Streichquartett G-Dur, D 887 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Franz Schubert

Streichquartett G-Dur, D 887

Quartett Nr. 15 G-Dur für zwei Violinen, Viola und Violoncello, D 887

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3626

Satzbezeichnungen

1. Allegro molto moderato

2. Andante un poco moto

3. Scherzo. Allegro vivace -Trio. Allegretto

4. Allegro assai

Erläuterungen

Franz Schubert anno 1826

Das Frühjahr 1826 begann für Franz Schubert wenig verheißungsvoll. Während sich seine Freunde Eduard von Bauernfeld und Johann Mayrhofer zu einer großen Wanderung nach Kärnten aufmachten, musste er in Wien bleiben, da er kein Geld hatte. Um sich abzulenken, zog er mit seinem Freund Moritz von Schwind hinaus in den Vorort Währing (heute XVIII. Bezirk), wo freilich der ewige Liebeskummer Schwinds und das Wetter keine rechte Inspiration aufkommen ließen. Missmutig schrieb er an die Freunde in Kärnten: „Ich arbeite gar nichts. – Das Wetter ist hier wirklich fürchterlich, der Allerhöchste scheint uns gänzlich verlassen zu haben, es will gar keine Sonne scheinen. Man kann im Mai noch in keinem Garten sitzen. Schrecklich! Fürchterlich!! Entsetzlich!!! Für mich das Schrecklichste, was es geben kann!“ Erst als Schubert im Juni nach Wien zurückkehrte, dort seinen alten Freund Anton von Spaun begrüßen konnte und an einer große Schubertiade teilnahm, kehrte die Inspiration zurück: Vom 20. bis 30. Juni 1826, in nur elf Tagen, schrieb er die Partitur des riesigen G-Dur-Quartetts nieder. Dem muss ungefähr ab Ende Mai eine Skizzierung in Particell-Form vorausgegangen sein, die nicht erhalten blieb.

Schubert, Beethoven und „Mylord“

Den entscheidenden Anstoß zu dem neuen Streichquartett gab ein Werk Beethovens: Am 21. März hatte Schubert die Uraufführung des B-Dur-Quartetts Opus 130 erlebt, und zwar in der Urfassung mit der Großen Fuge als Finale. Der Schock muss so groß gewesen sein, dass Schubert tatsächlich im April und Mai gar nichts arbeiten konnte. Noch im März 1826 hatte er einige seiner schönsten Lieder komponiert nach Gedichten von Seidl (Der Wanderer an der Mond, Am Fenster, Im Freien, Sehnsucht), Schulze (Im Frühling, Über Wildemann) und Schlechta (Fischerweise). Danach setzte sein Schaffen für drei Monate aus – bis zur Vollendung des G-Dur-Quartetts. Erst der Durchbruch mit diesem gewaltigen Werk brachte eine Art Befreiung: Im Sommer und Herbst 1826 entstanden seine Shakespeare-Lieder, die Nachthelle und die große G-Dur-Klaviersonate.

Dass Schubert die Uraufführungen der späten Beethoven-Quartette so intensiv verfolgte, hing mit Geiger Ignaz Schuppanzigh zusammen. Dieser hatte mit seinem Quartett 1824 Schuberts a-Moll-Quartett aus der Taufe gehoben, während er gleichzeitig mühevoll an der Einstudierung der späten Beethovenquartette arbeitete. Wegen seines Leibesumfangs nannte ihn Beethoven scherzhaft „Mylord Falstaff“. Als solcher taucht er in den Konversationsheften Beethovens auf, und zwar Anfang April 1826 neben dem Namen Schuberts. Karl Holz, der zweite Geiger im Schuppanzigh Quartett, hatte Schubert beim Hofrat Ignaz von Mosel getroffen und schrieb dem tauben Beethoven darüber einen kurzen Bericht nieder: „Er war sehr artig; hat sich zugleich bedankt für das Vergnügen, das ihm die Quartetten Mylords gemacht haben, er war immer zugegen. Für Lieder hat er viel Auffassungsgabe. Kennen Sie den Erlkönig? Er hat immer sehr mystisch gesprochen.“

Abgesehen von den schönen Details wie der „mystischen“ Redeweise Schuberts enthält dieser Bericht den entscheidenden Ausdruck: „die Quartetten Mylords“. Damit war die Quartettserie Schuppanzighs gemeint, bei der Beethovens späte Quartette uraufgeführt wurden. Schubert war „immer zugegen“, er versäumte also keine dieser Aufführungen. Nach dem Hörerlebnis des Opus 130 schien es ihm offenbar an der Zeit, selbst ein neues, experimentelles Streichquartett zu schreiben und es Schuppanzigh anzubieten.

