Bläserquintett Nr. 5 "In den Farben des Lebens" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Tilo Medek

Bläserquintett Nr. 5 "In den Farben des Lebens"

Quintett Nr. 5 für Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Klavier (1999/2000)
„In den Farben des Lebens“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 2944

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

TILO MEDEKEIN PORTRÄT

Bei bildenden Künstlern ist es eine Selbstverständlichkeit: Einzelausstellung; bei Schriftstellern ebenso: Einzellesung. Aber Komponisten bietet man gemeinhin nur ‚stückweise‘ an: zwischen Repertoirekomponisten packt man gelegentlich einen ‚noch lebenden‘. Um so verdienstvoller ist es, wenn die Kammersolisten der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz sich mit Porträtkonzerten zeitgenössischer Komponisten beschäftigen.

So schrieb Tilo Medek zum notorischen Problem der „freundlichen“ Verpackung zeitgenössischer Musik und ihrem Außenseiterdasein im Konzertbetrieb. Zu seinem 60. Geburtstag, den er am 22. Januar dieses Jahres feierte, „wünschte“ sich der Jubilar denn auch von der Villa Musica eine kleine Tournee von Porträtkonzerten mit eigenen und fremden Werken. Da er selbst moderieren wird, erübrigt sich ein Kommentar zu den Werken im einzelnen. Im folgenden soll es mehr um die beiden Komponisten und die Komponistin des Programms gehen: Tilo Medek, Kurt Weill und Louise Farrenc. Was sie verbindet, den pfiffigen Unangepassten aus Remagen-Oberwinter, den Brecht-Vertoner und Musical-Produzenten aus Berlin und die Romantikerin aus Paris, wird uns Medek sicher verraten.
LEBENSLINIEN

Zum Villa Musica-Saisonmotto „Lebenslinien“ hätte Tilo Medek wohl einiges zu erzählen – aus fast drei Jahrzehnten eines Komponistenlebens in der DDR und weiteren zweieinhalb Jahrzehnten der Begegnung mit dem westlichen Kulturleben.

1977 siedelte er aus der DDR in den Westen um

EIN MODERNER TELEMANN

Kammermusik für Bläser ist ihm eine Herzensangelegenheit. Seine Vorträge über Bläserkammermusik. Er selbst hat zahllose Bläserwerke geschrieben, teils unter pädagogischen Vorzeichen, teils für befreundete Ensembles wie die Kammersolisten der Staatsphilharmonie. Seine kess-bildhafte, moderat-moderne Musik macht ihn zu einem deutschen Jean Françaix Beziehung oder auch zu einem modernen Telemann. Alle drei vereint der geniale Umgang mit den Bläserfarben, das „Gespür“ für ihre Mischungen im richtigne Verhältnis, aber auch der Sinn für den Witz in der Sache, für Harlekinade und hintergründigen Spaß.

Über die Gründe für seine besondere Beziehung zur Bläserkammermusik sagte Medek: „Mein Vater war Flötist und gründete in den dreißiger Jahren ein Bläserquintett in Jena; mein Bruder tat ab 1958 mit seinem Potsdamer Bläserquintett ein gleiches. Es ist klar, dass ich da als Komponist ‚bläserquintett-infiziert‘ bin.“ In der Tat bildet die Bläserkammermusik einen wesentlichen Zweig seines Oeuvres. Außer dem Reiz der Klangkombinationen im Bläserensemble ist es auch die Begegnung mit Musikern außerhalb des notorischen „Tutti“, die Medek an der Kammermusik reizt: „Die Begegnung mit Musikern in Kammermusik-Formation ist zweifelsohne viel tiefer als bei Orchesterproben (der Dirigent ‚erledigt‘ da bereits das meiste).“

„Zu erledigen“ gibt es in Medeks Bläserkammermusik allerdings allerhand, die Anforderungen sind hoch, wenn auch immer verbunden mit spielerischer Entdeckerfreude und unmittelbar bezogen auf das Instrument,„idiomatisch“ gearbeitet, wie man musikwissenschaftlich sagen würde. Der „Telemann des 20. Jahrhunderts“ wäre auch in dieser Hinsicht kein falsches Epitheton.

