Toccata e-Moll, BWV 914 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johann Sebastian Bach

Toccata e-Moll, BWV 914

Toccata e-Moll, BWV 914

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3998

Satzbezeichnungen

(Ohne Bezeichnung) – Un poco allegro – Adagio – Fuga. Allegro

Erläuterungen

2000
JOHANN SEBASTIAN BACH Toccaten in e und D
Die erste Form italienischer Cembalomusik, die Bach systematisch in eigenen Kompositionen reflektierte, war die Toccata. Ursprünglich nicht mehr als ein loses Gebilde aus improvisatorischem Laufwerk (von italienisch toccare, also die Tasten berühren, die Finger über die Tasten laufen lassen), entwickelte sich die Toccata unter den Händen deutscher Meister wie Froberger zu einer mehrteiligen, “organisierten” Form, in der kurze fugierte Abschnitte und freie Teile einander ablösen, häufig von einer längeren Fuge gekrönt.
Eben diesen Aufbau zeigen auch die sieben Toccaten, die Bach als junger Organist im thüringischen Arnstadt 1703-1707 und wenig später in seinen ersten Dienstjahren als Hoforganist in Weimar 1708-ca. 1712 schrieb. Ihre Überlieferung in einigen wichtigen Quellen des Bachschen Frühwerks, u.a. im sogenannten Andreas Bach-Buch und in der Möllerschen Handschrift, gibt uns Anhaltspunkte für die frühe Datierung.
Im Falle der D-Dur-Toccata sprechen die Indizien für eine sehr frühe Entstehung. Wir hören hier die Aufzeichnung einer Improvisation, wie sie der 20jährige Bach gespielt hat, ganz Virtuose und doch auch schon ein junges Genie des formalen Aufbaus. Hier beginnt er mit einem “Show-Effekt”, einem feurigen Lauf plus Fanfaren-Dreiklängen, den er wenig später auch auf der Orgel (D-Dur-Präludium BWV 532) verwendete. An das virtuose Exordium schließt sich ein konzertierender Abschnitt an, die Imitation eines Streicherconcerto, daran zwei freie rezitativische Teile, die ein Doppelfugato in fis-Moll umschließen. Am Ende hat Bach seinen Fingern in einer Giga, einem italienischen Tanzsatz aus virtuosen Triolen, freien Lauf gelassen, freilich in Fugenform, wenn auch einer sehr freien, die noch wenig von der Strenge späterer Bachfugen ahnen lässt.
Die e-Moll-Toccata lebt im Prinzip von der gleichen Dramaturgie, ist aber im Stil reifer und wohl auch später entstanden. Nach einem Präludium über ein obligates Motiv im Bass folgt zunächst wieder ein Doppelfugato, dann ein äußerst expressives Adagio, das zu den eindrucksvollsten Passagen in Bachs Frühwerk gehört. Die Schlussfuge mit ihrem Laufthema mutet nicht nur italienisch an, sie ist in einer Quelle sogar einem italienischen Komponisten zugeschrieben, von dem sich Bach hier möglicherweise hat inspirieren lassen.