Erste Aufführungen

Zur erhofften Aufführung des G-Dur-Quartetts durch Schuppanzigh ist es nicht gekommen. Schubert setzte seine Hoffnungen zunächst auf den Geigenvirtuosen Josef Slawjk aus Przibram in Mittelböhmen, der damals in Wien für Aufsehen sorgte. Anfang März 1827 schrieb Schubert darüber an seinen Komponistenfreund Franz Lachner: „Lieber Lachner, sey so gut, dem Überbringer dieses mein Quartett in G dur, Partitur sammt den ausgeschriebenen Stimmen zu übergeben, indem Slawik mir versprach, Mittwoch abends zu dir zu kommen.“ Der junge Geigenvirtuose, damals erst zwanzig Jahre alt, wollte das Quartett offenbar mit Wiener Kollegen einstudieren und bei Lachner zur Aufführung bringen. In dessen Wohnung beim Invalidenhaus auf der Wiener Landstraße wurden des öfteren Kammermusikabende veranstaltet. Falls Slawjk damals Wort hielt, fand am Mittwoch, 8. März 1827, in der Wohnung Franz Lachners die erste inoffizielle Aufführung des G-Dur-Quartetts statt.

Zu einer vollständigen öffentlichen Uraufführung ist es zu Schuberts Lebzeiten nicht mehr gekommen, wohl aber zu einer Aufführung des monumentalen ersten Satzes durch das Schuppanzigh-Quartett, freilich ohne seinen Primarius. Der war nämlich erkrankt, als Schubert Ende März 1828, acht Monate vor seinem Tod, sein einziges „Privatkonzert“ im Wiener Musikverein veranstaltete. Dieses gründlich geplante Konzert wurde mit dem Kopfsatz des G-Dur-Quartetts eröffnet, wobei der Geiger Joseph Böhm für den erkrankten Schuppanzigh einsprang. Nicht zufällig fand dieses Konzert auf den Tag genau ein Jahr nach Beethovens Tod statt, am 26. März 1828. Auch dadurch hat Schubert den Zusammenhang seines G-Dur-Quartetts mit Beethovens letzten Quartetten unterstrichen.

Ein Verleger fand sich vorerst nicht für dieses extremste Instrumentalwerk Schuberts. Als er es im Februar 1828 zusammen mit anderen neuen Werken dem Schottverlag anbot, wählten die Mainzer zwar einige andere Werke aus wie Impromptus für Klavier und vierhändige Stücke sowie Lieder, aber nicht das Quartett mit der Begründung: „Ihre Werke sind für einen Verleger alle so anziehend, dass die Wahl schwer ist.“ Zu groß und fremd erschien ihnen das G-Dur-Quartett.

Grand Quatuor, op. 161

Hätte der Schottverlag 1828 zugegriffen, wäre das G-Dur-Quartett weitaus früher bekannt geworden und hätte eine Opuszahl 101 oder 102 erhalten. So aber blieb es dem Hellmesberger-Quartett vorbehalten, im Dezember 1850 die öffentliche Uraufführung zu spielen, und dem Diabelli-Verlag, es posthum zu drucken: als Grand Quatuor en Sol, Œuvre 161. Noch lange galt das Quartett als ein schwieriges Werk. Nachdem Joseph Joachim mit seinem Streichquartett 1871 in Berlin eine Aufführung gewagt hatte, sprach ein Kritiker der Allgemeinen Musikalischen Zeitung dem G-Dur-Quartett den Rang eines „wirklichen Kunstwerks“ ab: „Das Stück ist sehr lang und hat einzelne hervorragend schöne Stellen. Anspruch auf ein wirkliches Kunstwerk kann es aber nicht machen; es ist in seiner ganzen modulatorischen Anordnung wild, bunt, formlos und auch oft sehr arm an wirklich musikalischen Gedanken (an Melodien), statt dessen wird ein sehr verschwenderischer Gebrauch von äußerlich wirkenden Manieren, z. B. vor allem von dem sogenannten Tremolo gemacht. Eine auch in manchen seiner Lieder angewandte Manier Schubert’s, fortwährend mit Dur und Moll auf derselben Tonstufe zu wechseln, kommt hier bis zum Überdrusse vor, … ja, einer der vier Sätze schließt sogar mit dieser sinnlosen Wendung ab.“

