Suite | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Tylman Susato

Suite

Suite (Arr. John Iveson)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2582

Satzbezeichnungen

1. La Mourisque

2. Bransle

3. Ronde

4. Basse Danse Bergeret

5. Pavane Bataille

Erläuterungen

TYLMAN SUSATO-TÄNZE spielen in diesem Repertoire eine ebenso große Rolle wie etwa in Hausmusik-Zirkeln auf Kornamusen oder Blockflöten. Sie sind leicht auszuführende, nichtsdestoweniger spritzige Tänze aus der Blütezeit der Renaissance. Der aus Soest in Westfalen stammende Musikverleger Susato (daher der Name) veröffentlichte 1551 in Antwerpen „alderhande danserye“, allerhand Tänze aus verschiedenen Ländern Europas, bevorzugt aus Frankreich. Die Moriske, mit der unsere Tanzfolge beginnt, erinnert an die Figuren tanzender Mohren aus dem 16. Jahrhundert, die groteske Bewegungen ausführen. Die Branle war ein ungleich gesitteterer Reihentanz, während die Ronde einen volkstümlichen Rundtanz darstellt. Basse Danse und Pavan gehörten zu den bevorzugten Tänzen der feinen Gesellschaft, erstere im schnellen Dreier-, letztere im langsamen Zweiertakt. Der Name unserer Pavane Bataille deutet auf die im kriegerischen 16. Jahrhundert besonders beliebten Schlachtendarstellungen hin.

WENN WIR FRANKREICH BIS HEUTE ALS EIN LAND DER VERFEINERTEN SINNLICHEN GENÜSSE ANSEHEN, SO WURDE DAFÜR IM FRÜHEN 16. JAHRHUNDERT DIE GRUNDLAGE GELEGT. KÖNIG FRANZ I. HOLTE KÜNSTLER AUS ITALIEN AN SEINEN HOF, UM IN STUCK UND FRESKEN, TAPISSERIEN UND EMAILLE DAS NEUE MENSCHENBILD DER RENAISSANCE ABZUBILDEN. KLINGENDES PENDANT ZU DIESEM NEUEN RAFFINEMENT IN DER FRANZÖSISCHEN KUNST IST DIE LAUTENMUSIK JENER ZEIT, DIE IHRE WURZELNWIE DIE KUNST – IN ITALIEN HAT.

Der königliche Drucker: Pierre Attaignant

Notendrucker des Königs und König der Notendrucker in Paris war Pierre Attaignant. Seit 1513 lebte er als „Drucker und Buchhändler bei der Unversität“ von Paris, wie ein in Wien erhaltenes Dokument belegt. Doch vom Drucken frommer Breviere ging er bald zu seiner eigentlich bahnbrechenden Erfindung über: dem Notendruck mit beweglichen Lettern, bei dem Note und Notenlinie auf einer Type vereint sind. Diese revolutionäre Technik verschaffte ihm, gestützt auf königliche Druckprivilege, zwischen 1527 und 1551 ein Monopol für den Notendruck in Frankreich, das von der fernen Konkurrenz in Lyon (Jacques Moderne) und Anvers (Tilman Susato) kaum bedroht wurde. So gelang es ihm in einzigartiger Weise, fast alles zu drucken, was die französische Hochrenaissance an Musik hervorgebracht hat: 38 Messen, fast 400 Motetten, 56 französische Psalmen und mehr als 1700 Chansons von Meistern wie Sermisy, Sandrin, Janequin oder Certon. Neun Bücher mit vierstimmigen Tänzen gehörten ebenso zu seinem Verlagsangebot wie zwei Bücher mit Lautentabulaturen.

Es ist angesichts so eindrucksvoller Katalogzahlen kaum verwunderlich, dass Attaignants Drucke sämtliche musikalischen Formen widerspiegeln, die im Frankreich seiner Zeit üblich waren, nicht nur in der geistlichen Musik. Gerade der Reichtum des weltlichen Repertoires – die Chansons, die „Danceries“ und Lautenstücke – lassen die Lebensfreude, die Sinnlichkeit und die kultivierte Verfeinerung des Lebensstils in der französischen Haupstadt erahnen.