PORTRÄTKONZERT TILO MEDEK

„Bei bildenden Künstlern ist es eine Selbstverständlichkeit: Einzel-ausstellung; bei Schriftstellern ebenso: Einzellesung. Aber Komponisten bietet man gemeinhin nur ‚stückweise‘ an: zwischen Repertoirekomponisten packt man gelegentlich einen ‚noch lebenden‘. Um so verdienstvoller ist es, wenn die Kammersolisten der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz sich mit Porträtkonzerten zeitgenössischer Komponisten beschäftigen.“ Zum notorischen Problem der „benutzerfreundlichen“ Verpackung zeitgenössischer Musik und ihrem Außenseiterdasein im Konzertbetrieb hätte Tilo Medek zweifellos noch so manches zu sagen. Wir wollten ihn lieber einladen, etwas zu seiner Musik zu sagen. Zu seinem 60. Geburtstag, den er am 22. Januar dieses Jahres feierte, wünschte er sich von der Villa Musica eine kleine Tournee von Porträtkonzerten mit eigenen und fremden Werken. Die Kombination ist ungewöhnlich: Tilo Medek, Kurt Weill und Louise Farrenc. Was sie verbindet, den pfiffigen Unangepassten aus Remagen-Oberwinter, den Brecht-Vertoner und Musical-Produzenten aus Berlin und die Romantikerin aus Paris, wird uns Medek sicher verraten. Gemeinsame Basis der Werke ist die Besetzung mit Bläsern und Klavier.

LEBENSLINIEN ZWISCHEN OST UND WEST

Tilo Medek passt ins Villa Musica-Saisonmotto „Lebenslinien“, und seine Lebenslinien wiederum passen zu einem Konzert kurz nach dem Jahrestag der deutschen Einheit. 1977 siedelte er aus der DDR in den Westen über – aus Enttäuschung über das Regime „drüben“ und aus der Erfahrung der Verfolgung heraus. Seitdem setzt er sich kritisch mit dem westdeutschen Musikleben und seinen Widersprüchen, insbesondere mit der westlichen Avantgarde auseinander, auch als Musikwissenschaftler.

Tilo Medek wurde am 22.1.1940 in Jena geboren. Sein Vater Willy Müller-Medek war Musiker und Komponist, was dem Sohn das Metier vorgab: Mit 10 Jahren begann er Theorie-, Klavier- und Violinstudien am Konservatorium Jena, mit 17 erlebte er bei den Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt Nono und Stockhausen, mit 19 studierte er in Berlin: Musikwissenschaft bei Ernst Hermann Meyer und Komposition bei Rudolf Wagner-Régeny. Ab 1962 komponierte er seine ersten Hörspiel- und Bühnenmusiken, um Geld zu verdienen; 1964 Diplom in Musikwissenschaft, 1967 Abschluss des Kompositionsstudiums.
Der Aufbruch in eine hoffnungsvolle Zukunft als Komponist in der DDR wurde früh von Rückschlägen begleitet, von „andauernden Kontrollen, ob das alles ideologisch einwandfrei war.“ 1968 kam es zu einem ersten Eklat, ausgelöst durch den Prager Frühling und Medeks Dekret über den Frieden nach Lenin. Ausgerechnet gegen dieses Werk meldeten die ästhetischen Ordnungshüter der DDR ihre Bedenken an. In einem Brief an Erich Honecker neun Jahre später lies der Komponist die inneren Widersprüche des Systems an diesem einen Beispiel voller Erbitterung Revue passieren: „Diffamierungen und Enttäuschungen wechseln seit 10 Jahren: Schrieb ich 1967 Lenins ‚Dekret über den Frieden‘, wurde es im gleichen Jahr verboten; als das selbe Stück 1968 in Amerika ausgezeichnet wurde, meldete das ‚Neue Deutschland‘ dies am 1. September 1968 in seiner Spalte ‚Aus dem Kulturleben‘.“ Nur neun Wochen später stand wiederum das selbe Werk am Pranger des Neuen Deutschland: Man setzte es aufgrund seiner „kritiklosen Übernahme spätbürgerlicher Kompositionsmittel“ zum Prager Frühling in Beziehung. Dennoch wurde es noch im selben Jahr in Moskau aufgeführt.