Mit der letzten Bemerkung traf der Kritiker von 1871 ausnahmsweise den Kern des Werkes: der Dur-Moll-Wechsel ist sein eigentliches Thema, buchstäblich vom ersten bis zum letzten Takt. Die Armut an echten „Melodien“ lässt erkennen, wie weit sich Schubert hier von der singenden Manier seiner früheren Quartette entfernte. Der Gang der Modulation setzt an vielen Stellen die üblichen Kadenzformeln außer Kraft. Der Klang schiebt sich durch ständiges Tremolo und Pizzicato als Eigenwert in den Vordergrund. Die beinahe orchestralen Klangballungen verleihen den Ecksätzen eine quasi-sinfonische Wucht. Schubert hat kein radikaleres Instrumentalwerk geschrieben, was Klang, Harmonik und Form anbelangt. Es ist eine kompromisslose Auseinandersetzung mit den Themen Dur und Moll, Leben und Tod, Hoffnung und Verzweiflung.

Die vier Sätze

Das einleitende Allegro molto moderato beginnt mit dem Motto des ganzen Quartetts: dem Dur-Moll-Wechsel. Vom leise ausgehaltenen G-Dur-Dreiklang wechseln die Streicher urplötzlich in einen lauten g-Moll-Akkord aus lauter Doppelgriffen, gefolgt von wild gezackten Rhythmen: „Denke dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu Nichte geworden sind, dem das Glück der Liebe u. Freundschaft nichts bieten als höchstens Schmerz.“ Diese briefliche Äußerung Schuberts passt zum schockierenden Anfang des Quartetts, während man das folgende, geheimnisvolle Thema nur ein Gebet nennen kann: Über chromatisch absteigendem Tremolo erhebt die Geige flehentlich ihre Stimme zum Herrn; das Cello antwortet. Unwillkürlich muss man an Schuberts Gedicht „Mein Gebet“ denken, das er im Mai 1823 in sein Tagebuch eingetragen hatte:

Tiefer Sehnsucht heil’ges Bangen
Will in schön’re Welten langen.
Möchte füllen dunklen Raum
Mit allmächt’gem Liebestraum.

Großer Vater, reich‘ dem Sohne,
Tiefer Schmerzen nun zum Lohne,
Endlich als Erlösungsmahl
Deiner Liebe ew’gen Strahl.
Sieh, vernichtet liegt im Staube,
Unerhörtem Gram zum Raube,
Meines Lebens Martergang
Nahend ew’gem Untergang.

