Streichquartett d-Moll, KV 421 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Wolfgang Amadeus Mozart

Streichquartett d-Moll, KV 421

Quartett d-Moll für zwei Violinen, Viola und Violoncello, KV 421

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3027

Satzbezeichnungen

1. Allegro moderato

2. Andante

3. Menuetto. Allegretto

4. Allegretto ma non troppo Più allegro

Erläuterungen

Mit seinen sechs Streichquartetten KV 387, 421, 428, 458 sowie 464-465 hat Mozart seinem verehrten Komponistenfreund Joseph Haydn ein Denkmal gesetzt. Angeregt durch dessen sechs Streichquartette Opus 33, die 1782 im Druck erschienen waren, begann Mozart an Weihnachten 1782 einen eigenen Quartettzyklus, dessen sechs Werke freilich erst drei Jahre später vollendet waren. 1785 beförderte er sie im Wiener Verlag Artaria als sein Opus X zum Druck und widmete sie „seinem lieben Freund Joseph Haydn“ Seitdem werden die sechs Werke volkstümlich Mozarts „Haydn-Quartette“ genannt, was auch musikalisch zutrifft, denn unschwer kann man in ihnen Anspielungen auf Haydns Quartette Opus 33 ausmachen.

In den bewegenden Worten seiner Zueignung „al mio caro amico Haydn“ betonte Mozart, wie sehr ihm Haydns Streichquartette Leitstern und Inspiration gewesen waren. Seine eigenen Quartette nannte er Kinder, die er unter dem Schutz des großen Mannes in die Welt entlasse. Zugleich unterstrich er, wie sehr seine Quartette „il frutto di una lunga, e laboriosa fattica“ seien, die Frucht einer langen, mühsamen Arbeit. Ausführliche Skizzen zu den Quartetten und der für Mozart ungewöhnlich langwierige Entstehungsprozess lassen ahnen, wie viel mühsame Detailarbeit in jedem dieser Werke steckte.

Da Mozart selbst ein leidenschaftlicher Quartettspieler an Geige und Bratsche war, kam er in seiner Vorrede auch auf die ersten Aufführungen der Quartette in Wien zu sprechen. Haydn selbst habe ihm nach diesen Aufführungen „bei seinem letzten Aufenthalt in Wien“ seine Zufriedenheit mit den Stücken ausgedrückt. Mozart spielte damit auf zwei denkwürdige Quartettabende in seinem Hause an: Am 15. Januar und am 12. Februar 1785 hatte er den Freund zu sich eingeladen, um ihm zuerst die drei früheren Quartette der Serie von 1782/83, dann die erst jüngst komponierten vorzuspielen. Leopold Mozart spielte die erste, sein Sohn die zweite Geige, Viola und Cello lagen in den Händen der Freiherren Anton und Bartholomäus Tinti. Das Es-Dur-Quartett und seine Schwesterwerke beeindruckten Haydn damals so sehr, dass er Vater Mozart sein berühmtes Kompliment über den Sohn machte: „Ich sage ihnen vor gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und den Nahmen nach kenne: er hat geschmack, und über das die größte Compositionswissenschaft.“

KV 421, das einzige Mollquartett unter den zehn großen Streichquartetten Mozarts, wurde Mitte Juni 1783 abgeschlossen, wenige Wochen nach Kyrie und Gloria der c-Moll-Messe, mit denen es den Hang zu barockem Pathos teilt. Das Ausdrucksspektrum, das Mozart in diesem Quartett der Tonart entlockte, nimmt seine späteren großen d-Moll-Werke vorweg: das Klavierkonzert KV 466, den Don Giovanni und sogar das Requiem. Für den düsteren Mollton des Quartetts gab es freilich einen ganz konkreten Anlass: die Entbindung seiner Frau Constanze von ihrem ersten Kind, dem Knaben Raimund Leopold. Constanze berichtete später ihrem zweiten Gatten, dem dänischen Diplomaten Nikolaus von Nissen, von den Umständen der Entstehung dieses Quartetts:

