"Ronde" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Maurice Ravel

"Ronde"

„Ronde“ pour coeur mixte

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3374

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

2004
MAURICE RAVEL
Trois Chansons (1914/15)

„Ja, ich arbeite, und mit der Sicherheit und Hellsicht eines Verrückten. Aber währenddessen arbeitet der Trübsinn auch, und plötzlich breche ich über meinen ganzen B-Vorzeichen in Tränen aus!“ Am 4. August 1914, vier Tage, nachdem in Frankreich die Sturmglocken den Beginn des Ersten Weltkriegs angezeigt hatten, schrieb Maurice Ravel diese Zeilen an seinen Freund Maurice Delage. Nur wenige Monate später, im Winter 1914/15, schrieb er die Trois Chansons für gemischten Chor auf eigene Texte. Es handelt sich um eine Hommage an die französische Chanson des 16. Jahrhunderts, um Werke einer hochpoetischen „Neo-Renaissance“. Im Rückzug Ravels auf die romantische Klangpoesie und Stil-Nachempfindung dieser Stücke wird man eine bewusste Abwehr jener dunklen Schatten spüren, die der Kriegsausbruch über den Komponisten gebracht hatte: „Seit vorgestern diese Sturmglocke, diese weinenden Frauen und vor allem der grauenhafte Enthusiasmus der jungen Leute… Sie glauben, ich arbeite nicht mehr? Ich habe nie so viel mit einer verückteren und heroischeren Wut gearbeitet.“

Im zweiten Lied, dem himmlisch schönen Trois beaux oiseaux du paradis (Drei schöne Paradiesvögel) hat Ravel auf überaus schlichte Weise die Ängste seiner Zeitgenossen im Krieg eingefangen: Ein Mädchen sieht drei Vögel aus dem Paradies vorüberfliegen, einen blauen, einen weißen und einen roten. Es sind die Farben der Trikolore, die sie daran erinnern, dass ihr Freund für Frankreich in den Krieg gezogen ist. Ein Solosopran singt über den verschwimmenden Konturen liegender Chorakkorde das volkstümlich schlichte Lied des klagenden Mädels. Sie fragt die Vögel, was sie ihr bringen; nacheinander antworten ein Tenor, ein Alt und ein Bariton auf die Frage: der blaue Vogel bringt das strahlende Blau des Himmels, also der Augen des Geliebten, der weiße das glänzende Weiß der Stirn, dem das Mädchen einen Kuss geben soll. Der rote Vogel aber bringt das Herz des gefallenen Freundes. Das Mädchen erstarrt und bittet die drei Vögel, auch ihr Herz mitzunehmen. Als „Streicherbegleitung“ hat Sylvain Cambreling die wundervollen Akorde des Chors bezeichnet, über denen sich die Soli in himmlisch süßem Gesang entfalten.

Die Außenteile des kleinen Zyklus lassen die Kriegsereignisse vergessen: Nr. 1, Nicolette, erzählt die Geschichte eines Mädchens, das sehr viel Ähnlichkeit mit dem Rotkäppchen hat. Nr. 3 Rondes ist ein Rundgesang, in dem stets die Männer den Frauen antworten: zuerst die alten Männer den alten Frauen, dann die Jungen den Mädchen. Es geht um die Liebe im Wald, die die Frauen verweigern, was den Männern selbstverständlich zu schaffen macht. Im Grunde handelt es sich aber nur um ein gigantisches Wortspiel: Ravel bat seine Freunde Jean-Aubry und Roland-Manuel alle ihnen bekannten Worte aus dem Französischen zusammenzustellen, die mit dem Wald zu tun haben. Dabei kam dann ein Wortungetüm heraus wie etwa: „hamadryades, dryades, naïades, ménades, thyades, follettes, lémures, gnomides, succubes, gorgones, gobelins“. Dabei geht es – im rasend schnellen Tempo des Rundgesangs vorgetragen und für eher träge deutsche Zungen hart an der Grenze des Singbaren – um die Wirkung der Silben mehr denn um ihren Gehalt. Das Ganze ist ein großer Spaß in tänzerischem Rhythmus, eine Hommage an die wortmalerischen Chansons des Clement Jannequin und die leicht obszöne Chanson grivoise der französischen Renaissance.