Streichquartett c-Moll, op. 9 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Max Bruch

Streichquartett c-Moll, op. 9

Quartett Nr. 1 c-Moll für 2 Violinen, Viola und Violoncello, op. 9

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2621

Satzbezeichnungen

1. Andante – Allegro ma non troppo

2. Adagio

3. Allegro molto energico

4. Molto vivace

Erläuterungen

Daß sein Name am Ende des 20. Jahrhunderts nur noch mit “dem” Violinkonzert in Verbindung gebracht werden würde, hat Max Bruch geahnt. In einem Gespräch 1907 meinte er über sich im Vergleich zu Brahms: “In nur 50 Jahren wird sein Glanz als der des überragendsten Komponisten aller Zeiten hell erstrahlen, während man sich meiner hauptsächlich nur wegen meines g-Moll-Violinkonzertes erinnern wird.” Bruch erkannte Brahms neidlos als den Originelleren an, versuchte aber, den populären Ton seiner Musik durch seine wirtschaftliche Lage zu rechtfertigen:“Ich mußte mit meinen Kompositionen Geld verdienen. Ich war deshalb gezwungen, gefällige und leicht verständliche Werke zu schreiben… Ich schrieb immer gute Musik, aber solche, die leicht abzusetzen war.”

Für die beiden Streichquartette Bruchs gilt dies weniger als für spätere Werke, stammen sie doch noch aus seiner Studienzeit. Sie sollten ganz offenbar die Kunstfertigkeit des Komponisten in einem Genre unter Beweis stellen, das dem 19. Jahrhundert als “der wahre Prüfstein eines gediegenen Componisten” (Ferdinand Pohl) galt.
Das c-Moll-Quartett, op. 9, wurde 1859 in Leipzig gedruckt, im Jahr darauf das E-Dur-Quartett, op. 10. Vorausgegangen war ihnen ein Jugendquartett, mit dem der 14jährige 1852 den Preis der Frankfurter Mozartgesellschaft gewonnen hatte. Bruch war also bei der Komposition des c-Moll-Quartetts 1856 kein Neuling in dem Genre mehr. Entsprechend beeindruckend ist die Visitenkarte, die der 23jährige hier im vollen Überschwang romantischer Tonsprache abgab.

Der originellste Zug des ersten Satzes ist das einleitende, rhapsodische Solo, auf das die übrigen Spieler mit einem pochenden, quasi-deklamatorischen Motiv antworten. Aus dieser stockenden langsamen Einleitung entwickelt sich – ähnlich den a-Moll-Quartetten von Beethoven (op. 132) und Mendelssohn (op. 13) – durch rasante Beschleunigung das Allegro. Sein Hauptthema verwendet die gleiche klagende Figur wie die Einleitung (die durch zwei kleine Sekunden umspielte Quint des Grundtons), die in den Dreiertakt versetzt und rhythmisch geschärft wird. Diesem klagenden Motiv tritt im Seitenthema eine lang ausgesponnene, liebliche Melodie gegenüber, gefolgt von einer rhythmisch scharf konturierten Schlußgruppe. Fahle Mollakkorde leiten die Durchführung ein, die die Themen vor allem klanglich in neuem Gewand vorstellt, dem Hauptthema aber auch die Ehre eines Fugato angedeihen läßt. Offensichtlich ging es dem jungen Bruch darum, dem Gattungsanspruch des Streichquartetts durch kontrapunktische Kunstfertigkeit zu genügen, wovon auch die etwas überladene Reprise zeugt. Insgesamt aber macht der Kopfsatz den Eindruck einer geradezu genialischen Beherrschung der Form.

Das Adagio hätte angesichts der melodischen Schönheit seines Themas einen Ehrenplatz unter den populärsten Quartett-Melodien der Romantik verdient (gleich neben Borodins Notturno). Der ruhige Fluß des Hauptteils wird von einem nicht besonders effektiven, kontrastierenden Mittelteil unterbrochen, der aber die Gelegenheit zu einem weiteren melodischen Höhepunkt gibt, bevor das erste Thema über einem pulsierenden Klanggrund der Unterstimmen wiederkehrt. Eine ruhige Coda beschließt diesen exzeptionell schönen Satz.

Das Scherzo setzt durch sein robustes Mollthema im Volkston den zu erwartenden Kontrast und gibt sich auch im vierstimmigen Satz betont “kernig”. Das Trio kehrt dagegen zur Süße des Adagios zurück – mit Melodien, die einem Dvorak alle Ehre machen würden, den Verdacht des allzu Süßlichen aber nicht restlos entkräften können.

Das Finale ist eine Tarantella, in der Mendelssohn seine Spuren hinterlassen hat. Aus dem wilden Beginn werden kleine Motive abgespalten, die den melodisch singenden Themen als Klanggrund dienen – eine Technik, die hier so effektiv wirkt wie in vergleichbaren Mendelssohn-Sätzen, ohne daß sich der frühere Komponist zu einer so brachial-übersteigerten Apotheose hätte hinreißen lassen wie sein 30 Jahre jüngerer Nachahmer Bruch.