„Zur Zeit, als seine Frau zum ersten Mal in Kindesnöthen war, arbeitete er sogar an dem zweyten der sechs Quartetten, welche er 1785 Joseph Haydn widmete. Diese Umstände waren gewiss nicht zum Notendenken geeignet, da er nie am Claviere componirte, sondern die Noten zuvor schrieb und vollendete, und sie dann erst probirte; und dennoch belästigte ihn nichts, wenn er in dem Zimmer arbeitete, wo seine Frau lag. So oft sie Leiden äusserte, lief er auf sie zu, um sie zu trösten und aufzuheitern; und wenn sie etwas beruhigt war, ging er wieder zu seinem Papier. Nach ihrer Erzählung wurden der Menuett und das Trio gerade bey ihrer Entbindung componirt.“

Im ersten Satz schlägt sich Mozarts Auseinandersetzung mit der Musik der Bachfamilie nieder, die er 1782/83 im sonntäglichen Musikzirkel des Barons van Swieten intensiv studierte. Die Melodik ist wie in den Werken Carl Philipp Emanuel Bachs vom „redenden Prinzip“ durchdrungen. Sie wirkt extrem deklamatorisch schon in den weit ausholenden Gesten der ersten Violine zu Beginn, besonders aber in der gleichsam stockenden Überleitung. Nur das Seitenthema entfaltet wienerisch-klassische Gesanglichkeit. In der Durchführung staut sich durch Bachschen Kontrapunkt und extreme Vorhaltsdissonanzen eine solche Spannung auf, dass sie sich nur in einer befreienden Quintfallsequenz lösen kann. Die Reprise verharrt durchweg in Moll und endet in einem Ton tragischer Resignation, den man schon „Schubertisch“ nennen könnte. Schon die Zeitgenossen spürten das hohe Pathos dieses Satzes. Im Jahre 1803 unterlegte der französische Musiktheoretiker Momigny dem Geigenthema des Beginns die Klage der Karthagerkönigin Dido, dem ersten Solo des Cellos die Worte ihres scheidenden Geliebten Aeneas. Abschiedsschmerz und Resignation bestimmen die Ton diesen bewegenden Satzes.

Im Andante werden sie durch ein subtiles Spiel mit Licht und Schatten, Dur und Moll, laut und leise ersetzt. Im weich-schwingenden Duktus des Sechsachteltakts meint man zunächst, eine idyllische Pastorale zu hören. Doch rasch gerät der melodische Fluss ins Stocken und pendelt unentschieden zwischen zögerlichem Aufblühen, „sprechenden“ Pausen und wiegendem Sich-Aussingen hin und her. Die Lautstärke changiert ständig zwischen Piano und zaghaften Ansätzen zum Forte, die Harmonik schweift immer weiter in Mollregionen ab, bis sich beides – Forte und Moll – im Mittelteil kurz, aber heftig entlädt.

Der barockste Satz ist das Menuett, das mit Exclamatio-Figuren über dem chromatischen Lamentobass der Barockzeit operiert. Gerade diesen Satz hat Mozart nach dem Zeugnis seiner Frau während der Entbindung Constanzes komponiert. In den Ausrufen der ersten Geige soll er ihre Schmerzensschreie nachgeahmt haben. Umso friedfertiger ist das Trio: eine kleine Serenade in D-Dur für Solovioline mit Pizzicato-Begleitung. Es ist eine Willkommensmusik für den kleinen neuen Erdenbürger, dem Mozart seinem eigenen Vater zu Ehren den Namen Raimund Leopold gab. „Ich gratuliere, Sie sind Gros-Papa! – gestern früh den 17. um halb 7 uhr ist mein liebes Weib glücklich mit einem großen, starken und kugelrunden Buben entbunden worden,“ schrieb Mozart an den stolzen Großvater nach Salzburg.

