"La Muse et le Poète", op. 132 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Camille Saint-Saens

"La Muse et le Poète", op. 132

“La Muse et le Poète” (Die Muse und der Dichter) Duo mit Begleitung, op. 132

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3839

Satzbezeichnungen

Andantino / Allegro – Andante – Allegretto

Erläuterungen

2018

Am 13. Juni 1893 erhielten fünf Komponisten aus fünf europäischen Ländern die Ehrendoktorwürde der ältesten englischen Universität Cambridge: der Franzose Camille Saint-Saëns, der Deutsche Max Bruch, der Italiener Arrigo Boïto, der Norweger Edvard Grieg und der Russe Pjotr I. Tschaikowsky. Die Entscheidung des englischen Komitees zeigt, welch herausragende Stellung Saint-Saëns in jener Epoche einnahm. Er war der französische Musiker schlechthin: eleganter Virtuose am Klavier, tiefgründiger Meister der Orgel, Inbegriff der französischen Symphonik und der Grande Opéra, der eigentliche musikalische Antipode der impressionistischen Maler. Während wir uns heute zu Gemälden von Monet oder Renoir meistens Klänge von Debussy, Ravel oder Satie vorstellen, waren es die Kammermusiken des großen Saint-Saëns, für die sich die Impressionisten oder auch ein Marcel Proust begeisterten.

Im Ausland konnten nicht alle Kritiker seine elegante Musik goutieren: Sie war ihnen zu französisch. Als der irische Dichter George Bernard Shaw noch ein junger Musikkritiker in London war, musste er ein Buch über Meister der Französischen Musik rezensieren. Der Titel inspirierte ihn zu einem messerscharfen Bonmot über Saint-Saëns: „ein Meister der französischen Musik – wohlgemerkt: kein französischer Meister der Musik!“ Dem Autor Arthur Hervey bescheinigte Shaw zwar, „auf 65 Seiten den angenehmsten Eindruck vom cleveren Monsieur Saint-Saëns erweckt zu haben“, von „seiner technischen Meisterschaft, seinem eleganten Umgang mit dem Orchester, von seiner breiten Kenntnis der modernen Musik, von seiner charmanten Ausführungsart am Klavier und der Orgel, von seinen Erfolgen in der Oper“. Dann aber holte Shaw zum Gegenschlag aus: „Mister Hervey hat wohl übersehen, dass von Saint-Saëns’ Musik, sobald man alles wegnimmt, was er von Meyerbeer, Gounod und Bach geborgt hat, oder besser gesagt von jener verzierungsreichen Poetik Bachs, wie man sie aus dem a-Moll-Präludium für Orgel kennt, nichts übrigbleibt als grazile Kleinigkeiten – Barkarolen, Serenaden, Ballette und dergleichen, aufgedonnert durch die üblichen Crescendi, Modulationen und instrumentalen Steigerungen, die unweigerlich mit einem Beckenschlag enden müssen.“

Diese Unfreundlichkeit hat bis heute ihre Spuren hinterlassen: Auch im deutschsprachigen Raum gilt Saint-Saëns, bedingt durch seinen notorischen Karneval der Tiere, als parfümierter Spätromantiker par excellence, ein Klischee, das weder der Bandbreite noch dem Gewicht seines Schaffens gerecht wird. So verweisen etwa seine nach 1900 geschriebenen Alterswerke fast durchweg auf den geläuterten Stil seines Schülers Fauré, ja sogar auf dessen Schüler Ravel. Der geläuterte Saint-Saëns der späten Jahre wurde zum heimlichen Impressionisten.