Aus den Lautentabulaturen Attaignants spielt Hopkinson Smith zwei „Préludes“, frühe Beispiele für das freie Brechen der Akkorde in wechselnden Harmonien als Vorspiel zu einer „Suite“ von Tanzsätzen, wie sie erst im Laufe des 16. Jahrhunderts als Form aufkommen sollte.

Chansons spielen in Attaignants Drucken naturgemäß eine große Rolle, brach doch just um 1520 in Paris die große Zeit dieses Genres an. König Franz I. hat allein 30 eigene Gedichte zu den Chansondrucken seines „imprimeur et libraire du Roy en musique“ beigetragen, ebenso Clément Marot, der bedeutendste Dichter der Epoche. Unser erstes Beispiel, „Le jaulne et blanc sont les couleurs d’une dame que j’ayme fort„ („Das Gelb und das Weiß sind die Farben einer Dame, die ich sehr liebe“) ist eine klassische Pariser Chanson jener Zeit, das zweite Beispiel, „Dolent départ“, eine mehr gravitätische höfische Chanson.

Zu den Tanzformen, die in Attaignants neun Büchern von Danceries immer wieder begegnen, gehören die Basse danse, der Tourdion und die Branle. Die „Basse danse“ war der tiefe Tanz im Gegensatz zur „Alta Danza“. Man schleifte die Füße gemächlichen Schritts am Boden, wobei die alte Relation von einer Note auf einen Schritt zu Attaignants Zeit längst einer freieren Rhythmik gewichen war.

Für die „Branle“, einen volkstümlichen Rund- oder Reihentanz, hat Attaignant 1530 in seinen „18 Basses danses“ für Laute das verbindliche Modell geschaffen. Ein fester Typus war etwa die „Branle de Poitou“, die sich durch Sechs- oder Neunvierteltakt auszeichnete. „Gay“, also fröhlich und lebhaft, war jede Branle, wie noch Jean-Jacques Rousseau bemerkte: „ein ziemlich lebhafter Tanz, den man in der Runde tanzt“.

Als Nachtanz zu verschiedenen Basses danses diente der „Tourdion“, ein Springtanz, der der Galliarde ähnlich war. Man tanzte jeweils fünf Schritte in Folge und führte beim fünften einen „saut modéré“, einen niedrigen Sprung aus.

Vergleicht man den Inhalt von Attaignants Drucken mit denen italienischer Lautenbücher der gleichen Zeit, so tun sich Parallelen auf. Auch in dem venezianischen „Capirola Lautenbuch“ von ca. 1517 finden sich Tänze wie der „Baleto da Balar“ oder Intavolierungen von Gesängen, die freilich mehr den lebhaften Charakter der Frottola annehmen („Che farala, che dirila“). Neu an der Lautenkunst der Italiener waren die geschlossenen Formen der kontrapunktischen Musik: das Ricercar und die Fantasia.

Der göttliche Mailänder: Francesco da Milano

Unbestrittener Meister der Fantasia auf der Laute war Francesco da Milano. Seine Landsleute nannten ihn voller Bewunderung „Il divino“, den Göttlichen, wie sonst nur Michelangelo. Diesen hat Francesco Canova, wie der Juwelierssohn aus Monza bei Mailand mit bürgerlichem Namen hieß, zweifellos gekannt, denn Francesco verbrachte fast sein ganzes Leben im Dienst der Päpste. Die großen Medici-Päpste Leo X. und Clemens VII. gehörten ebenso zu seinen Dienstherren wie der vorletzte „deutsche“ Papst Hadrian VI. und der Farnesepapst Paul III., unter dem Michelangelo sein „Jüngstes Gericht“ und die Kuppel des Petersdoms schuf. Es ist kaum zu hoch gegriffen, wenn man Francesco da Milanos prägende Wirkung auf die Lautenmusik mit der seines berühmten Kollegen auf die Maler und Architekten vergleicht. Seine großartigen Fantasien wurden als Muster dieser Gattung bis weit ins 17. Jahrhundert hinein immer wieder kopiert und gespielt. Gegenüber früheren Fantasien zeigen Francescos Werke eine vom polyphonen Chorsatz entlehnte Dichte des Kontrapunkts. Oft sind die Themen direkt Vokalwerken entlehnt: französischen Chansons oder italienischen Madrigalen. Die Höhe der Verarbeitungskunst verweist auf die Renaissancekultur und die humanistischen Ideale im Rom jener Epoche. Doch auch in Paris schätzte man Francescos Kunst, und tatsächlich war es Attaignant, der seine erste Fantasie veröffentlichte.

