Sechs Lieder aus des Knaben Wunderhorn | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Gustav Mahler

Sechs Lieder aus des Knaben Wunderhorn

Sechs Lieder aus des Knaben Wunderhorn

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2375

Satzbezeichnungen

Wer hat dies Liedlein erdacht
Das irdische Leben
Des Antonius von Padua Fischpredigt
Wo die schönen Trompeten blasen
Lob des hohen Verstandes
Rheinlegendchen

Erläuterungen

2002
GUSTAV MAHLER
Aus Des Knaben Wunderhorn

„Von Rechts wegen sollte dieses Büchlein in jedem Hause, wo frische Menschen wohnen, am Fenster, unterm Spiegel, oder wo sonst Gesang- und Kochbücher zu liegen pflegen, zu finden sein, um aufgeschlagen zu werden in jedem Augenblick der Stimmung und Unstimmung… Am besten aber läge doch dieser Band auf dem Klavier des Liebhabers oder Meisters der Tonkunst, um den darin enthaltenen Liedern entweder mit bekannten, hergebrachten Melodien ganz ihr Recht widerfahren zu lassen oder ihnen schickliche Weisen anzuschmiegen. Oder wenn Gott wolle, neue bedeutende Melodien durch sie hervorzulocken.“

Als Johann Wolfgang Goethe 1806 diese Rezension der ihm gewidmeten Sammlung Des Knaben Wunderhorn schrieb, dürfte er in seinen kühnsten Träumen nicht vermutet haben, welche „neuen, bedeutenden Melodien“ einmal ein Gustav Mahler aus jenen Gedichten „hervorzulocken“ sich erdreisten würde. Clemens Brentano und Achim von Arnim hatten die Sammlung als Dokument deutscher Volkspoesie zusammengetragen. Für Mahler wurde sie zum Schlüsseltext seiner künstlerischen Selbstfindung, und zwar durchaus „auf dem Klavier des Meisters der Tonkunst“, um noch weiter mit Goethe zu reden. Mahlers „Wunderhornlieder“ sind heute zwar überwiegend in den Orchesterfassungen bekannt, er schrieb sie aber zunächst als Klavierlieder, um sie erst anschließend zu orchestrieren. Dass in den Klavierfassungen dennoch die originär orchestrale Fantasie ihres Schöpfers sich schon allenthalben mitteilt, macht den besonderen Reiz dieser Versionen aus.

Mahler benutzte Des Knaben Wunderhorn in eben jenem von Goethe skizzierten Sinne, nämlich „in jedem Augenblick der Stimmung und Unstimmung, wo man denn immer Gleichtönendes oder Anregendes fände, wenn man auch allenfalls das Blatt ein paarmal umschlagen müßte“. Mahler schlug nicht nur ein paarmal um, er wälzte die Sammlung förmlich her und hin, um sich die geeigneten Texte herauszubrechen und sie auf seinen Ausdruckswillen hin umzuformen. Im Laufe von 15 Jahren entstanden so 24 Lieder nach Des Knaben Wunderhorn, die drei Sammlungen zuzuordnen sind:

- 9 Lieder als Teil der Lieder und Gesänge aus der Jugendzeit
(1887-1890)

- 12 Lieder und Das Himmlische Leben als die eigentliche Sammlung Das Knaben Wunderhorn (1892-1898)

- 2 Lieder (Revelge und Der Tamboursg´sell), die in die Sammlung Sieben Lieder aus letzter Zeit eingingen (1899/1901)

Alle sechs Lieder unserer Auswahl gehören zur eigentlichen Sammlung Des Knaben Wunderhorn. Die ersten beiden, Wer hat dies Liedlein erdacht und Das irdische Leben, entstanden 1892. Unter den folgenden bilden Des Antonius von Padua Fischpredigt, Das irdische Leben und Rheinlegendchen eine Dreiergruppe, die im Sommer 1893 in Steinbach am Attersee entstand. Sie verdanken ihre Naturpoesie dem überwältigenden Landschaftserlebnis des Salzkammerguts, das Mahler später immer wieder als sein Refugium aufsuchen sollte. Im Sommer 1893 kam der damalige Hamburger Opernkapellmeister zum ersten Mal hierher, in die liebliche Seenlandschaft am Fuß des Höllengebirges, die so gar nichts Diabolisches an sich hat, sondern vom zarten Licht des Voralpenlandes gleichsam durchschimmert wird. 1893 arbeitete er hier an der 2. Sinfonie und an jenen drei Liedern, wodurch sich die thematische Verwandtschaft erklärt: Des Antonius von Padua Fischpredigt bildet bekanntlich die Vorlage zum Scherzo der Zweiten. In ähnlicher Weise hat er drei Jahre später am Attersee Lob des hohen Verstandes und den ersten Satz der Dritten aus einer einzigen Quelle geschöpft.

Humoresken war der ursprüngliche Titel, den Mahler diesen Liedern gab. Der junge Meister war sozusagen vehement auf der Suche nach Begriffen, die seine eigenwilligen Schöpfungen, sowohl die ersten drei Sinfonien als auch die Lieder, von den traditionellen Gattungsbegriffen abzugrenzen vermochten. Humoreske bezeichnet treffend jene „Mahlersche Weltsicht, in der Wundersames mit Makabrem, Tragisches mit Höhnischem sich mischt“, wie es Karl-Josef Müller in seiner Mahler-Biographie formulierte. Eine noch viel weitergehende Identifikation Mahlers mit den Wunderhorn-Texten unterstellte Bruno Walter in seinen Erinnerungen: „Alles fand er darin, was seine Seele bewegte, und fand es so dargestellt, wie er es fühlte: Natur, Frömmigkeit, Sehnsucht, Liebe, Abschied, Tod, Geisterwesen, Landsknechtsart, Jugendfrohsinn, Kinderscherz, krauser Humor – all das lebte in ihm wie in den Dichtungen, und so strömten seine Lieder hervor – durch die glückliche Vermählung ursprünglicher Poesie mit einer Musik tief verwandter Art entstand eine Reihe reizvollster Kunstwerke, aus denen seine Persönlichkeit nunmehr männlich geschlossen und kraftvoll originell hervortritt.“

Noch ein dritter Mahlerbiograph sei zitiert. Kurt Blaukopf erkannte in den Klavierfassungen der Lieder bereits den Orchesterkomponisten Mahler in nuce: „Schon diese frühen Lieder verraten im Klaviersatz Mahlers Streben nach klanglicher Farbigkeit. Durch die häufige Vorschrift „Mit starkem Pedalgebrauch“ soll fülliger Klang erreicht werden. Gelegentlich fordert Mahler die Nachahmung anderer Instrumente durch das Klavier. Triller der linken Hand sollen gedämpfte Trommelwirbel vortäuschen; bei einer einfachen Weise steht das Wort „Schalmei“, um den im Text genannten Hirtenbuben zu charakterisieren. Farbigkeit dieser Art drängt zum Orchesterklang. Als Liederkomponist hat sich Mahler allmählich vom Klavier emanzipiert.“