Streichquartett C-Dur (1920) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Engelbert Humperdinck

Streichquartett C-Dur (1920)

Quartett C-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello (1920)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3048

Satzbezeichnungen

1. Allegro moderato

2. Gemächlich – Mit inniger Empfindung

3. Lebhaft

Erläuterungen

In den späten Lebensjahren von Engelbert Humperdinck ereignete sich eine Ehrung, die seinen Stellenwert im Musikleben der beginnenden Moderne bezeichnet: Im Februar 1914 nahm die römische “Accademia di Santa Cecilia” sieben neue Ehrenmitglieder auf: Debussy, Saint-Saëns, Elgar, Strauss, Goldmark, Pedrell und Humperdinck. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs zogen die Italiener ein Resümee der deutschen und französischen Musik: Neben die Propheten des Neuen wie Strauss oder Debussy erwiesen sie auch den Spätest-Romantikern Saint-Saëns und Humperdinck die Ehre. 21 Jahre nach der Uraufführung von “Hänsel und Gretel” war der Komponist aus Siegburg noch keineswegs vergessen.

Weitere Ereignisse aus seinen letzten Lebensjahren unterstreichen den Eindruck, dass sich der damals fast sechzigjährige Meister eher auf der Höhe denn im Nachklang seines Ruhms befand: die Uraufführung seiner “Königskinder” in der Opemfassung 1910 in New York, die Zusammenarbeit mit Max Reinhardt am Deutschen Theater Berlin, die Nachfolge Bruchs an der Berliner Musikhochschule. Viele dieser Aktivitäten deuten auf die Bühne hin, auf die er sich – neben dem Lied – seit den 1880-er Jahren konzentrierte. Umso überraschender mutet es an, dass er ein Jahr vor seinem Tod 1920 ein Streichquartett in Angriff nahm. Neben den rührend sentimentalen letzten Liedern war dies sein Schwanengesang – das erste Stück großer Kammermusik, das er seit dem Klavierquintett von 1875 schrieb, und sein einziger Beitrag zum Genre des Streichquartetts.

Diese überraschende Hinwendung zur Innigkeit und Innerlichkeit des Streichquartetts hatte wohl biographische Gründe: Nach dem Tod seiner Frau 1916 und angesichts eines ersten Schlaganfalls zog sich Humperdinck 1920 aus dem Staatsdienst zurück. Das Streichquartett ist also das Werk eines Rentiers, ein Rückzug auf den privaten Raum, den sich Humperdinck in seiner Villa in Boppard am Rhein geschaffen hatte. Zugleich ist es ein rührender Abgesang auf die deutsche Romantik. Erst 1937 veröffentlichte der Schottverlag dieses bescheidene Meisterwerk aus dem Manuskript.

In drei ebenso schlichten wie ergreifenden Sätzen hat der alte Humperdinck hier sein letztes Wort zum Thema “Romantik” gesprochen. Es verwundert nicht, dass seine Fähigkeit zu kindlich-unschuldigem Ausdruck auch diesen Schwanengesang zu einem Spiegel seiner Märchenopern macht.

Der erste Satz ist der bedeutendste: ein ausgewachsenes, wenn auch knappes Allegro moderato in Sonatenform, dessen drei Themen deutlich genug voneinander abgesetzt und schlicht genug formuliert sind. Der wunderbare Bogen des Hauptthemas, zuerst von erster Geige und Cello unisono vorgestellt und sich dann in virtuose Soli auflösend, durchzieht den Satz bis in die Schlussgruppe hinein. Der weiche, pastose Klang und das selige Singen des Anfangs bleiben auch im kindlich-schlichten Seitenthema bestimmend, aus dem sich ein drittes, etwas kesseres Staccatomotiv entwickelt. Die Sonatenform gibt dem Satz traditionellen Zuschnitt bis hin zum wunderbar in der Höhe verklingenden C-Dur-Schluss.

Der zweite Satz, halb Scherzo, halb langsamer Satz, beginnt mit einer Kuriosität: einem Bratschensolo ohne jede Begleitung. Fast wie ein Kind beim Spielen pfeift die Bratsche ihr Liedchen vor sich hin. Wenn es die anderen aufgreifen, tun sie es mit gezupften Saiten, woraus ein herrliches Nachtstück, eine Serenade, entsteht. Im pastosen Mittelteil ersetzt das geheimnisvolle Des-Dur das F-Dur der Rahmenteile. Mit inniger Empfindung singt sich die erste Geige bis in die hohe Lage hinein aus. Die Reprise des Liedchen aus dem Hauptteil verwandelt sich in ein Doppelfugato, aus dem am Ende unversehens noch einmal das innige Geigenthema des Mittelteils hervortritt. Tänzerisch und unprätentiös schließt das Quartett mit einem Reigen, der vom punktierten Rhythmus eines Geigenthemas beherrscht wird.

Karl Böhmer