Nach dem „Liebestraum“ des leisen Gebets kehrt das Hauptthema in kraftvoller Steigerung wieder. Erst das Seitenthema bringt einen neuen Ton ins Spiel: einen zaghaft schwankenden Ländler. Seine Melodie liegt in der ersten Geige und wird anschließend von jedem der anderen Instrumente wiederholt, unterbrochen freilich von wilden Tremoli, die wie ein düsteres Verhängnis über den sehnsüchtigen Ländler herfallen („sieh, vernichtet liegt im Staube, unerhörtem Gram zu Raube, meines Lebens Martergang“). Immer wieder erhebt der Ländler seine innige Stimme, immer wieder vernichten die zerstörerischen Tremoli die Idylle. Mit ihnen endet die Exposition. Die Durchführung wird von einem unheimlichen Tremolo-Abstieg des Cellos eröffnet wie von bangem Zittern, bevor wieder das Gebet einsetzt. Noch zweimal erhebt der flehende Mensch seine Stimme zum Himmel, bis die Schicksalsklänge des Hauptthemas turmhoch über ihn hereinbrechen. Nach zwei erschütternden Steigerungen des ersten Themas staut sich die Spannung auf einem dreigestrichenen A der ersten Violine, biegt aber unversehens ins Pianissimo ab. Es folgt die Reprise des Anfangs, die Schubert umgedreht hat: Nun gleitet der leise ausgehaltene g-Moll-Akkord in einen sanft gezupften G-Dur-Akkord hinüber, gefolgt von weichen Linien statt der punktierten Rhythmen des Anfangs. Auch das Ländlerthema wird verändert und mit wunderschönen Cello-Gegenstimmen unterlegt. In der Coda kehrt der chromatische Celloabstieg aus dem Mittelteil noch einmal wieder. Bis in die letzten Takte hinein kämpfen die Musiker um den Vorrang von Dur oder Moll. Am Ende behält ein verzweifeltes Dur die Oberhand.

Das Andante un poco mosso wirkt nach dem kämpferischen Kopfsatz liedhaft schlicht und abgrundtief melancholisch. Sein e-Moll-Cellothema klingt zwar wie ein Lied, ist aber keinem Schubertlied entnommen. Vielmehr wird hier die Aura einer traurigen Liedweise im Wanderduktus nur beschworen. Im Juli 1826, kurz nach dem G-Dur-Quartett, vertonte Schubert in Währing ein Lied aus Johanna Schopenhauers Roman „Gabriele“, „Hippolits Lied“. Es ist im Duktus dem Andante des Streichquartetts nahe verwandt. Sein Text könnte geradezu als Motto für den Quartettsatz dienen:

Lasst mich,
Ob ich auch still verglüh’,
Lasst mich nur stille gehen …
Zürnt diesem armen Herzen nicht,
Es hat nur einen Fehl,
Treu muss es schlagen,
bis es bricht.

Zu dem in freien Variationen ausgeführten Liedthema gesellen sich zwei wilde Kontrastteile, in denen wieder der Schmerz des ersten Satzes hervorbricht. „Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden; jene, welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen am wenigsten die Welt zu erfreuen,” notierte Schubert in sein Tagebuch. Wieder ist es ein chromatischer Abstieg, der den Fortissimo-Ausbruch ankündigt. Wieder bricht der Schmerz in punktierten Rhythmen und Fortissimo-Klangballungen hervor. Wieder leiten geheimnisvolle Tremolopassagen zur Liedweise zurück, die nach jeder Fortissimo-Episode wie verstört wirkt, ziellos umher irrend wie der Wanderer auf der Lebensreise. Erst im letzten Durchlauf zeichnet sich eine Wendung ins tröstliche E-Dur ab. Doch nun ist es die Bratsche, die das Thema nach e-Moll zurücklenkt. Schließlich spielen Bratsche und Cello den Themenanfang in Fortissimo-Oktaven, wie um zu beweisen, dass es kein Entrinnen gibt. Acht lange Takte kreisen die Instrumente in simplen Schlussformeln um e-Moll, bis endlich doch noch, in den letzten vier Takten, zaghaftes E-Dur eintritt. Auch der zweite Satz endet also mit dem zentralen Dur-Moll-Gegensatz.

Nach h-Moll führt das Scherzo, ein Gespensterstück aus scharfen, kurzen Tremoli und verkappten Tanz-motiven. Der Hauptteil ist in Sonatenform gehalten, mit Durchführung und Reprise. Das Trio dagegen kommt als einfacher Ländler in G-Dur daher, in einen träumerisch unwirklichen Klang gehüllt.

