"Die Nacht" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Franz Schubert

"Die Nacht"

„Die Nacht“ (o. op.)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3362

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

2004
FRANZ SCHUBERT
Neun Lieder

Gerne erinnerte sich um 1860 der Präsident des Oberlandesgerichts in Preßburg, Johann Carl Ritter von Umlauff, an seine Jahre als junger Jurist in Wien, als er an der Seite Franz Schuberts so manchen musikalisch anregenden Abend verlebte. In seinen Erinnerungen hat uns Umlauff eine köstliche Szene überliefert, die belegt, dass Schubert gegen Aufführungen seiner Gesänge zur Gitarre nichts einzuwenden hatte. Umlauff berichtet, wie er dem Komponisten dessen „oft frisch gesetzte Lieder mit Begleitung der Gitarre“ vorgetragen habe, womit Schubert durchaus einverstanden war, nicht aber mit den Änderungsvorschlägen seines allzu eifrigen Interpreten. „Im Streite über den musikal. Ausdruck einzelner Worte“ blieb der Komponist uneinsichtig: „der äußerst starrsinnige“ Schubert habe sich nie zu „einer Abänderung des einmal Gesetzten verstehen wollen“, so vermerkte der hoch betagte, inzwischen geadelte Gerichtspräsident etwas ‚indegniert in den kurz vor seinem Tode niedergeschriebenen Erinnerungen Leben und Wirken eines österreichischen Justizmannes (Wien 1861).

Der aus Mähren stammende Umlauff, der eigens bei Schuberts Tenorpartner Vogl Gesangsstunden nahm,war nicht der einzige Schubertfreund, der zu des Meisters Gesängen den Gitarrenklang bevorzugte. Obwohl kein einziges Lied Franz Schuberts mit einer authentischen Gitarrenbegleitung erhalten ist, gibt es genügend Zeugnisse aus seinem Wirkungskreis, die auf regen Gebrauch der Gitarre beim Singen seiner Lieder schließen lassen. Dies begann schon im Familienkreis. Ein frühes Terzett, das er zum Namenstag seines Vaters schrieb, ließ Schubert selbst von der Gitarre begleiten. Im Freundeskreis war das Lieblingsinstrument des Biedermeier dann omnipräsent. Dies zumindest suggeriert die Radierung Ballspiel in Atzenbrugg, die den Schubertkreis bei einem geselligen Nachmittag zeigt. Darauf ist einer der Freunde, Gahy, an der Gitarre dargestellt. Schubert soll auch selbst eine Gitarre aus der Werkstatt Staufers besessen haben, jenes Instrumentenbauers, für dessen Erfindung einer Bogenguitarre der Komponist seine sogenannte „Arpeggionesonate“ geschrieben hat.

Genübend Belege also, die rechtfertigen, Schubertlieder zur Gitarre zu singen. Entsprechende Bearbeitungen der authentisclien Klavierbegleituligen sind für einige Lieder schon zu dessen Lebzeiten veröffentlicht worden. Darunter waren so verwegene Fassungen wie die des Erlkönigs oder der jungen Nonne. Die Auswahl, die unsere Interpreten getroffen haben, konzentriert sich auf frühe Schubertlieder und solche aus der Schönen Müllerin. Die Gitarrenfassungen stammen wieder von Tilman Hoppstock.

Als junger Liedkomponist klammerte Schubert seine ganze Hoffnung und sein höchstes Ideal an Goethe – vergeblich, wie wir wissen. Auf die Übersendung eines Goethe-Liederheftes im April 1816 reagierte der Dichterfürst im fernen Weimar ebensowenig wie auf die spätere Berühmtheit einiger Goethe-Lieder Schuberts, besonders des Erlkönig. Ein zweites Goethe-Liederheft stellte Schubert zwar noch zusammen, ließ es aber angesichts des eisigen Schweigens des Meisters liegen.