Solcher und anderer Absurditäten müde schrieb Medek 1977, nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns, seinen wütenden Protestbrief an Honecker. Es war eine „Flucht nach vorn“, in den Westen, wohin er schließlich ausreisen durfte wie vor ihm Manfred Krug und Sarah Kirsch. 1980-85 lebte er mit seiner Familie in Unkel, seitdem auf der Rheinhöhe in Oberwinter bei Remagen.

Im Westen konnte Tilo Medek die Vielfalt seiner „verzweigten“ Interessen freier entfalten. Er rief mit anderen die Freie Akademie der Künste Mannheim ins Leben, gründete seinen eigenen Musikverlag, knüpfte vielfältige Beziehungen zu Ensembles und Orchestern und engagierte sich besonders für die Jugendmusik. So schrieb er etliche Werke für Jugendorchester, wie etwa für das Landesjugendorchester Rheinland-Pfalz und seine Ensembles. Er wurde Stipendiat der Villa Massimo und fand breite Anerkennung.

Das Spektrum von Medeks Werken reicht von Kaminstücken für Klavier, einer halb ironischen, halb ernsten Auseinandersetzung mit der Traditon des biedermeierlichen Klavierstücks, bis hin zum Orchesterwerk mit politischem Anspruch (Zur Lage der Nation, 1990), von Heine- und Brecht-Liedern bis zu pädagogisch orientierter Kammermusik und Musik für Kinder. Experimentelle Techniken, die er in Darmstadt kennenlernte, haben nur selten ihren Niederschlag in seiner Musik gefunden, etwa in Battaglia alla turca für zwei Klaviere. Seine Schreibart ist meist der Tradition verbunden, zum einen den großen Vorbildern Eisler und Weill, zum anderen der älteren Musik von der Renaissance bis zur Klassik, die er auch als Herausgeber wieder neu zugänglich machte (z.B. Bläserpartiten von Carl Stamitz). Verständlichkeit der musikalischen Sprache, ironische Brechung avantgardistischer Konzepte und die Rückbindung an volkstümliche Wurzeln (Volkslieder und -texte) sind Konstanten seines Schaffens, die sich auf den unterschiedlichsten Ebenen zeigen. Die Böll-Oper Katharina Blum (1984/86) und Todesfuge nach Celan für Sopran und Chor (1966) sind seine vielleicht bekanntesten Werke.

Kammermusik für Bläser ist ihm eine Herzensangelegenheit, wie auch seine Vorträge darüber beweisen (siehe Colloquiumbericht Schloss Engers 1998). Er selbst hat zahllose Bläserwerke geschrieben, teils unter pädagogischen Vorzeichen, teils für befreundete Ensembles wie die Kammersolisten der Staatsphilharmonie. Seine kess-bildhafte, moderat-moderne Musik macht ihn zu einem deutschen Jean Françaix oder auch, wenn man so will, zu einem modernen Telemann. Alle drei vereint der geniale Umgang mit den Bläserfarben, das „Gespür“ für ihre Mischungen im richtigen Verhältnis, aber auch der Sinn für den Witz in der Sache, für Harlekinade und hintergründigen Spaß.

Über die Wurzeln seiner Bläserbegeisterung schrieb Medek: „Mein Vater war Flötist und gründete in den dreißiger Jahren ein Bläserquintett in Jena; mein Bruder tat ab 1958 mit seinem Potsdamer Bläserquintett ein gleiches. Es ist klar, dass ich da als Komponist ‚bläserquintett-infiziert‘ bin.“ In der Tat bildet das Bläserquintett eine Hauptgattung seines Oeuvres. Außer dem Reiz der Klangkombinationen im Bläserensemble ist es auch die Begegnung mit Musikern außerhalb des notorischen „Tutti“, die Medek daran reizt: „Die Begegnung mit Musikern in Kammermusik-Formation ist zweifelsohne viel tiefer als bei Orchesterproben (der Dirigent ‚erledigt‘ da bereits das meiste).“

Solistisch „zu erledigen“ gibt es in Medeks Bläserkammermusik allerhand, die Anforderungen sind hoch, wenn auch immer verbunden mit spielerischer Entdeckerfreude und unmittelbar bezogen auf das Instrument,„idiomatisch“, wie man musikwissenschaftlich sagen würde.„Der Telemann des 20. Jahrhunderts“ wäre auch in dieser Hinsicht kein falsches Epitheton.