Der Exzellente: Pietro Paolo Borrono

Mit dem Mailänder Pietro Paolo Borrono schließt sich die Lücke zwischen den beiden prominentesten Lautenisten unseres Programms: Francesco da Milano und Albert de Rippe. Gemeinsam mit dem ersteren hat Borrono ein Lautenbuch veröffentlicht, und zeitlebens wurden die beiden Freunde miteinander verglichen. Gegenüber dem „Divino“ Francesco brachte es Pierpaolo immerhin auf ein „Eccellente“. Albert de Rippe lernte Borrono am Hof Franz‘ I. in Paris kennen, wo er sich um 1530 aufgehalten hat. Seine Saltarelli belegen eine weitere volkstümliche Form des Springtanzes jener Zeit.

Der Spanier: Joan Ambrosio Dalza

Als der Lautenist Hans Judenkünig 1523 in Wien seine „Schone kunstliche Underweisung auf der Lautten und Geygen“ veröffentlichte, druckte er auch ein Stück des Mailänders Joan Ambrosio Dalza ab: die hier gespielte „Calata a la spagnola“. Ob sie auf eine spanische Abstammung des Meisters hinweist, ist unbekannt. Man weiß von ihm nur, dass er nach 1508 in Italien gestorben sein muss, und dass der venezianische Drucker Petrucci sein Lautenbuch herausbrachte. Dort finden sich neben Saltarelli und Pavanen auch frühe Toccaten mit dem Namen „Tastar le corde“. Die Saiten berühren bzw. ausprobieren tat man damals wie später in der Cembalotoccata mit Akkordbrechungen und Läufen in freiem Wechsel.

Der königliche Lautenist: Albert de Rippe

Mit Albert de Rippe kehren wir noch einmal an den Hof König Franz‘ I. von Frankreich zurück. In der Kunstgeschichte nennt man jene Italiener, die der König an seinen Hof bei Paris berief, die „Schule von Fontainebleau“. Eine entsprechende Schule in der Musik hat es auch gegeben, und Alberto da Ripa war ihr vornehmster Vertreter. Er wurde um 1500 an der „Ripa“, am Flussufer bei Mantua, geboren und diente dort zunächst am Hofe der Gonzaga. Dann aber ereilte ihn der Ruf des französischen Königs, dem er 1529 folgte. Außer einem Besuch in Rom 1531 hat er sein Heimatland nicht wiedergesehen, ist in Paris gestorben und begraben. Als „Valet de Chambre“ stand er Franz I. besonders nahe, die Dichter der Pléiade haben seine Kunst besungen, allen voran Marot und Ronsard. Mit dem berühmt-berüchtigten Klatsch-Kolumnisten Aretino stand er im Briefkontakt, Francesco da Milano hat er sicher in Rom und vielleicht in Paris getroffen. De Rippe, wie er sich in Frankreich nannte, war also ein Renaissance-Künstler auf der Höhe der Zeit, wenn auch musikalisch nicht ganz auf der Höhe des „Divino“ Francesco. Mit diesem wetteiferte er in seinen langen, klangvollen Fantasien. Von seinen angeblich täglich zu Papier gebrachten Werken hat sich nur eine sehr ungleiche Auswahl erhalten.