Das Variationenfinale erinnert daran, dass Mozart in den Jahren 1778 und 1781 in Paris und München seine Erfahrungen als Ballettkomponist gesammelt hatte: Es beruht auf einem Tanz im punktierten Rhythmus „alle française“, den man – je nach Tempo – als Sicilienne, Forlane oder Gigue deuten kann. Vorboten des überaus einprägsamen Themas finden sich schon in Mozarts Violinsonate KV 377, doch auch eine Anspielung auf das Es-Dur-Quartett aus Haydns Opus 33 mag sich dahinter verbergen. Das melodische Espressivo und der Tanzrhythmus steigern sich im Lauf der Variationen zu größter Intensität, bis sie in der schnellen Coda fast gespenstische Züge annehmen – der Don Giovanni wirft seinen Schatten schon voraus.

ALTERNATIVER TEXT:

Wollte man für Mozarts d-Moll-Quartett, KV 421, einen Beinamen erfinden, es müsste „Geburtswehenquartett“ heißen. Mozart brachte es zu Papier, während er an der Seite seiner Frau Constanze Wache hielt während ihrer ersten Niederkunft. Man schrieb den 17. Juni 1783. Nachts um halb Zwei begannen die Wehen, „folglich war es mit dieser Nacht um alle Ruhe getan“. Bis der kleine Raimund Leopold gegen halb Sieben das Licht der Welt erblickte, harrte Mozart an der Seite seiner Frau aus und lenkte sich mit der Niederschrift des d-Moll-Quartetts ab. Constanze berichtete diese Geschichte später ihrem zweiten Gemahl, dem dänischen Diplomaten Nikolaus von Nissen, der sie in seiner Mozartbiographie folgendermaßen erzählt:

„Zur Zeit, als seine Frau zum ersten Mal in Kindesnöthen war, arbeitete er sogar an dem zweyten der sechs Quartetten, welche er 1785 Joseph Haydn widmete. Diese Umstände waren gewiss nicht zum Notendenken geeignet, da er nie am Claviere componirte, sondern die Noten zuvor schrieb und vollendete, und sie dann erst probirte; und dennoch belästigte ihn nichts, wenn er in dem Zimmer arbeitete, wo seine Frau lag. So oft sie Leiden äusserte, lief er auf sie zu, um sie zu trösten und aufzuheitern; und wenn sie etwas beruhigt war, ging er wieder zu seinem Papier. Nach ihrer Erzählung wurden der Menuett und das Trio gerade bey ihrer Entbindung componirt.“

Mit seinen sechs Quartetten KV 387, 421, 428, 458 sowie 464-465 setzte Mozart wie schon angedeutet seinem verehrten Komponistenfreund Joseph Haydn ein Denkmal. Angeregt durch dessen Opus 33 begann er an Weihnachten 1782 einen eigenen Quartettzyklus, der erst drei Jahre später vollendet war. 1785 beförderte er ihn im Wiener Verlag Artaria als sein Opus 10 zum Druck und widmete ihn „seinem lieben Freund Joseph Haydn“. Seitdem werden die sechs Werke volkstümlich Mozarts „Haydn-Quartette“ genannt. In den bewegenden Worten seiner Zueignung „al mio caro amico Haydn“ betonte Mozart, wie sehr ihm Haydns Streichquartette Leit-stern und Inspiration gewesen waren. Seine eigenen Quartette nannte er Kinder, die er unter dem Schutz des großen Mannes in die Welt entlasse. Zugleich gestand er, dass sie „il frutto di una lunga, e laboriosa fatica“ seien, die Frucht einer langen, mühsamen Arbeit. Ausführliche Skizzen zu den Quartetten lassen diese Mühsal erahnen.

Da Mozart selbst ein leidenschaftlicher Quartettspieler an Geige und Bratsche war, kam er in seiner Widmungsvorrede auch auf die ersten Aufführungen der Quartette in Wien zu sprechen. Haydn selbst habe nach diesen Aufführungen „bei seinem letzten Aufenthalt in Wien“ seine Zufriedenheit mit den Stücken zum Ausdruck gebracht. Mozart spielte damit auf zwei denkwürdige Quartettabende in seinem Hause an: Am 15. Januar und 12. Februar 1785 hatte er den Freund zu sich eingeladen, um ihm zuerst die drei früheren Quartette von 1782/83, dann die drei erst jüngst komponierten vorzuspielen. Leopold Mozart spielte die erste, sein Sohn die zweite Geige, Viola und Cello lagen in den Händen der Freiherren Anton und Bartholomäus Tinti.

