Streichquartett B-Dur, op. 67 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johannes Brahms

Streichquartett B-Dur, op. 67

Quartett B-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, op. 67

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 362

Satzbezeichnungen

1. Vivace

2. Andante

3. Agitato (Allegretto non troppo) – Trio

4. Poco Allegretto con Variazioni – Doppio Movimento

Erläuterungen

Johannes Brahms näherte sich dem Streichquartett noch weniger unbefangen als anderen kompositorischen Aufgaben. Zwar pries Robert Schumann schon 1853 die Streichquartette des jungen Hamburger Komponisten als “verschleierte Sinfonien”, doch von dieser prophetischen Äußerung bis zur Publikation seiner ersten Quartette vergingen zwanzig Jahre. Offenbar wurde für Brahms im Quartett nicht nur die klassische Tradition, sondern vor allem die Satztechnik zum Problem: “Es ist nicht schwer, zu komponieren, aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen”, schrieb er seinem Freund Theodor Billroth 1873, während der Arbeit an seinen ersten beiden publizierten Quartetten, op. 51.

Anlässlich der Widmung dieser Werke an den berühmten Wiener Chirurgen sprach er denn auch humorvoll von einer “Zangengeburt”, für die ein Arzt dringend erforderlich gewesen sei. Denn die mehr als zwanzig Streichquartette, die Brahms bis zu diesem Zeitpunkt schon geschrieben und wieder vernichtet hatte, ergeben eine Dunkelziffer, die selbst seine drei frühen, vernichteten Violinsonaten oder seinen langen Anlauf zur Symphonie an skrupulöser Umständlichkeit übertrifft.

Zwei Jahre später wandte er sich dem Genre noch einmal zu, und wieder widmete er das fertige Werk – sein B-Dur-Quartett, op. 67 – einem Arzt: Dr. Ulrich Engelmann in Utrecht. Dem Widmungsträger schrieb er freilich beruhigend: “Es handelt sich um keine Zangengeburt mehr; sondern nur ums Dabeistehn.” Das solcherart ohne Komplikationen zur Welt gebrachte Geisteskind nimmt sich im Tonfall und in der Form “leichter” aus als die beiden Werke des Opus 51 (wenn von “leicht” bei Brahms überhaupt die Rede sein kann). Seine geistigen Väter waren nicht mehr – wie im früheren Opus – Beethoven und Schubert, sondern Mozart und vor allem Haydn.

Haydns auf Klarheit und Witz ausgerichteter Quartettstil hat hier unverkennbar Pate gestanden. So wechseln im Kopfsatz mehrmals 6/8- und 2/4-Takt einander ab. Der zu erwartende Konflikt zwischen den beiden Metren wird in der Coda des Satzes auf einen berstend komischen Höhepunkt geführt. Das Vivace ist auch sonst bester Laune, was es dem agilen Hauptthema mit seinen Hornquinten in Bratsche und zweiter Geige zu verdanken hat Karl Laux hat aus diesem Anfang vielleicht nicht zu Unrecht “Ziegelhausener Lokalkolorit” herausgehört, denn die Sommersonne, die Neckarlandschaft und das badische Volksliedgut in dem Heidelberger Vorort haben Brahms auch in den Liedern jenes Sommers 1875 erkennbar beschäftigt.

Der zweite Satz, Andante überschrieben, ist einer der idyllischsten Sätze, die Brahms geschrieben hat. Eine 24 Takte lange Kantilene der ersten Violine, die im Tonfall unverkennbar an Mendelssohn erinnert, wird von einem barockisierenden Mittelteil in d-Moll abgelöst und kehrt anschließend variiert wieder (in D-Dur!). Die Reprise der Melodie ist – wie im gleichzeitig komponierten Adagio der Ersten Symphonie – so stark variiert, daß man sie auf Anhieb kaum erkennt.

Ein Unikum in der gesamten Quartettliteratur ist der dritte Satz, der das Scherzo vertritt, denn in ihm dominiert durchweg die Bratsche. Das Thema, eine ganz für das Instrument erfundene d-Moll-Melodie, wird in Form eines Sonatensatzes verarbeitet, wobei die anderen drei Stimmen mit gedämpftem Ton (con sordino) das Solo begleiten. Vor der Reprise kommt es zu einer kurzen Kadenz für Violine I und Viola, die beinahe schon Mahlers Spielmannsmusiken vorwegnimmt. Das Trio ist ein tastend sich vorwärtsbewegender Tanzsatz, wiederum mit Bratschensolo. Brahms hielt diesen Satz für das “Verliebteste, Zärtlichste”, was er je geschrieben habe.

Im Variationenfinale knüpfte er am deutlichsten an das Vorbild Haydns an. Ein fast burschikoses Allegretto-Thema (Laux sprach von einem Volkslied aus badischen Breiten) wird sechsmal variiert, wobei in den beiden letzten Variationen und in der Coda seine geheime Verwandtschaft mit dem Hauptthema des ersten Satzes offenbar wird. Ganz ähnlich wie im Finale seines Klarinettenquintetts hat Brahms hier das Prinzip der “entwickelnden Variation” zur graduellen Rückführung in die Musik des Kopfsatzes genutzt. “Nach dem Schlußstrich”, so noch einmal Karl Laux, war “Brahms in bester Laune” – zweifellos auch das Publikum, nachdem der letzte Takt verklungen ist.