Wir hören aus Medeks Bläserwerken drei Sätze der Spiegel-szenen aus den 80er-Jahren und das im Januar 2000 uraufgeführte 5. Bläserquintett mit dem Titel In den Farben des Lebens.

KURT WEILL
Tangoballade

Wie bereits angedeutet, gehört Kurt Weill, der Meister der politischen Ballade, zu den Vorbildern von Tilo Medek – darum das Arrangement der Tango-Ballade für Bläser und Klavier. Weills unnachahmliches Gespür für einen kritisch-saloppen „Volkston“ der Straße auf der Höhe der Zeit machte ihn zum Repräsentanten des Deutschlands der 20er- und 30er-Jahre und zum idealen Mitarbeiter von Berthold Brecht.

Dass er nach der Übersiedlung in die USA 1935 versuchte, am Broadway mit Musicals Fuß zu fassen, haben ihm seine Anhänger aus der sozial-kritischen frühen Zeit nie verziehen. Auch darin, im durch die Zeitläufte bedingten „Frontenwechsel“ und der Anpassung an die Gegebenheiten unterschiedlicher „Musiksysteme“, mag sich Tilo Medek Weill verwandt fühlen.

LOUISE FARRENC
Sextett

Die Frage, ob es einen weiblichen Mozart gegeben hätte, wenn die Zeitumstände komponierende Frauen gefördert hätten, statt sie zu unterdrücken, mag müßig erscheinen. Doch zumindest einigen Komponistinnen gelang es schon im 19. Jahrhundert, den durchweg männlichen Klassikern der Musikgeschichte Paroli zu bieten. Zu ihnen gehört die Französin Louise Farrenc. Sie gilt als die „bedeutendste Komponistin in der Mitte des 19. Jahrhunderts“ (MGG), was ihre vor einiger Zeit auf CD erschienenen Sinfonien zu bestätigen scheinen.

Louise Farrenc stammte aus einer Pariser Künstlerfamilie und war mit dem Musikverleger Aristide Farrenc verheiratet.
Er brachte ihre Musik im Druck heraus; nicht nur deshalb – der Kampf ihrer Kolleginnen um publizistische Anerkennung blieb ihr erspart -, sondern schlicht wegen der Qualität ihrer Werke fand sie schon zu Lebzeiten breite Anerkennung in Frankreich und Belgien. Man pries ihre Kompositionen „wegen der Klarheit der Konzeption“ (Gazette musicale), der guten Orchestrierung (Berlioz) und der „erhabenen Einfälle“ (Prix Chartier). Schumann meinte, „ein ganz leiser romantischer Duft“ schwebe über ihnen fort.

Ihr Sextett aus dem Jahre 1852 spiegelt in der Besetzung die große Pariser Tradition des Bläserquintetts wider. Die Besetzung Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott hatte sich wohl aus den Bläserklassen am Pariser Conservatoire heraus zu einer Gattung entwickelt, die von Reicha in Paris begründet wurde. In Farrencs Sextett werden die fünf Blasinstrumente mit dem Klavier kombiniert – auch eine Anspielung auf die klassischen Klavier-Bläser-Quintette von Mozart und Beethoven.

Im Aufbau lässt das Sextett – wie etwa auch das Nonett von Farrenc – die Anlehnung an die Wiener Klassik erkennen. Das Hauptthema des ersten Satzes scheint von dem Pathos beethovenscher c-Moll-Themen inspiriert zu sein. Auch die Abspaltung eines markanten Motivs in den Bläsern und die Themenentwicklung wirken klassisch. Die Besetzung führt zu einer konzertanten Polarisierung Klavier-Bläser. Beide Seiten tauschen virtuose Passagen aus, was den damaligen Pariser Bläsern ein hervorragendes Zeugnis ausstellt.

Im Thema des Andante sostenuto ist der Dialog Bläser-Klavier besonders klar ausgeprägt; hier führt melodisch die Klarinette. Das Finale wird, wie man es auch von einem Klavierkonzert erwarten würde, vom Klavier mit einem ausgedehnten c-Moll-Thema voll beethovenschen „Elans“ eröffnet. (kb)