"All, ye whom love and fortune hath betray'd" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

John Dowland

"All, ye whom love and fortune hath betray'd"

“All, ye whom love and fortune hath betray’d”

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3664

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

2005 – RheinVokal
Englische Lautenmusik und Songs

Die Musik für Laute kam in instrumental solistischer Besetzung ebenso wie als Ensemblekunst und lautenbegleiteter Gesang im frühen 16. Jahrhundert in Italien in Mode. Mit zeitlicher Verzögerung gelangte sie über Frankreich und Deutschland auch in den nördlicheren Teil Europas, wo sie vor allem in England im 17. Jahrhundert eine Hochblüte erlebte. Die Instrumentalwerke waren zumeist formal freie Stücke wie Fantasien und Präludien bzw. gängige Tänze der Zeit. Die Vokalmusik folgte den italienischen Vorbildern der Monodie und des Madrigals und brachte in England eine Flut an ein- und mehrstimmigen Songs und Ayres hervor.

Die meisten der hier vorgetragenen Vokal- und Instrumentalsätze sind in den Anthologien A Musicall Banquet und Varitie of Lute-Lessons aus dem Jahr 1610 überliefert. Robert Dowland (1591-1641), Sohn des berühmteren John Dowland, hatte diese Sammlungen von zeitgenössischen Liedern und Lautenstücken englischer, französischer, spanischer und italienischer Komponisten herausgegeben, vermutlich um sich selbst als Lautenist in europäischen Musikerkreisen einzuführen und einen eigenen Namen machen. Ein Großteil der aufgenommenen Werke stammt von seinem Vater, dem bedeutendsten Lautenvirtuosen und -komponisten Englands.

John Dowland verließ seine Heimat bereits in jungen Jahren und begleitete den englischen Gesandten nach Paris, wo er sich mit kontinentalen Kompositionstechniken und Musikstilen vertraut machte. Nach einem Zwischenspiel in England, währenddessen er in Oxford den Grad eines Bachelor of Music erwarb, suchte er erneut Ruhm und Erfolg im Ausland (Wolfenbüttel, Kassel, Florenz und Rom) und wurde 1598 vom dänischen König Christian IV. zum Hoflautenisten ernannt. 1606 kehrte Dowland nach England zurück, wo er 1612 als einer der sechs Hoflautenisten fungierte. Er konnte aber – vermutlich wegen seiner Nähe zum Katholizismus – nie in eine bedeutende Position am Hof des frisch inthronisierten Stuartkönigs James I. in London aufrücken und war in den 20-er Jahren erneut in Norddeutschland tätig.

Zu Anfang des 17. Jahrhunderts veröffentlichte Dowland u.a. drei Bände mehrstimmiger Lieder mit Lautenbegleitung, mehrere Bände mit Psalmen und geistlichen Liedern, Consortmusik (Ensemblestücke) sowie mehr als hundert Stücke für Laute solo. Dabei handelt es sich zumeist um auf zeitgenössischen Tanztypen wie Pavane, Galliarde, Almains (Allemande) und Jig (Gigue) basierende Werke. Eines der bekanntesten davon ist The Right Honourable the Lord Viscount Lisle, his Galliard, in dem er eine bekannte Melodie von Orlando di Lasso, Susanne un jour, verarbeitet. Dowland greift häufig mit großer kompositorischer Virtuosität auf bestehende Musik zurück, wird aber auch umgekehrt zum Anreger vieler englischer Komponisten des 17. Jahrhunderts. In den Darbietungen eigener Lautenmusik nahm die brillante Improvisation einen bedeutenden Anteil ein, so dass es heute schwierig ist, bei den vielfach abweichenden Überlieferungen seiner Musik einen “originalen” Notentext zu rekonstruieren.
In seiner weltlichen Vokalmusik erreicht Dowland einen Höhepunkt expressiver Interpretationskunst von Gedichten, die zumeist aus dem Umfeld der zeitgenössischen Dichter mystischer, allegorischer und religiöser Lyrik, Edmund Spenser und John Donne, stammen. Zu seinen vielfach bewunderten und imitierten Stilmitteln zählen ausgesponnene Melodiebögen in langsamen Notenwerten, schneidende Chromatik und ungewöhnliche harmonische Wendungen, die häufig die melancholische Stimmung und Todessehnsucht der epigrammatischen Texte musikalisch vertiefen. Aufgrund dieses unverkennbaren, speziellen Tonfalls wurde der Komponist von Zeitgenossen als “semper Dowland, semper dolens” (“immer Dowland, immer klagend”) charakterisiert.

Im Gegensatz zu Dowland war Thomas Campion, der aus wohlhabender Familie stammte, nie primär oder ausschließlich ausübender Musiker. Campion profilierte sich gleichermaßen als Komponist und als Autor lateinischer und englischer Gedichte, außerdem erwarb er einen akademischen Abschluss in Medizin. Von 1601 bis 1618 veröffentlichte er Lieder zu eigenen Gedichten weitgehend in seinen fünf Books of Ayres, wobei er auf die Gleichberechtigung von Text und Musik großen Wert legt, wie er im Vorwort schreibt. Darüber hinaus galt Campion in der frühen Stuart-Zeit nach Ben Johnson als zweitbester Autor von Court Masques (höfische Maskenspiele, die unter Beteiligung des Adels aufgeführt wurden), die er auch vertonte.

