Klaviertrio | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Rebecca Clarke

Klaviertrio

Trio für Violine, Violoncello und Klavier (1921)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2775

Satzbezeichnungen

1. Moderato ma appassionato

2. Andante molto semplice

3. Allegro vigoroso

Erläuterungen

Über Rebecca Clarke kann man in dem bedeutendsten englischsprachigen Musiklexikon unserer Zeit von 1980 (!) einen einzigen Satz lesen: „englische Bratschistin und Komponistin, Gattin von James Friskin“. Daß Rebecca ihrem Mann als Komponistin mindestens ebenbürtig war, ja „eine der interessantesten und geistig unabhängigsten britischen Komponisten und Komponistinnen der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts überhaupt“ (Michael Ponder), ist ihren Werken zwar anzuhören, fand aber außerhalb spezieller Frauen-Musikliteratur bisher wenig Beachtung. Rebecca wurde im englischen Harrow als Tochter eines Amerikaners und einer Bayerin geboren. Sie studierte zunächst Geige an der Royal Academy of Music, bevor sie ans Royal College wechselte, um bei dem ansonsten nur Männer unterrichtenden Charles Stanford Komposition zu studieren. Stanford überredete sie, sich der Viola zuzuwenden. Es bedurfte nur einiger Stunden bei dem legendären englischen Bratscher Lionel Tertis, um sie von dem Instrument zu überzeugen, das lebenslang „ihr“ Instrument bleiben sollte. Mit der Bratsche verdiente sie ihren Lebensunterhalt – als eine der ersten Frauen im Queens Hall Orchestra und als Mitglied in den damals rasend erfolgreichen Frauen-Kammerensembles, wie etwa dem English Piano Quartet, dem sie über 20 Jahre lang angehörte.
Allein schon als Kammermusikpartnerin von Casals, Rubinstein, Thibaud, Heifetz, Schnabel und Szigeti hätte die Clarke einen Ehrenplatz unter den Streichersolisten des Jahrhunderts verdient. Ihre kompositorische Karriere erfuhr auf einer ihrer vielen Amerika-Reisen eine entscheidende Wendung, als sie die Kammermusik-Mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge kennenlernte.Diese hatte im Rahmen eines Festivals in Pittsfield, Massachussetts, einen Kompositionswettbewerb ausgeschrieben, und zwar für Werke mit Viola und Klavier. Aus den 73 anonym eingereichten Stücken kamen zwei in die engste Wahl. Die entscheidende Stimme fiel Mrs. Coolidge selbst zu, deren Favorit sich als Ernest Blochs Suite für Viola und Klavier entpuppte. Die Jury bestand darauf, das Inkognito des zweitplazierten Stückes zu lüften: Es war die Violasonate von Rebecca Clarke. „Sie hätten die Gesichter der Juroren sehen sollen, als sie erfuhren, daß der Komponist eine Frau war“, erzählte Coolidge später.

Auch das Klaviertrio aus dem Jahre 1921 wurde für den Coolidge-Wettbewerb komponiert. Es kam erneut hinter dem Trio eines Kollegen (Harry Waldo Warner) „nur“ auf Platz 2, erfuhr aber seine Uraufführung bereits in der Wigmore Hall mit keiner Geringeren als Myra Hess am Klavier und wurde 1923 von einem Komponisten-Kommitee den Salzburger Festspielen empfohlen.

Neben diesen beiden Werken, ihren bedeutendsten Kammermusiken, hat Rebecca Clarke ein relativ schmales Oeuvre von 58 Liedern und 22 weiteren Instrumental-stücken hinterlassen, denn nach 1930 hat sie nur noch wenig komponiert – ihrer Karriere als Interpretin und der Beziehung zu einem verheirateten Mann zuliebe. Bei Kriegsausbruch 1939 befand sie sich auf Konzertreise in den USA; da ihr ein Visum für die Rückreise verweigert wurde, arbeitete sie als Nanny im Bundesstaat Connecticut, wo sie schließlich 1944 James Friskin wiedertraf, einen alten Freund vom Royal College, der an der Juillard School in New York unterrichtete. Nach der Heirat mit Friskin legte Rebecca ihre kompositorische Karriere endgültig ad acta; sie lebte bis zu ihrem Tod 1979 in New York.

„Viele Leute, die sich an sie erinnern, berichten über ihr konzentriertes Denken, ihren spitzen Humor und ihre gewinnende Energie. Dies sind auch die Eigenschaften, die in ihrer Musik zum Ausdruck kommen. Hinzukommen eine Lyrik, die so überraschend originell ist, und eine so inbrünstige Leidenschaft, daß man sich wundert, diese Musik noch nie gehört zu haben. Bei ihrer musikalischen Sprache handelt es sich um eine persönliche Verschmelzung von Debussyschem Impressionismus, Blochscher Leidenschaft und melodischen Elementen, die aus englischen Volksliedern abgeleitet sind, sowie dem gewagten Einsatz von Dissonanzen. Das Klaviertrio, ein knapperes und bündigeres Werk als die Violasonate, zeigt ihre hoch entwickelte, kunstvolle Rhythmik und ihre Fähigkeit, aus den kleinsten melodischen Fragmenten die längsten und ausdrucksstärksten Phrasen zu formen. Man kann das Trio als Rebecca Clarkes Meisterstück bezeichnen. Die auch emotional überaus komplexe Partitur stellt eine der großen Leistungen der britischen Kammermusik jener Zeit dar.“ (Michael Ponder)