Variationen über Je suis encore dans mon printemps, op. 36 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Louis Spohr

Variationen über Je suis encore dans mon printemps, op. 36

Variationen über Je suis encore dans mon printemps von Méhul, op. 36

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3752

Satzbezeichnungen

Erläuterungen

2002
LOUIS SPOHR
Fantasie

Louis Spohr, der größte deutsche Geigenvirtuose der Romantik und Konkurrent Paganinis, hätte wohl kaum so viele Werke für Harfe geschrieben, wäre ihm nicht bei einem Konzert in Gotha eine blonde junge Dame in der ersten Reihe aufgefallen, die zufällig eine virtuose Harfenistin war. Auf die erste Bekanntschaft mit Dorette Scheidler folgte bald die Heirat. Fortan ging das Künstlerehepaar gemeinsam auf Tournee. Auf diese Weise machte sich Spohr als einer der ersten Romantiker mit den Errungenschaften der modernen Pedalharfe vertraut.

Wie er Dorette kennenlernte, ist übrigens eine zu romantische Geschichte, als dass man sie hier verschweigen könnte. Es ist die Liebesgeschichte zwischen einem frisch gebackenen fürstlichen Konzertmeister von stattlicher Größe, aber etwas zu hagerer Gestalt und einem jungen Mädel, das mit einer vorlauten Freundin ins Konzert geht. Doch lassen wir den Komponisten selbst erzählen. Die Geschichte beginnt in einem Salon in Gotha, wo dem Herrn Konzertmeister Spohr ein blondes Mädchen vorgestellt wird, das ihm nicht unbekannt ist:

„Ich erkannte in dieser reizenden Blondine das Mädchen wieder, welches ich bei meinem ersten Aufenthalte in Gotha bereits gesehen und deren freundliche Gestalt mir seitdem oft in der Erinnerung vorgeschwebt hatte. Sie saß nämlich bei dem Concerte, welches ich damals in der Stadt gab, in der ersten Zuhörerreihe, neben einer Freundin, die bei meinem Auftreten, erstaunt über eine so lange und schlanke Gestalt, wohl lauter als sie es wollte, ausrief: ‚Siehe doch, Dorette, welch‘ eine lange Hopfenstange!‘ Da ich den Ausruf gehört hatte, warf ich einen Blick auf die Mädchen, und sah Dorette verlegen erröthen. Mit einem solchen holden Erröthen stand sie jetzt abermals vor mir, sich jenes Vorfalles wahrscheinlich erinnernd. Um der auch für mich peinlichen Situation ein Ende zu machen, bat ich sie, mir etwas auf der Harfe vorzuspielen. Ohne Ziererei erfüllte sie meinen Wunsch. Ich hatte als Knabe selbst einmal den Versuch gemacht, die Harfe zu erlernen. Man denke sich daher mein Erstaunen und Entzücken, als ich dieses noch so junge Mädchen eine schwere Phantasie mit größter Sicherheit und feinster Nuancirung vortragen hörte. Ich war so ergriffen, daß ich kaum Thränen zurückhalten konnte. Mit einer stummen Verbeugung schied ich; – mein Herz aber blieb zurück!“

Wenig später hatte Spohr bereits eine Sonate für sich und seine Angebetete komponiert, die sie im Gothaer Hofkonzert zusammen zum Besten gaben: „Wir spielten an dem Abende mit einer Begeisterung und einem Einklange des Gefühles, der nicht nur uns selbst hinriß, sondern auch die Gesellschaft so elektrisirte, daß sie unwillkürlich aufsprang, uns umringte und mit Lobsprüchen überhäufte. Die Herzogin flüsterte dabei Doretten einige Worte in’s Ohr, welche diese erröthen machten. Ich deutete auch dies zu meinen Gunsten und so gewann ich endlich auf der Rückfahrt den Muth, zu fragen: ‚Wollen wir so für’s Leben mit einander musiciren?‘ Mit hervorbrechenden Thränen sank sie mir in die Arme; der Bund für das Leben war geschlossen!“

Kurz nach diesem wahrhaft künstlerischen Heiratsantrag und der Hochzeit im Februar 1806 wandte sich Spohr neuen Kompositionen für das Instrument seiner Frau zu: „Ich begann alsbald ein eifriges Studium der Harfe, um zu ergründen, was dem Charakter des Instrumentes am angemessensten sei. Da ich in meinen Compositionen reich zu moduliren gewohnt war, so mußte ich besonders die Pedale der Harfe genau kennen lernen, um nichts für sie Unausführbares niederzuschreiben. Bei der großen Sicherheit, mit der meine Frau schon damals die ganze Technik des Instrumentes beherrschte, konnte dies freilich so leicht nicht geschehen. Ich überließ mich daher auch ganz dem freien Fluge meiner Phantasie, und es gelang mir bald, dem Instrumente ganz neue Effekte abzugewinnen.“

Diese „ganz neuen Effekte“ konnte das Paar bald auf einer Konzert-reise ausprobieren, die es im Herbst 1807 nach Weimar, Leipzig, Dresden, Prag, München, Stuttgart, Heidelberg und Frankfurt führte. Vor Beginn der Reise kaufte Dorette eine neue, größere Pedalharfe von Nadermann aus Paris, während sich ihr Mann mit einem Problem beschäftigte, das noch heute Harfenistinnen und Harfenisten in Atem hält: mit dem Transport des Instruments. Da eine Harfe schon damals nicht in die Standardlimousine bzw. – kutsche passte, „Kombis“ zu Zeiten des Kutschverkehrs aber unbekannt waren, konstruierte Spohr einen Korbwagen, bei dem er den Harfenkasten „schwebend auf Riemen“ unter dem Sitz des Postillons befestigte. Die Konstruktion des Geigenvirtuosen bewährte sich auf der Tournee ebenso wie seine neuen Kompositionen, unter denen die Variationen Opus 36 über ein Thema von Méhul (Je suis encore dans mon printemps) besonders gefielen.
Nach dem Vortrag dieses Werkes in Heidelberg hieß es in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung, Dorette Spohr habe die Harfe gespielt, „wie man sie in Deutschland selten zu hören bekommt – mit einer Zartheit, Leichtigkeit und Anmuth, mit einer Sicherheit und Stärke, mit einem Ausdrucke, der hinreißend ist.“ Geheimrat von Goethe war nach dem Konzert in Weimar weniger enthusiastisch: „Goethe richtete mit vornehm-kalter Miene einige lobende Worte an uns“, heißt es in Spohrs Autobiographie, wo überdies berichtet wird, dass Dorettes Vortrag ihr in München ein Diadem des bayerischen Königs einbrachte.