"Dye not before thy day?" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

John Dowland

"Dye not before thy day?"

“Dye not before thy day”

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3358

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

2004
JOHN DOWLAND
Songs and Ayres

“Ein nacktes Ayre ohne jede Führung, Stütze oder Farbe außer seiner eigenen wird leicht von jede, Ohr beurteilt und braucht umso mehr Erfindungskraft, um zu gefallen. “ Mit diesen Worten verteidigte der englische Lautenist Thomas Campion 1601 die Ayre, das Lautenlied, gegen seine Gegner, die sich auf den Mangel an Kontrapunkt beriefen, wo es doch einzig um schöne Melodie und den angemessenen Ausdruck der Worte ging. Fast alle Komponisten von Lautenliedem waren Lautenisten und nicht Sänger wie in Italien, und sie bewahrten in der Lautenbegleitung ihrer Books of Ayres and Songs eine gewisse Unabhängigkeit der Begleitstimmen. Als John Dowland 1597 sein bald rasend erfolgreiches First Booke of Songes or Ayres herausgab, dem unsere Auswahl an Dowland-Liedern hauptsächlich entlehnt ist, trat das Lautenlied in seine Blütezeit ein. Von 1597 bis 1620 wurden über 30 Bücher publiziert, die jeweils ca. 20 Lieder enthielten.

“To see, to touch, to kiss, to dye in sweelest sympathy’ heißt es in John Dowlands berühmtem Lied Come again. Deutlicher ist die Steigerung Stufe um Stufe hin zum Höhepunkt erotischer Ekstase in der englischen Musik kaum je beschrieben worden. Man könnte meinen, Dowland sei mit “Shakespeare in Love” eines Sinnes gewesen, wenn es um die Liebe ging. Das Gegenteil war der Fall.

Semper Dowland, semper dolens – “Immer Dowland, immer in Schmerzen” hat Dowland selbst eine seiner Pavanen für Laute genannt, denn er war ein tief melancholischer Charakter. Elizabethan Melancholy nennt man dieses Phänomen, eine Versenkung in die Vergänglichkeit alles Irdischen, die von den englischen Adligen der elisabethanischen Zeit gleichsam als ästhetisches Prinzip geübt wurde. Etwas davon steckt auch in Dowlands Liedern, doch seine Melancholie hatte viel tiefere biographische Gründe. Obwohl er anerkanntermaßen der virtuoseste Lautenist seinerzeitwar und schon als junger Mann vor der Königin spielte, hat Elisabeth 1. ihm den Posten eines Hoflautenisten lebenslang verweigert. Erst im hohen Alter erhielt Dowland diese Stelle von ihrem Nachfolger James 1. Diese Tatsache allein vergellte Dowland das Lebensglück.

Warum die Königin unnachgiebig war, wissen wir nicht. Es könnte daran gelegen haben, dass Dowland offen bekennender Katholik war, oder dass er in einen Skandal verstrickt war, was Königinnen normalerweise nicht verzeihen. Jedenfalls verließ Dowland aus Gram über die abgelehnte Bewerbung England und verdingte sich bei verschiedenen Fürsten auf dem Kontinent als Hoflautenist. Besonders gefördert wurde er vom Markgrafen Moritz von Hessen-Kassel und vorn Dänenkönig Christian IV, der damals auch halb Norddeutschland beherrschte. Von Hessen bzw. Dänemark aus betreute Dowland den Druck seiner Lautenlieder in England. Sie waren bald überaus erfolgreich und wurden auch von Dichtern als “Vermählung zwischen Musik und süßer Poesie” gefeiert.

“Tränen” waren Dowlands Markenzeichen auch auf dem Kontinent. Als er sich um 1600 in Nümberg ins Gästebuch eines Freundes eintrug signierte er mit “Johannes Dolandi de Lacrimae”, also, John Dowland “von den Tränen”. Dies war eine Anspielung auf die Sammlung Lacrimae oder sieben Tränen ausgedrückt in sieben tief empfundenen Pavanen. Wir hören die erste dieser Pavanen in der Fassung als Lied “Flow my tears”. Liest man den Text, hat man sozusagen die Lebensphilosophie von Dowland vor sich: die unversöhnliche Trauer eines Mannes, der trotz aller Ehren, die ihm zuteil wurden, nie glücklich wurde. Diese erste Lacrimae-Pavane bzw. ihr Anfang, das Motiv der fallenden Träne, war im 17. Jahrhundert so berührnt wie 350 Jahre später das Yesterday der Beatles.
“I saw my lady weepe” und “Dye not befpre thy day” sind ebenso ergreifende “Songs of darkness” wie “Folw my tears”. Diana Poulton, die 1972 eine Dowland-Biographie veröffentlichte, hat sie anschaulich beschrieben:” Die eigenwillig-schöne Melodie entsteht aus den Worten mit einem Gefühl von Unausweichlichkeit, … beißende Dissonanzen der Laute verstärken die Tragödie in den Worten, und Akkorde mit übermäßigen und verminderten Intervallen werden benutzt, um emotionale Intensität in einem Grade auszudrücken, der in dieser Zeit unübertroffen ist. “ Diesen Zeugnissen des schmerzensreichen Dowland stehen in unserer Auswahl auch entzückende Genrebilder gegenüber wie “Fine knacks for ladies” oder ein Tanzlied wie “Can she excuse my wrongs”, das Dowland auch als Galliard, also Tanzsatz für Laute alleine geschrieben hat. An beides – Lied und Lautensatz – knüpft sich eine hübsche Anekdote. Nachdem Essex’ berühmte Verschwörung gegen seine frühere Gönnerin Königin Elisabeth fehlgeschlagen war, bestellte er bei Dowland das Lied mit dem Titel “Can she excuse my wrongs? “ (Kann sie meine Fehler verzeihen?). Er wollte so die Gnade der Königin erflehen. Doch das herrliche Stück, das Dowland in der Instrumentalfassung The Earl of Essex his Galliard nannte, konnte Elisabeth nicht erweichen. Essex wurde hingerichtet.