Klarinettensonate Es-Dur, op. 120,2 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johannes Brahms

Klarinettensonate Es-Dur, op. 120,2

Sonate Nr. 2 Es-Dur für Klavier und Klarinette (Viola), op. 120,2

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 382

Satzbezeichnungen

1. Allegro amabile

2. Allegro appassionata – Trio

3. Andante con moto – Allegro – Più tranquillo

Erläuterungen

Johannes Brahms schrieb sein letztes Kammermusikwerk, die Es-Dur-Sonate, op. 120, 2, drei Jahre vor seinem Tode für den Klarinettisten Richard Mühlfeld. Der Virtuose, der sich in der Meininger Hofkapelle autodidaktisch vom Tuttigeiger zum Soloklarinettisten hochgearbeitet hatte, wurde von seinen Zeitgenossen wegen seines unvergleichlichen Spiels gerühmt. Interpret und Instrument waren in ihm so eindrucksvoll zur Einheit verschmolzen, dass sie Adolf von Menzel zu einer Zeichnung und Brahms zur Aufgabe seiner 1890 gehegten Rückzugsabsichten vom Komponieren bewogen. Dank des inspirierenden Spiels von Mühlfeld schrieb der Komponist 1891 sein Klarinettentrio und -quintett, 1894 dann die beiden Klarinettensonaten, op. 120. (Dass er sie alternativ für Bratsche herausgab, hatte mit dem damals noch bemerkbaren Mangel an guten Bläsern zu tun.)

Die Es-Dur-Sonate ist ein Werk des Abschieds nicht im Gewande des melancholischen Moll, wie es die drei früheren Klarinettenwerke von Brahms beherrscht, sondern heiter und gelöst. Es ist die noble Geste eines gelassenen Großen, der sich von seiner Kunst im Schein der Einfachheit verabschiedet. Die für den späten Brahms so typische Reduktion auf das Wesentliche, der Versuch, alles so knapp wie möglich zu sagen, manifestiert sich hier ebenso wie eine andere Eigenart seines Spätwerks: der „maßvollere, abgeklärte Stil“, der „nicht gern über ein gewisses Niveau der Gemütsbewegung hinausgeht und grelle Kontraste lieber meidet als aufsucht“ (Eduard Hanslick).

Jenes „gewisse Niveau der Gemütsbewegung“ wird im ersten Satz durch die Bezeichnung Allegro amabile vorgegeben. Geradezu „liebreizend“ wirkt das Hauptthema mit seinem weichen melodiösen Fall und der anschließenden sanften Aufwärtsbewegung. Durch sein Kopfmotiv, das fast ständig verarbeitet wird, beherrscht es den ganzen Satz. Motiv und Verarbeitung erinnern deutlich an den ersten Satz des B-Dur- Klaviertrios, KV 502, von Mozart. Brahms hat diesen „Hinweis“ wohl nicht zufällig angebracht. Auffällig sind ferner die kanonische Anlage des zweiten Themas und die herrlichen Sequenzketten der Coda. Der Dialog der beiden Instrumente wirkt so locker und unprätentiös wie kaum in einer anderen Duosonate. Die in Bläserstücken sonst übliche Brillanz und der spätromantische Hang zur quasi-sinfonischen Steigerung bleiben dieser lieblichen Welt fern.

Auch der zweite Satz meidet seiner Tempobezeichnung Allegro appassionato zum Trotz die „grellen Kontraste“. Der magyarische Impetus des Hauptteils verliert sich nach und nach in immer zarteren Wendungen. Das Trio im Sostenuto scheint zwar orchestrale Klangfülle anzustreben, ma dolce e ben cantando, aber süß und sehr gesanglich, wie die Spielanweisung besagt.

Das Andante con moto führt zur stillen, in sich gekehrten Ausdruckshaltung des ersten Satzes zurück, wobei auch sein Thema, dem sechs Variationen folgen, von dessen Hauptthema abgeleitet ist. Den Rhythmus der schlichten Melodie hat Brahms aus einem Lied Mendelssohns übernommen, das den bezeichnenden Titel Frage trägt – ein geheimes Motto des Komponisten für seinen letzten Kammermusiksatz? Beide Komponenten, Melodie und Rhythmus, werden im folgenden so stark verfremdet, dass schon in der ersten Variation kaum mehr eine Beziehung zum Thema zu hören ist. Dies hängt mit den besonderen Vorstellungen zusammen, die Brahms von der Variationenform hatte. Er wollte das einfache melodische Umschreiben einer Melodie, wie es etwa bei Schubert und Schumann begegnet, durch eine strengere Form des Variierens ersetzen, die nur noch das harmonische Gerüst beibehielt, während sich Melodie und Rhythmus völlig vom Thema lösen sollten. Im Finale der Es-Dur-Sonate hat Brahms dieses Prinzip auf einen späten, leuchtenden Höhepunkt geführt.

Es war übrigens ein hintergründiger Scherz des alten Brahms, nach 40 Jahren Kammermusik in der traditionellen viersätzigen Form ausgerechnet sein letztes Werk in dem Genre dreisätzig anzulegen. Subkutan freilich sind die beiden fehlenden Sätze der üblichen Form im Finale der Es-Dur-Soante vereint: Das Thema und die ersten vier Variationen repräsentieren durch ihren Andante- bis Grazioso-Charakter den langsamen Satz (nach Allegro und Scherzo), während das Allegro der fünften und das Più tranquillo der sechsten Variation die Stelle des Finales vertreten.