"Battaglia-Suite" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Samuel Scheidt

"Battaglia-Suite"

Suite „La Battaglia“ für 2 Trompeten, Horn, Posaune und Tuba

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2480

Satzbezeichnungen

1. Galliard La Battaglia (Die Schlacht)

2. Courant Dolorosa (Die Schmerzvolle)

3. Canzon Bergamasque

Erläuterungen

AUCH IN ANDERN LÄNDERN war Musik für Blechbläser im 16. und 17. Jahrhundert fester Bestandteil von Staatszeremonien, so etwa in der Republik Venedig, wo die Canzonen des Domorganisten Giovanni Gabrieli die feierlichen Gottesdienste des Rates und des Dogen in der Markuskirche untermalten. Dabei kamen bevorzugt Posaunen mit sogenannten Zinken als Oberstimmen zum Einsatz. Die unterschiedlich großen Instrumente der Posaunenfamilie bildeten wie die Blockflöten und die Gamben ein vierstimmiges „Consort“. Auf diese Tradition gehen noch die Suiten des deutschen Komponisten Samuel Scheidt zurück. Scheidts Battaglia-Suite ist eine der um 1600 besonders beliebten Schlachtmusiken, in denen Kampfgeräusche musikalisch nachgeahmt werden. Dies geschieht hier in einer Galliarde, einem schnellen Springtanz, an den sich zwei weitere Tänze anschließen.
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Hätte es im Europa der Renaissance internationale „Dance Shows“ gegeben, dann hätte die fachkundige Jury nicht über Bossa Nova und Quick Stepp, Foxtrott und Samba richten müssen, sondern über Basse Danse, Pavane und Gagliarde. Schon damals gab es „Standardtänze“ und „Lateinamerikanische“, die von Tänzern in Hamburg, Halle oder Lyon beherrscht werden mussten.

Musik der Freude

„Musicque de Joye“, „Musik der Freude“ hieß ein Band mit 24 Phantasien und 29 Tänzen für instrumentales Ensemble, der um 1550 in Lyon erschien. Das Druckhaus Jacques Moderne, wo man diesen Band erwerben konnte, war sonst eher auf Unterhaltsames und Erbauliches von Rabelais bis zu religiöser Literatur spezialisiert. Doch leistete sich der Firmeninhaber daneben den Luxus großer Musikbände aus Motetten und Messen, Chansons und Tänzen. Nicht nur in der italienischen Gemeinde von Lyon fand diese Musik reißenden Absatz. Auch in Spanien und Deutschland, besonders aber in Italien waren die Bände des Monsieur Moderne beliebt. Denn er hatte stets ein Auge auf Neues und Neuestes aus Italien, das – cum grano salis – sein Vaterland war. Geboren wurde er um 1500 im venezianischen Pinguente, dem heutigen Buzet in Kroatien. In Venedig, bei den damals fortschrittlichsten Druckern (und Notendruckern) Europas, hatte er sein Handwerk erlernt und auch eine am Markt orientierte Repertoirepolitik studiert.

Die engen Kontakte nach Italien kamen dem Jacobo Moderno in seiner Wahlheimat Lyon zugute. Die Stadt galt als Tor italienischer Einflüsse im Norden, was sich in der Auswahl der Tänze und ihrer Vorlagen widerspiegelt. Auch Modernes Kollege Julio da Modena publizierte aktuelle, italienisch orientierte Ricercari in seinen Sammlungen. Doch natürlich ließ man sich auch Anspielungen auf die musikalische Lieblingsspeise der Franzosen, die Chanson, nicht entgehen.

Jordi Savall hat aus diesen Bezügen ein farbenreiches Panorama der französischen Renaissance zusammengestellt. Es beginnt mit einer Basse danse über die Chanson „Ta bonne grace“, um sich danach gleich kriegerischen Szenarien zuzuwenden. Seit König Karl VIII. mit seiner Armee italienischen Boden betreten hatte, war „La Guerra“, der Krieg um und in Italien, für die französischen Truppen ein brandaktuelles Thema. Die glorreichen Siege und tragischen Niederlagen Ludwigs XII. und Franz‘ I. waren noch in lebhafter Erinnerung. Daran durften sich auch Tänzer erfreuen, wenn die gemessenen Schritte einer Pavane in eine „Bataille“, eine Schlacht, umgedeutet wurden oder sich der Springtanz einer Gagliarde in den Galopp eines Reiterheers verwandelte.