Das Finale setzt als Allegro assai im wilden Galopp des Sechsachteltaktes ein und ist ein ständiges Vexierspiel zwischen Dur und Moll in auf- und absteigenden Figuren: Auf einen wie gehetzt herabstürzenden g-Moll-Dreiklang antwortet der aufsteigende G-Dur-Dreiklang. Quasi von Takt zu Takt wechseln Tongeschlecht und melodische Richtung. Beherrschendes Thema ist die Triole, die mal im Staccato, mal mit kurzen Vorschlägen verziert, mal in raumgreifendem Legato und Unisono erscheint. Das
Seitenthema ist ein nur scheinbar heiteres Spiel mit Mozartischen Versatzstücken. Vor dem dritten Thema hakt sich die Bewegung auf einer langen, zwischen Dur und Moll changierenden Dissonanz fest, die sich endlich in Dur auflöst. Am Ende des Satzes hat Schubert diesen Moment bis ins schier Unendliche gedehnt. Das hektische Treiben der Durchführung wird von einer resignativen e-Moll-Phrase unterbrochen – der einzige Ruhepunkt in einem atemlosen Satz, der am Ende in nur scheinbar strahlendem G-Dur ausklingt.

Karl Böhmer

Das G-Dur-Quartett, D 887, aus dem Sommer 1826 ist die Summe aus allen Klang- und Formexperimenten, die Franz Schubert ab 1824 in seinen großen, sogenannten „späten“ Werken niedergelegt hatte. Es ist eine radikale, trostlose Auseinandersetzung mit dem Thema Dur und Moll, Leben und Tod, Mensch und Gott.

Der Kopfsatz beginnt mit dem Symbol dieses Gegensatzes: dem Dur-Moll-Wechsel. Vom ausgehaltenen G-Dur-Dreiklang wechseln die Streicher urplötzlich ins dreinfahrende g-Moll eines gezackten Motivs: eine vollendete Umsetzung totaler Desillusionierung in Musik. „Denke dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu Nichte geworden sind, dem das Glück der Liebe u. Freundschaft nichts bieten als höchstens Schmerz.“ Diese briefliche Äußerung Schuberts aus jener Zeit mag den emotionalen Grund des G-Dur-Quartetts bezeichnen, ebenso die Lieder der „Winterreise“, deren erstes Dutzend dem Streichquartett vom Juni 1826 im Abstand weniger Monate folgte. Der Einstieg ist programmatisch für das ganze Werk, denn bis ins Thema des Finales hinein wechseln Dur und Moll einander beständig ab, als ein mal gespenstisches, mal tief erschütterndes Vexierspiel. Wie um das Mottoartige des Beginns zu unterstreichen, hat ihn Schubert im Moment der Reprise des Kopfsatzes diametral verwandelt: Nun führt der ausgehaltene Akkord von Moll nach Dur und mündet nicht in wild-gezacktes Forte, sondern in einen leisen Pizzicato-Akkord, gefolgt von matt zusammensinkenden Gesten.

An den erschreckenden, von Pausen durchsetzten Einstieg des Quartetts schließt sich ein Thema an, das man nur ein Gebet nennen kann: Über chromatisch absteigendem Tremolo der Unterstimmen erhebt die Geige flehentlich ihre Stimme zum Herrn; das Cello antwortet. Das Thema erinnert an die späten Messen Schuberts, nimmt auch bereits Bruckner vorweg. Man kann mit ihm Schuberts eigenes „Gebet“, ein in sein Tagebuch eingetragenes Gedicht, assoziieren:

„Tiefer Sehnsucht heilges Bangen
Will in schönre Welten langen.
Möchte füllen dunklen Raum
Mit allmächtgem Liebestraum.“

An den „Liebestraum“ dieses Themas schließt sich die Wiederaufnahme des Anfangs an, quasi als Doppelchor zwischen Ober- und Unterstimmen. Nach wild zerfahrener Steigerung bringt das Seitenthema einen neuen Ton ins Spiel: Es ist eine zaghafte, synkopisch schwankende Ländlermelodie, die sogleich in Variationen ausgeführt wird. Hier schwingt sich die erste Geige in jene hohen Tremoloregionen auf, die Schuberts G-Dur-Quartett zu einer gefürchteten Tour de force für den Primarius machen.

