Klavierquartett "Rotazione 9" (Kristall) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Jan Kapr

Klavierquartett "Rotazione 9" (Kristall)

„Rotazione 9“ (Kristall) für Violine, Viola, Violoncello und Klavier

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3485

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

2004
JAN KAPR
Rotazione 9 (Kristall)

Nur wenige Komponisten dürften bei den Olympischen Spielen eine Medaille gewonnen haben. Dem in Prag geborenen Jan Kapr gelang dies 1948 in London – nicht etwa dank sportlicher Höchstleistungen, sondern dank der Musik. Sein symphonisches Scherzo Marathon erschien dem Olympischen Komitee als eine so überzeugende Umsetzung der anstrengendsten aller Laufstrecken von Kilometern in Töne, dass man dem Tschechen dafür eine Medaille verlieh.

Damals, in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg, komponierte Kapr noch ganz „national-tschechisch“, d.h. spätest-romantisch, wie es sich für einen überzeugten Kommunisten in der jungen Tschechoslowakei gehörte. Kantaten für den Aufbau des Sozialismus und Massenlieder bildeten in jenen Jahren sein kompositorisches Pensum zum Wohle der Nation. Die frühen 60er Jahre brachten erste Anzeichen des Wandels. Mit der politischen Tauwetterperiode wurden auch die Kompositionsweisen hinter dem eisernen Vorhang westlicher, d.h. der Avantgarde zuneigend. Jan Kapr, damals Kompositionsprofessor am Brünner Konservatorium, verabschiedete sich von der Tonalität und dem Übergewicht der tschechischen Folklore und wurde abstrakter.

Er entdeckte – als erster in Tschechien – die elektronische Musik, spielte mit neuen Instrumenten-Kobinationen und entwickelte seine eigene Variante des seriellen Komponierens, das Arbeiten mit sog. „Konstanten“, einer Form von Reihen. All dies schlägt sich in seinem Schaffen vor 1968 nieder, bis das blutige Ende des Prager Frühlings dem überzeugten Kommunisten Kapr alle Illusionen raubte. Nach dem Einmarsch der Russen trat er aus der Partei aus, gab den Staatspreis zurück und durfte fortan im eigenen Lande nicht mehr gespielt werden. Der Westen interessierte sich mehr für die experimentellen Werke des Meisters denn für seine 10 Sinfonien. So bleibt Kapr, der kurz vor dem politischen Umschwung 1988 starb, bis heute ein weitgehend unentdeckter Sinfoniker.

Im kleinen Genre hat er einerseits Kammermusik mit Singstimme geschaffen (Übungen für Gydli und Dream Book für Sopran, Flöte und Harfe), andererseits originelle Kombinationen vom Duo bis zum Quartett. Zu den Quartetten gehört Rotazione 9 für Klavierquartett aus dem Jahre 1967. Ist schon die Vorstellung einer Rotation in dieser Musik anschaulich umgesetzt, so offenbart der Untertitel Kristall noch weitere Dimensionen des Stücks: kristalline Klangfarbe und Struktur. Tremolo und Glissando, Pizzicato und Col legno der Streicher lassen an das durchscheinende Material von Kristallen denken, die Figuren, die sich wie Tontrauben um eine Achse ranken, an ihre Form. Der Komponist schrieb dazu: „Der Verlauf der Komposition entspricht in Klangfarbe und Dynamik der verschiedenen Intensität des Lichtes und seinem Einfallswinkel auf den Flächen des Kristalls, in der Bewegung dem veränderlichen Tempo der Rotation.“ Die Neun im Titel spielt darauf an, dass Kapr dem Werk neunteilige Reihen zugrundelegte, „der Kristall ist in diesem Fall also neunkantig“.