Ricercari sorgen für Ruhe und Kontemplation, während sich unsere imaginären Tänzer ein wenig ausruhen. Der Begriff, den noch Johann Sebastian Bach in den beiden Ricercari seines „Musikalischen Opfers“ zitiert hat, meinte in der Renaissance eine fugierte Komposition meist über mehrere Themen in Folge, ein Sich-Suchen und Sich-Finden der Stimmen vom italienischen „ricercare“ für „suchen“. Unsere drei Ricercari stammen von dem italienischen Meister Antonio Costa, von dem Spanier Antonio de Cabezón, dem Hoforganisten Philipps II. von Spanien, und von Julio da Modena. Letzterer verarbeitete die gregorianische Melodie des „Da Pacem, Domine“. Man sieht: Das Thema von Krieg und Frieden hat die Franzosen der Renaissance allenthalben bewegt.

Für die folgenden Tänze standen wieder Chansons Pate, darunter die lustige „La Gaiette“. Meist waren es die Basses danses, die ehrwürdigen Schreittänze aus dem Spätmittelalter, denen man die Chansonmelodien am leichtesten anpassen konnte. Claudin de Sermisy war der Favorit unter den ausgewählten Vorlagen, die in Form simpler melodischer Reihung mit vielen Wiederholungen verarbeitet wurden. Denn dazu war eine endlose Folge einfacher Schritte auszuführen: „Erst nach vorne, dann zurück, dann eine Drehung, dann ein Seitenschritt“ – so heißt es in einer Beschreibung des Basse danse von 1415. Ungleich lebhafter war der „Tourdion“ oder „Tordion“, ein schneller Drehtanz von wirbelnder Bewegung, der als Nachtanz stets auf die Basse danse folgte. In gleicher Weise wurde die Pavane, der wichtigste langsame Schreittanz der Renaissance mit seinen meist drei großen Teilen, von der Gagliarde beantwortet, dem Springtanz im Dreier- oder Sechsermetrum kommen hinzu. In der Gagliarde musste man – wie im Tourdion – zu zwei Dreiertakten mit ihren sechs Schlägen fünf Schritte ausführen, die „Cinque Pas“. Während man dazu im Tourdion die Füße am Boden hielt, weshalb er schnell und quirlig sein konnte, erforderte die Gagliarde gymnastisches Geschick: hier waren die Füße vom Boden aufzuheben! Die Anfolge von Basse danse-Tourdion und Pavane-Gagliarde mündete später im Barock in die Paarung Allemande-Courante.

Am Ende eines Balls fanden sich die Tänzer in einem Palais der Renaissance stets zur Branle zusammen, zum Gruppentanz, einer Art Reigen, den man in der Linie oder im Kreis tanzte. Was bei heutigen Feiern in der Regel – bei entsprechend angestiegenem Alkoholpegel – in eine Polonaise für den ganzen Saal ausartet, war in der Renaissance eben die Branle. Man tanzte sie steigernd von der „Branle simple“ mit ihren gemessenen Schritten im geraden Takt über die „Branle gay“ mit ihren schon wilderen Schritten im Tripeltakt bis hin zur „burgundischen Branle“, in der Schritte und Taktart rasch wechselten. Doch die Vielfalt der Varianten war noch viel größer: Maria Stuart brachte aus Schottland ihre eigenen „schottischen Branles“ mit nach Frankreich, die Branles aus dem Poitou standen im Neunvierteltakt, die aus der Bretagne waren dem barocken Passepied ähnlich, die aus der Auvergne der Bourrée. So war die Branle ein Sammelbecken für regionale wie europäische Einflüsse und Ahnherr der meisten schnellen Tänze der späteren barocken Suite.

Ein Engländer in Hamburg

„Neue ausserlesene liebliche Branden, Intraten, Mascharaden, Balleten,
Allmanden, Couranten, Volten, Aufzüge und frembde Tänze“ lautete – in der für deutsche Drucke üblichen Ausführlichkeit bzw. Umständlichkeit – der Titel einer Sammlung, die 1617 wohlfeil den Hamburger Kaufleuten angeboten wurde. Der sie publizierte, musste am Absatz kaum zweifeln: Der englische Geiger William Brade war das musikalische Lieblingskind der Hanseaten am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. Wie ein Jahrhundert später Georg Philipp Telemann in seinen Orchestersuiten verstand es auch Brade in seinen Tänzen, durch programmatische Überschriften die Einbildungskraft seiner Hörer anzuregen. Was die Formen der Tänze betrifft, ist hier der Schritt von Pavane und Gagliarde zu Allemande und Courante bereits vollzogen: Die Barocktänze halten Einzug. Ja der feierliche Duktus der Intraden lässt schon an die Einzugsmusiken des französischen Barock, Entrée und Ouverture, denken. Hinzu kommen allerhand Genretänze aus verschiedenen Winkeln Europas, die den Hamburger Kaufleuten mindestens über ihre Geschäftsbücher vertraut waren. Ebenso notorisch war für die Pfeffersäcke an der Alster ihr ewigen Schielen nach „Royalties“, deren realen politischen Einfluss man natürlich kategorisch ablehnte.