Das d-Moll-Quartett und seine Schwesterwerke beeindruckten Haydn damals so sehr, dass er Vater Mozart sein berühmtes Kompliment über den Sohn machte: „Ich sage ihnen vor gott, als ein ehrlicher Mann, ihr Sohn ist der größte Componist, den ich von Person und den Nahmen nach kenne: er hat geschmack, und über das die größte Compositionswissenschaft.“

Im ersten Satz von KV 421 steht Mozarts „Compositionswissenschaft“ unverkennbar unter dem Eindruck der Bachfamilie, deren Musik er 1782/83 im Kreis des Barons van Swieten studiert hatte. Die Melodik ist wie in den Werken Carl Philipp Emanuel Bachs vom „redenden Prinzip“ durchdrungen. Sie wirkt deklamatorisch schon in den weit ausholenden Gesten der ersten Violine zu Beginn, besonders aber in der gleichsam stockenden Überleitung. Nur das Seitenthema entfaltet wienerisch-klassische Gesanglichkeit. In der Durchführung staut sich durch Bachschen Kontrapunkt und extreme Vorhaltsdissonanzen eine Spannung auf, die sich erst in einer Quintfallsequenz befreiend löst. Die Reprise verharrt durchweg in Moll und endet in einem Ton tragischer Resignation, den man schon „Schubertisch“ nennen könnte. Mozarts Zeitgenossen spürten das hohe Pathos dieses Satzes. Der Musiktheoretiker Momigny unterlegte dem ersten Thema die Klage der Karthagerkönigin Dido nach Vergil.

Im Andante wird Pathos durch ein subtiles Spiel mit Licht und Schatten, laut und leise ersetzt. Im weich-schwingenden Duktus des Sechsachteltakts meint man zunächst, eine idyllische Pastorale zu hören. Doch rasch gerät der melodische Fluss ins Stocken und pendelt unentschieden zwischen zögerlichem Aufblühen, „sprechenden“ Pausen und wiegendem Sich-Aussingen hin und her. Die Lautstärke changiert ständig zwischen Piano und zaghaften Ansätzen zum Forte, die Harmonik schweift immer weiter in Mollregionen ab, was sich im Mittelteil kurz, aber heftig entlädt.

Der barockste Satz ist das Menuett. In seinen Exclamatio-Figuren über dem Lamentobass der Barockzeit spiegelt es angeblich die Schmerzensschreie der Constanze Mozart bei der Entbindung 1783 wider. Wäre nicht der oben zitierte Bericht, man würde eine solche Assoziation für absurd halten. Umso friedfertiger ist das Trio, eine Serenade in D-Dur mit Pizzicato-Begleitung – vielleicht ein Willkommensgruß für den neuen Erdenbürger Raimund Leopold. „Ich gratuliere, Sie sind Gros-Papa!“ schrieb Mozart an seinen Vater. „Gestern früh … ist mein liebes Weib glücklich mit einem großen, starken und kugelrunden Buben entbunden worden.“

Das Variationenfinale kehrt zum düsteren Tonfall des ersten Satzes zurück. Sein Thema erinnert daran, dass Mozart um 1780 in Paris und München seine Erfahrungen als Ballettkomponist gesammelt hatte, denn es beruht auf einem Tanzrhythmus „alla française“, den man je nach Tempo als Sicilienne, Forlane oder Gigue deuten kann. Vorboten des Themas finden sich bereits in der Violinsonate KV 377, aber auch in Haydns Opus 33,2. Das melodische Espressivo und der Tanzrhythmus steigern sich im Laufe der Variationen zu größter Intensität, bis sie in der schnellen Coda fast gespenstische Züge annehmen – Don Giovanni ante portas!