Seiner Begeisterung für die Lyrik des Klassikers tat dieser Rückschlag keinen Abbruch. In den frühen Liederheften, die Schubert nach dem Erfolg des Erlkönig bei renommierten Wiener Verlagen herausbrachte, dominiert Goethe eindeutig. Wir hören aus dieser Gruppe Der König in Thule aus dem Faust I, das Heidenröslein und Meeres Stille. Bei letzterem handelt es sich um ein Goethe-Gedicht, das zusammen mit seinem Gegenüber Glückliche Fahrt von Beethoven für einen Chorsatz und von Mendelssohn für eine Orchesterouvertüre verwendet wurde.Die schlichte Liedfassung des 18-jährigen Schubert entstand 1815 und wurde sechs Jahre später zusammen mit dem Heidenröslein in dessen Opus 3 veröffentlicht. Anfang 1816 vertonte Schubert die Ballade vom König in Thule aus dem Faust I. In einer Abschrift steht über dem Lied „romanzenartig“, was den Einsatz einer Gitarre in besonderer Weise rechtfertigt, stellte man sich unter „Romanze“ doch ein schlichtes, zur Gitarre gesungenes Lied im Volkston vor. Ähnliches gilt für das Heidenröslein, dessen Begleitung schon auf dem Klavier gitarrenhaft wirkt.

Das Lied Die Nacht, D 534, wird in der Idealvorstellung des Dichters von einem schottischen Barden gesungen, also zur Harfenbegleitung, was wiederum eine Übertragung auf die Gitarre nahelegt. Das zweite Nachtstück unserer Auswahl, das Schubert 1825 unter diesem Titel in seinem Opus 36 herausgab, ist eines seiner zahlreichen Lieder über Verse seines Intimus Johann Mayrhofer. Es entstand während ihrer gemeinsamen Zeit 1819, als die beiden hoffnungsfrohen Jung-Romaiitiker in Wien Wohnung und künstlerische Ideale teilten. Auch diesem Stück liegt die Vorstellung einer serenadenhaften Begleitung durch Gitarre zugrunde, die Schubert im Klavierpart imitierte.

Die düster-feierlichen Akkorde, mit denen das berühmte Lied Der Tod und das Mädchen nach Matthias Claudius anheben, verbinden sich für Schubertfreunde im allgemeinen mit dem Klang eines Streichquartetts, da sie der Komponist für den langsamen Satz seines d-Moll-Quartetts, D 810, verwendete. Auf der Gitarre gespielt, verkehren sie sich in das Vorspiel zu einer gespenstischen Ballade, die das Lied in seinem Wechselgesang zwischen dem Mädchen und dem leibhaftigen Tod ja auch ist.

Die übrigen drei Lieder unserer Auswahl stammen aus der Schönen Müllerin, Schuberts erstem Liederzyklus nach Wilhelm Müller, der zugleich der erste Liederzyklus der Romantik war. im Herbst 1823 komponiert, wurde er 1824 in fünf Heften veröffentlicht. So wenig wahrscheinlich es ist, dass jeder Käufer dieser Ausgaben alle fünf Einzelhefte erwarb, so wenig Interesse hatte man damals an einer Gesamtaufführung des Zyklus. Diese besorgte erst 1856 der Bariton Julius Stockliausen in Wien. Typisch für Schuberts Zeit war eher die Aufführung einzelner Lieder aus der Serie in gemischten Zusammenstellungen, wie es in unserem Programm geschieht. Wir hören das Eröffnungslied Das Wandern ist des Müllers Lust, die Nr. 2 Wohin (Ich hört’ein Bächlein rauschen) und die Nr. 5 Am Feierabend (Hätt‘ ich tausend Arme zu rühren).

Die gebrochenen Dreiklänge in den Klavierbegleitungen dieser drei Lieder lassen sich leicht dem Klang und der Spieltechnik der Gitarre anpassen, ja sie suggerieren schon auf dem Klavier das Zupfinstrument. Schon früh hat man deshalb damit begonnen, die „Müllerlieder“ in Gitarrenfassungen zu singen, vielleicht auch wegen der Vorstellung vom wandernden Müllerburschen, der sich singend selbst auf der Gitarre begleitet. Jedenfalls kündigte die Zeitschrift Lyra in Freiburg, nachdem sie 1824 drei Lieder aus dem Zyklus in Gitarrenversionen herausgebracht hatte, eine Gitarrenbearbeitung der gesamten Schönen Müllerin an. Ob diese jemals herauskam, wissen wir nicht. Tilman Hoppstock spielt zu Christoph Prégardiens Gesang eigene Fassungen der Lieder.