Als vierte thematische Ebene drängt sich zwischen die Variationen des Ländlers wild aufschäumendes Tremolo, ein Verzweiflungsausbruch, der am Ende der Exposition in wildes Unisono-Tremolo mündet. Aus diesem löst sich zu Beginn der Durchführung ein chromatisch bis in den Abgrund hinabsteigendes Tremolo des Cellos. Ihm antwortet das Gebet vom Anfang des Satzes – eine besonders plastische Umsetzung von Todesfurcht und Erlösungstraum. Danach wird das Mottomotiv mit seinen gezakcten punktierten Rhythmen in zwei erschütternden Steigerungen bs zu einem Höhepunkt geführt, an dem die Spannungs stagniert – auf dem drei gestrichenen A der Violine – und dann in sich zusammensackt, um in die geschilderte Variante des Beginns zu münden. In der Coda kehrt der chromatische Bassabstieg aus dem Mittelteil noch einmal wieder. Bis in die letzten Takte hinein kämpfen die Musiker um den Vorrang von Dur oder Moll. Dur behält vorläufig das letzte Wort.

Der langsame Satz dieses Quartetts zitiert zwar nicht ein Schubertlied wie im d-Moll-Quartett „Der Tod und das Mädchen“ und auch kein liedartiges Orchesterthema wie das Andante des „Rosamunde“-Quartetts. Doch auch hier wirkt der melancholische e-Moll-Gesang, den das Cello in hoher Lage anstimmt, wie Liedmelodie. Die erstarrten Schritte des Wanderers im Schnee aus der „Winterreise“ sind hier nicht mehr fern. Wie dort gesellen sich zu dem zweimal in freien Variationen ausgeführten Lied zerfahrene Kontrastteile, die vom Schmerz des Lebens erzählen. „Meine Erzeugnisse sind durch den Verstand für Musik und durch meinen Schmerz vorhanden; jene, welche der Schmerz allein erzeugt hat, scheinen am wenigsten die Welt zu erfreuen,“ notierte Schubert in der gleichen Zeit.

Ins ferne h-Moll führt das Scherzo, ein Gespensterstück aus scharfen, kleinen Tremolomotiven. Ein Ländler in G-Dur, in traumhaft unwirklichen Klang gehüllt, bildet das Trio.

Das Thema des Finales ist ein ständiges Vexierspiel der Harmonien und melodischen Richtungen im wilden Galopp des Sechsachteltaktes. Auf einen gehetzt herabstürzenden g-Moll-Dreiklang antwortet der aufsteigende G-Dur-Dreiklang. Quasi von Takt zu Takt wechseln Tongeschlecht und melodische Richtung. Beherrschendes Thema ist die Triole, die mal im Staccato, mal mit kurzen Vorschlägen verziert, mal in raumgreifendem Legato und Unisono erscheint. Das Seitenthema ist ein scheinbar heiteres Spiel mit Mozartischen Zweierbindungen. Vor dem dritten Thema jedoch hakt sich die Bewegung auf einer langen, zwischen Dur und Moll changierenden Dissonanz fest, die sich endlich in Dur auflöst. Am Ende des Satzes hat Schubert diesen Moment bis ins schier Unendliche gedehnt. Das hektische Treiben der Durchführung wird von einer resignativen e-Moll-Phrase unterbrochen – der einzige Ruhepunkt in einem atemlosen Satz, der am Ende in nur scheinbar strahlendem G-Dur ausklingt.

Schubert selbst bekam im Konzertsaal nur den ersten Satz dieses Werkes zu hören – allein dieser ist so lang wie ein komplettes Quartett seiner Komponistenkollegen. Schuppanzigh spielte ihn im März 1828 in Schuberts „Privatkonzert“, dem einzigen reinen Schubert-Programm, das der Komponist im Wiener Musikverein durchsetzen konnte. Bei den Verlegern stießen dieser Satz wie die übrigen drei auf totale Ablehnung. In die posthume Veröffentlichung von Schuberts Kammermusik, die bald nach seinem Tod einsetzte, wurde dieses monumentale, technisch wie musikalisch jegliche Grenzen sprengende Quartett nicht einbezogen. Erst 1850 wurde es in Wien öffentlich aufgeführt, erst 1851 von den Nachfolgern des Verlegers Diabelli gedruckt. Es dauerte bis in die 1870er Jahre, also bis in die Brahms-Zeit hinein, bevor man begann, dieses Werk zu schätzen und häufiger zu spielen.