Klavierquartett F-Dur, op. 47 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Friedrich Gernsheim

Klavierquartett F-Dur, op. 47

Klavierquartett Nr. 3 F-Dur, op. 47

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2390

Satzbezeichnungen

1. Allegro tranquillo

2. Allegro energico e appassionato – Un poco meno mosso

3. Andante cantabile

4. Tema con Variazioni. Allegro moderato e pesante – Andantino – Allegretto scherzando

Erläuterungen

EIN BRAHMS-FREUND AUS WORMS gab dem heutigen Programm seinen Namen: der Komponist Friedrich Gernsheim. 1839 als Sohn eines jüdischen Arztes in Worms geboren, entstammte er einer altangesehenen Familie der Stadt, unterhielt vom Leiter des Wormser Musikvereins Louis Liebe die erste Unterweisung im Tonsatz und auf dem Klavier, auf dem er sich dann 1848/49 bei Ernst Pauer in Mainz vervollkommnete. Soweit zu den rheinland-pfälzischen Wurzeln eines Komponisten, den man zu den angesehensten und bedeutendsten Zeitgenossen von Johannes Brahms rechnen darf.

“Zentrale Bedeutung kommt unter seinen Instrumentalwerken der Kammermusik zu” (Willi Kahl), weshalb sich die Landesstiftung Villa Musica für die nächsten Jahre eine kontinuierliche Beschäftigung mit Gernsheim vorgenommen hat. Das heutige Konzert ist ein erster Schritt dazu. In unserem Programm wird Gernsheims 3. Klavierquartett von 1883 von zwei zeitlich und stilistisch verwandten Kompositionen flankiert: dem 2. Streichsextett von Brahms (1865) und dem frühen Klaviertrio von Debussy (1880).
GERNSHEIMS WEITERER WERDEGANG hatte prominente Stationen: Frankfurt, wo 1850 die erste Orchesterouvertüre des damals 11jährigen aufgeführt wurde; Leipzig, wo er am berühmten Konservatorium bei Moscheles (Klavier), Hauptmann (Theorie) und David (Violine) studierte; Paris, wo er ein 5jähriges Klavierstudium bei Marmontel absolvierte. Zurück in Deutschland nahm er zunächst eine Chorleiterstelle in Saarbrücken an, bevor er 1865 als Lehrer für Komposition und Klavier an das Kölner Konservatorium berufen wurde. Zwischen 1874 und 1890 leitete er den Musikverein in Rotterdam, 1890 übernahm er den Sternschen Gesangverein und eine Lehrerstelle am Sternschen Konservatorium in Berlin, wo er auch eine Klasse an der Akademie der Künste leitete. Außerdem trat er weiterhin als Pianist und Dirigent auf.
Er schrieb vier Sinfonien, deren erste noch vor Brahms’ Erster komponiert wurde, ferner Chorwerke, Lieder (teilweise auf Holländisch), Gesangsszenen und Solokonzerte sowie über 20 Opera mit Kammermusik. “In der Vielseitigkeit seines Schaffens fehlen nur die Oper und das abendfüllende Chorwerk.” (Kahl) STILISTISCH war Gernsheim einer der führenden Repräsentanten der sog. “akademischen” Schule, die sich in Nachfolge von Schumann und Mendelssohn und im Gegensatz zur “Neudeutschen Schule” als Hüter der klassischen Formen verstand. Sein Werk berührt sich deshalb nicht zufällig mit dem von Brahms, “mit dem ihn seit 1868 eine nahe Freundschaft verband” (Kahl). Traditionelles Formverständnis innerhalb der überlieferten klassischen Gattungen paart sich mit einer an Brahms gemahnenden Themenbildung und feiner motivischen Arbeit, die allerdings die Komplexität Brahmsscher Verläufe nicht erreicht. Dennoch kann Gernsheim “im Kreise der Berliner Akademiker … als der fortschrittlichste gelten, was die rhythmische Beweglichkeit, die Harmonik und das instrumentale Kolorit angeht.” (Kahl)

Unser Beispiel, das 3. Klavierquartett in F-Dur, op. 47, wurde 1883 komponiert, in einer Zeit, in der die kammermusikalische Produktion von Brahms, Bruch, Volkmann, Herzogenberg und anderen einen Höhepunkt erreichte. Gernsheims Quartett ordnet sich nahtlos in diesen Zeithintergrund ein, zeichnet sich dabei aber durch originelle Züge aus.
Während sein 2. Klavierquartett in c-Moll und seine beiden Klavierquintette in h- und d-Moll die pathetisch-heroische Seite der Spätromantik repräsentieren, schlägt das F-Dur-Quartett einen lichteren Tonfall an. Der Kopfsatz steht im tänzerischen Dreiertakt und wird von drei heiteren Durthemen beherrscht. Das erste wird unisono vom Klavier vorgestellt und dominiert durch seinen punktierten Rhythmus auch in den Überleitungspartien; das zweite in D-Dur ist ein hymnischer Gesang von Geige und Cello, das dritte trägt die Anweisung “giocoso, e ben marcato”. Die drei Themen werden, wie üblich, in Durchführung und Coda im Ausdruck verändert und in ihre Motive zerlegt; in der Reprise liegt das Hauptthema in der Bratsche.

Das Scherzo steht, wie häufig auch bei Brahms, an zweiter Stelle und bildet zum heiteren Kopfsatz das dramatische Gegenstück. Der rhythmische Kontrast zwischen Duolen und Triolen und der Appassionato-Ton dieses d-Moll-Satzes erinnern unmittelbar an Brahms; das Trio steht kontrastierend in D-Dur. Das Andante cantabile hat ein herrlich weitgesponnenes Thema im Schumann-Stil, dem im Mittelteil eine pathetische b-Moll-Melodie der Streicher gegenübertritt. In der Form und in der klanglichen Verschmelzung von Klavier und Streichern erinnert der Satz an das Adagio aus Brahms’ 2. Klavierquartett. Der originellste Satz ist das Variationenfinale, dessen Thema einstimmig vom Klavier vorgetragen und von den Streichern pizzicato begleitet wird. Die Anweisung Quasi Tromba, die Fanfarenmelodik und der Marschrhythmus verleihen dem Thema den Charakter eines humoristischen Marsches. Er wird in insgesamt 13 kurzen Variationen sukzessive verfremdet. Dabei schließen sich die einzelnen Variationen zu größeren Gruppen zusammen, die den Satz insgesamt dreiteilig (Allegro – Andantino – Scherzando) erscheinen lassen.