Die Lebensumstände von Anthony Holborne sind nur unzureichend dokumentiert und seine überlieferten Werke daher teilweise nicht datierbar. Er trat hauptsächlich als Komponist von Tänzen und anderen Stücken für verschiedene Zupfinstrumente wie Laute, Cister, Bandora sowie Musik für gemischte Consorts hervor. Sein Werk hatte nur geringe Nachwirkung. Die posthume Aufnahme zweier Stücke in Dowlands Musicall Banquet stellt eine Ausnahme dar.

Robert Johnson, der eine jüngeren Generation angehört, zählte als Lautenist über 30 Jahre hinweg bis zu seinem Tod 1633 zu den Hofmusikern unter James I. und Charles I. Sein Ruhm gründete sich vor allem auf die zahlreichen Lieder, die er zu den Maskenspielen von Ben Johnson beisteuerte. Der nicht ganz sicher zuweisbare Song Have You Seen the White Lilies Grow entstand 1616 für Johnsons bekannte Masque The Devil Is an Ass.

Folksongs

Eine ernsthafte Beschäftigung mit traditionellem Volksgut und den meist mündlich überlieferten Volksliedern erfolgte in England – ebenso wie in vielen anderen europäischen Ländern – etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine wichtige Sammlung “Old English Songs” wurde 1843 von John Broadwood veröffentlicht, und in den 80-er Jahren folgte die fünfbändige Anthologie The English and Scottish Popular Ballads von Francis J. Childs. Ein weiterer Meilenstein in der Erkundung der eigenen musikalischen Vergangenheit war die Gründung der Folk Song Society 1898. Im 20. Jahrhundert kümmerten sich – vergleichbar Béla Bartók in Ungarn – angesehene Komponisten der musikalischen “Hochkultur” wie Percy Grainger, George Butterworth und Ralph Vaughan Williams um die Aufzeichnung und Bearbeitung von Volksliedern.

Aufgrund der zahlreichen Auswanderer aus Irland, Schottland und England in Amerika lohnte es auch dort, das Liedgut der Alten Welt festzuhalten. Hierbei tat sich vor allem ein Schüler Childs, William Newell, hervor, der auch zu den Gründern der American Folklore Society zählte. Als die technischen Möglichkeiten entsprechend weit entwickelt waren, zog eine neue Forscher- und Sammlergeneration mit dem Phonographen über Land und zeichnete Hunderte von Tondokumenten auf, die heute weitgehend in der Library of Congress aufbewahrt werden. Das Label Folkways veröffentlichte einen Großteil und trug somit dazu bei, einer jüngeren Musikergeneration wichtige Anregungen zu vermitteln.

Anlässlich seiner CD-Aufnahme Wayfaring Stranger von 2001 wählte Andreas Scholl aus dem Quellenmaterial, das er zumeist über klassische Bearbeitungen kennen gelernt hatte, Stücke aus, zu denen er besonderen Zugang hatte, und bat den Musiker und Volksmusikforscher Craig Leon, sie für ihn mit zeitgenössischen Mitteln zu arrangieren. Diese individuell auf Scholl zugeschnittenen Bearbeitungen geben seiner klangvollen Stimme ausgezeichnete Möglichkeiten, ihre Deklamationskunst zu zeigen. Und so kommen nicht nur die Melodien, sondern auch die Texte dieser Folksongs sehr gut zur Geltung.

Der Titelsong der CD, I Am a Poor Wayfaring Stranger, basiert auf einem Vers aus dem zweiten Buch Mose (“Ich bin Fremdling geworden im fremden Land”) und einer irischen Weise, die sich lange in den Appalachen tradierte. Auch Pretty Saro wurde dort Anfang des 20. Jahrhundert von Musiksammlern aufgezeichnet und hat vermutlich seine Wurzeln in der irischen Melodie Buncody. Der Text von The Salley Garden hingegen ist ein dem Volkston nachempfundenes, kunstvoll einfaches Gedicht des Iren William Butler Yeats (1865-1939), der häufig keltische Sagenstoffe aufgriff und in einer mystisch-symbolistischen Bildsprache umformte. In She Moved trough the Fair legte der Dichter Padraic Colum seiner Version einen älteren irischen Text zugrunde; die Melodie dieser geisterhaften Liebesgeschichte zählt zu den bekanntesten irischen Weisen. Mit ihren Geister-Erscheinungen von Toten steht der Song The Wife of Usher’s Well ebenfalls in der gruseligen “gothic tradition”. Das Stück war ebenso unter den Titeln Lady Gay und The Dead Little Boys in Umlauf. Auch der bekannte Song I Loved a Lass zirkulierte unter verschiedenen Titeln wie The False Bride und The Forlorn Lover und ist bereits 1685 als Einzelblattdruck nachweisbar.