Wir hören zwei Suiten aus Brades Sammlung. Die erste beginnt wahrhaft königlich: mit „Der Koeniginnen Intrada“. Eine nicht ganz züchtige „Courante der Jungfrauen“ wirft auf Hamburg kein gutes Licht – Reeperbahn ante portas. Unwillkürlich schließen sich gleich die Satyrn an. Jeder gute norddeutsche Protestant dachte angesichts dieser unzüchtigen Gesellen mit dem übertriebenen Phallus unwillkürlich an die verwerflichen Fleischeslüste des italienischen, paganen Südens. Aus dem hohen Norden dagegen kam die „Ecossaise“, der schottische Tanz. Sie hatte nicht nur – dank Maria Stuart – Frankreich erobert, sondern auch – dank schottischer Schiffe und Schafe – die Binnenalster.

Die zweite Tanzfolge beginnt exotischer. Turbane waren bekanntlich weder in Venedig noch in Hamburg Fremdkörper: Man wusste die Muslimen als Handelspartner zu schätzen. Also goutierte man sich auch am exotischen Klangreiz einer „Türkischen Intrada“. Mit dem Satz „Die Wolriechende Violen“ hat William Brade seinen streicherischen Künsten ein Denkmal gesetzt, während „Der Piligrienen Tanz“ wohl auf die Pilger anspielt, die sich von Zeit zu Zeit in Hamburg einschifften. „Robert Batemans Volta“ ist eine Anspielung auf Brades Kollegen und Landsmann Robert Bateman, ein Virtuose auf Violine und Viola wie er, der eine stattliche Anzahl solcher Instrumente einem Freund am Berliner Hof vermachte und ein bedeutendes Vermögen hinterließ. Als Engländer in Deutschland konnte man damals zu Ruhm, Ehre und Vermögen kommen, wenn man flotte Tänze wie die Volta schrieb. Das wusste auch William Brade. „Der Hexen Tanz“ spielt einmal mehr mit dem Ruch des Verworfenen und Bizzarren, das in der geordneten Welt der Hamburger Kontors nur als Gegenwelt exisitierte. Aber Brade war nicht zufällig Engländer, ein Landsmann und Zeitgenosse Shakespeares. Die Hexenszenen aus „Macbeth“ hatten im ganzen 17. Jahrhundert in der englischen Musik ihre Gefolgschaft.

Musikalische Spiele

Nur vier Jahre nach Brade warf ein deutscher Musiker eine ähnlich anregende Sammlung mit Tanzmusik auf den Hamburger Notenmarkt: Samuel Scheidt, der Organist der Moritzkirche in Halle und damals Deutschlands berühmtester Experte für Orgelspiel und Orgelbau. Auch wir heute kennen Scheidt vornehmlich als Kirchenmusiker, quasi als Ahnherrn von Bach. Dabei wurde Scheidt just 1620 auch Hofkapellemeister an einer üppigen Hofhaltung des Frühbarock: Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg hatte sie für seinen Sohn, den lutherischen Erzbischof von Halle, eingerichtet. Und dort, im Residenzschloss, ging es durchaus weltlich zu. Nicht umsonst hatte der Landesfürst 1616 bis 1618 William Brade als seinen Hofkapellmeister beschäftigt, auf den dann Scheidt folgte. Nicht wenige Tänze aus Brades Sammlung von 1617 dürften zuerst in Halle erklungen sein.

Für Scheidts „Ludi musici“ steht dies fest. „Musikalische Spiele“ lautet der Titel dieser berühmten Sammlung, die für die vielen großen und kleineren Hofkapellen in Anhalt, Sachsen und Thüringen berechnet war. Deren Geschmack war konservativ: „Paduan“ und „Galliard“ beherrschen nach wie vor das Feld, ja man findet die alten musikalischen Schlachtengemälde aus den französischen Sammlungen ebenso wieder wie die Canzonen über französische Chansons. Tänzerisch war man noch in der Spätrenaissance verwurzelt. Doch Scheidts wundervolle „Courante dolorosa“, die „schmerzliche Courante“, weist schon weit in den Barock hinein in ihrer ausdrucksstarken Chromatik.