beginn folgt ein Adagio von stiller Eindringlichkeit, einer jener vergeistigten Dialoge Bachs, wie wir ihn aus dem Mittelsatz des 6. Brandenburgischen kennen. Wesentlich dafür sind die subtilen Dissonanzen, die aus den lang ausgehaltenen Noten entstehen, und die komplexen Verzierungen, die Bach hier wie stets genau vorgeschrieben hat.

Auf einen fugierten Satz wollte er in einer so anspruchsvollen Sonate natürlich nicht verzichten. Hier ist es das Finale, in dem sich die Fugenform mit der Vitalität des Tanzes paart. Das Thema stößt sich nach einigen Tonwiederholnungen auf D gleichsam vom G ab, um seinen rhythmischen Elan danach in den Laufkaskaden des Kontrasubjekts zu entladen – wie Wasserspiele eines barocken Brunnens, die über den Brunnenrand schwappen. Die Motorik der Achtel- und Sechzehntelketten treibt mit unbändiger Energie nach vorn, bis plötzlich eine galante Melodie aus dem kontrapunktischen Gewebe hervortritt. Der Rokoko-Charme dieser Episode erinnert an eine ähnliche Stelle im Finale des 5. Brandenburgischen Konzerts, so dass man die g-Moll-Gambensonate insgesamt mit Fug und Recht Bachs „Brandenburgische Sonate“ nennen könnte.

2002
J.S.BACH
Sonata g-Moll, BWV 1029

Bachs lebenslanges Interesse am Cello ist hinreichend bezeugt – durch seine Solosuiten, durch die Cellopartien in seinen Kantaten, durch seine Experimente mit dem Violoncello piccolo und durch ein möglicherweise authentisches Familienporträt, das ihn Cello spielend im Kreise seiner Söhne zeigt. Daher mag es verwundern, dass sich keine Sonate für Cello und obligates „Clavier“ von ihm erhalten hat. Neben dem Zyklus der sechs Sonaten für Cembalo concertato und Violine, 1725 vollendet, sind als authentische Bachwerke mit obligatem „Clavier“ nur zwei Flöten- und drei Gambensonaten anzusehen. Die Cellisten müssen sich notgedrungen mit den Gambensonaten zufrieden geben, wollen sie an jener wunderbaren Vielfalt des Dialogs teilhaben, die Bach mit seinen Sonaten con Cembalo obbligato in die Welt setzte.

Tatsächlich schuf er mit ihnen so etwas wie den Prototyp der modernen Violin- bzw. Cellosonate: einen Dialog gleichberechtiger Gesprächspartner, die das musikalische Material in anspruchsvollster Weise unter sich aufteilen und ebenso beredt ausschmücken wie formal überzeugend ausarbeiten. Hat Bach dieses Modell in den Sonaten für Cembalo und Violine satztechnisch aufs freieste variiert – bis hin zu vier- und fünfstimmigem Satz -, so bleiben die Gambensonaten fast durchweg dreistimmig: Die rechte Hand des Klaviers und das Cello bilden die Oberstimmen, zu denen die linke Hand des Klaviers den Bass angibt. Dahinter verbirgt sich das Satzmodell der barocken Triosonate. Alle drei Gambensonaten gehen auf Triosonaten Bachs in anderer Besetzung zurück, von denen sich aber nur eine (BWV 1039) erhalten hat.

Die g-Moll-Sonate, BWV 1029, hat man sich demnach in ihrer Urgestalt wesentlich anders vorzustellen, als wir sie heute zu hören gewohnt sind. Mutmaßungen über die ursprüngliche Originalgestalt haben nicht lange auf sich warten lassen. Sie reichen bis hin zu einem „Siebten Brandenburgischen Konzert“ in der Besetzung des Sechsten, das Peter Williams aufführungsreif rekonstruierte. Seine Überlegungen knüpften bei dem Umstand an, dass die g-Moll-Sonate konzerthafter wirkt als jede andere Sonate Bachs. Sie ist nicht nur allgemein „auf Concertenart“ geschrieben, wie man damals Sonaten nannte, die die dreisätzige Form des italienischen Solokonzerts benutzten, sondern sie mutet auch in ihrer Rhetorik wie ein Concerto da camera an.
Die Sonate beginnt mit einem jener Themen im anapästischen Rhythmus, die man seit Vivaldis Concerti Opus 3 als Inbegriff italienischer Concerto-Manier empfand. Der mit Wechselnoten umspielte gebrochene g-Moll-Dreiklang erinnert an das analoge, aber in G-Dur stehende Thema des Dritten Brandenburgischen Konzerts. In der Gambensonate ist dieses Dreiklangsthema mit seiner vivaldesken Fortspinnung den ganzen Satz über deutlich als imaginäres Tutti zu hören, von dem sich die Soli im Cello und in der rechten Hand des Klaviers abheben. Letztere umspielen das Thema mit kantablen Kontrapunkten, während die Wiederkehr des vollständigen Tutti von bachscher Wucht der Rhetorik gekennzeichnet ist. Unisoni und andere scheinbar orchestrale Satztechniken unterstreichen die Imagination eines realen Konzertsatzes für zwei Solisten und Streicher, was denn auch in der orchestrierten Version von Peter Williams überzeugend wirkt.

Auf den Aplomb des Beginns folgt ein Adagio von stiller Eindringlichkeit, einer jener vergeistigten Dialoge Bachs, wie wir ihn auch im Mittelsatz des Sechsten Brandenburgischen hören können. Wesentlich dafür sind die subtilen Dissonanzen, die aus den lang ausgehaltenen Noten entstehen, und die komplexen Verzierungen, die Bach genau vorgeschrieben hat.
Auf einen fugierten Satz wollte er in einer so anspruchsvollen Sonate natürlich nicht verzichten. Hier ist es der Schluss-Satz, in dem sich die Fugenform mit der Vitalität des Tanzes paart. Der unwiderstehliche rhythmische Elan dieses Fianles entsteht aus den repertierten Achteln seines Themas, die sich in kraftvollen Laufkaskaden entladen – wie die Wasserspiele eines barocken Brunnens, die über den Brunnenrand schwappen. Die Motorik der Achtel- und Sechzehntelketten treibt mit unbändiger Energie nach vorn, bis plötzlich eine galante Melodie aus dem kontrapunktischen Gewebe hervortritt. Der Rokoko-Charme dieser Episode erinnert an eine ähnliche Stelle im Finale des Fünften Brandenburgischen Konzerts, so dass man die g-Moll-Gambensonate insgesamt Bachs „Brandenburgische Sonate“ nennen könnte.

Die verschollene Urfassung dürfte denn auch in zeitlicher Nähe zu den Brandenburgischen Konzerten, also um 1720 in Köthen entstanden sein. Die überlieferte Endfassung für Gambe und Cembalo hat Bach vermutlich erst 15 Jahre später, um die Mitte der 1730er Jahre in Leipzig ausgearbeitet. Ein Autograph ist jedoch nicht erhalten, dessen Schriftzüge und Wasserzeichen die Entstehungszeit erkennen ließen.