In diese späte Stilphase gehört auch das Duo La Muse et le Poète, op. 132. Es entstand 1910 als Konzertstück für Violine und Violoncello mit Begleitung des Orchesters, wobei eine Aufführung mit Klavierbegleitung vom Komponisten ausdrücklich legitimiert wurde. Wer hier die Muse und wer der Poet ist, kann man unschwer erraten, obwohl im Französischen das Genus der Instrumente wenig dazu beiträgt, weil sowohl „le violon“ als auch „le violoncelle“ männlich sind. Wir Deutschen tun uns sehr viel leichter, wenn es um „die“ Violine bzw. „die“ Geige und ihre Weiblichkeit geht. „Der“ Violoncell, wie man im Deutschland des mittleren 19. Jahrhunderts noch sagte, bildet dazu den männlichen Gegenpart. Boris Garlitsky und unsere Cellistin Anastasia Kobekina spielen also gleichsam mit vertauschten Rollen: er „die Muse“, sie „den Poeten“.

Die Andantino-Einleitung in e-Moll zeichnet ein Bild der Schwermut. Im schwer lastenden Klaviervorspiel klingt bereits eine schwermütige Weise an, die nur ganz kurz von einer leisen Dur-Terz der Violine verscheucht wird. Wenn sich der Dichter zu Wort meldet, steigt das Cello aus tiefer Lage in die Höhe, und die schwermütige Liedweise in e-Moll kehrt zurück. Erst mit dem zweiten Einsatz der Violine wendet sich das Blatt: Sie trillert auf der Quint h’’, erst in Moll (h-c), dann in Dur (h-cis), und plötzlich bricht fast ekstatisch ein Poco allegro in E-Dur hervor – Symbol für den „Musenkuss“, der sich in fast schon erotischen Fiorituren der Geige über den Dichter ergießt. Noch ist er aus seiner Melancholie nicht erlöst: Das klagende Cellosolo in e-Moll kehrt zurück. Nun werden die Überredungskünste der Violine drängender (Allegretto), und endlich lässt sich der Dichter auf ein Duett ein. Dolcissimo und Teneramente, „sehr süß und zärtlich“ soll es klingen. Nach langer Überleitung und einer Violinkadenz rafft sich der Dichter endlich zu einem seufzenden Thema auf (Allegretto moderato B-Dur). In hoher Lage antwortet die Muse so verführerisch, dass sie nun auch den Dichter in ihre Sphäre hinaufzieht. Doch wieder verfällt er seiner natürlichen Schwermut. Der Dialog spitzt sich in Moll dramatisch zu, woraus plötzlich ein wildes Molto allegro in c-Moll hervorgeht. Das Cello alias der Dichter lässt seiner angestauten Verzweiflung in Form punktierter Rhythmen, wilder Tremoli und Arpeggi freien Lauf. Nun aber antwortet die Violine mit einer so zärtlichen Melodie in hoher Lage (in der Orchesterfassung gestützt von der Harfe und später von den Holzbläsern), dass jeder Widerstand zwecklos ist. Endlich kann sie die dunklen Wolken vom Gemüt des Poeten verscheuchen und ihn allmählich und ganz zärtlich in ein Liebesduett verstricken. In einer kurzen Kadenz schwankt das Cello noch einmal zwischen Dur und Moll und lässt danach seine Leidensmelodie in e-Moll ein letztes Mal anklingen. Nun aber ist das Leid überstanden, Muse und Dichter werfen einander ekstatische Melodien zu, und es kommt zum dramatisch gesteigerten Durchbruch ins längst erwartete E-Dur. Das Stück schließt nach einer Viertelstunde orgiastisch, gleichsam in der ungehemmten Ekstase des Schaffens.

2000
CAMILLE SAINT-SAËNS
La muse et le poète, op. 132

Über Saint-Saëns’ Pièce von dem Poeten und seiner Muse gibt es kaum mehr zu sagen, als dass es sich um die authentische Triofassung des bekannten Konzertstücks handelt. Es entstand 1910 als Duo für Violine und Violoncello mit Begleitung des Orchesters oder Klaviers. Wer hier Muse, wer Poet ist und wie sich ihr Dialog in dem dreiteiligen Werk entfaltet, bedarf keines weiteren Kommentars.